dd) Bestimmtheit und Normenklarheit
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Schließlich kommt dem Gebot der Bestimmtheit und Normenklarheit nach der Rechtsprechung des BVerfG eine entscheidende Rolle zu. Im Urteil zur Videoüberwachung öffentlicher Plätze, in dessen Rahmen die fehlende Bestimmtheit der entsprechenden (allgemeinen) Ermächtigungsgrundlage im BayDSG als Legitimation für die beabsichtigte Videoüberwachung festgestellt wurde, hob das Gericht erneut hervor, dass Anlass, Zweck und Grenzen eines Eingriffs in der Ermächtigung bereichsspezifisch, präzise und normenklar festgelegt werden müssen.[1] Diese Anforderungen hat das BVerfG später in der Entscheidung zum Abruf der Daten der Kontenevidenzzentrale bestätigt (vgl. oben → Rn. 72).[2] Mindestvoraussetzung sei die Angabe im Gesetz, welche staatliche Stelle zur Erfüllung welcher Aufgaben zu der geregelten Informationserhebung berechtigt sein soll.[3] Dies ließ sich aus den gesetzlichen Bestimmungen aber nicht erkennen. Auch in der ersten Entscheidung zur automatisierten Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen[4] aus dem Jahr 2008 stellte das Gericht fest, dass der Verwendungszweck bei den angegriffenen Normen nicht hinreichend bestimmt sei und sich dies auch nicht durch eine einengende verfassungskonforme Interpretation heilen ließe.[5] Mit dem Fehlen der Zweckbestimmung der automatisierten Kennzeichenerfassung gehe eine grundrechtswidrige Unbestimmtheit auch hinsichtlich der erhebbaren Informationen einher.[6] In der Bestandsdatenauskunft II-Entscheidung[7] des BVerfG legte dieses fest, dass bei Übermittlungs- und Abrufregeln die Verwendungszwecke selbst normenklar begrenzt sein müssen (siehe dazu auch → Rn. 98, 951).
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Aus diesen Anforderungen ergibt sich ein entsprechender Druck auf den Gesetzgeber. Konsequenz ist die Schaffung einer Vielzahl bereichsspezifischer Regelungen und damit ein Verrechtlichungsschub, der durchaus auch kritisch zu sehen ist, da er die Komplexität des Datenschutzrechts deutlich steigert.[8] Die daraus resultierende hohe Regelungsdichte führt indessen zu einer gewissen Unübersichtlichkeit für die betroffene Person, womit ein Spannungsverhältnis zum ebenfalls bedeutsamen Transparenzgebot entsteht.
Anmerkungen
BVerfG, Beschl. v. 23.2.2007, 1 BvR 2368/06 = BVerfGK 10, 330 = NVwZ 2007, 688 (690); vgl. auch schon Beschl. v. 3.3.2004, 1 BvF 3/92 = BVerfGE 110, 33 (52) – Zollkriminalamt; Urt. v. 27.7.2005, 1 BvR 668/04 = BVerfGE 113, 348 (375) – Vorbeugende Telekommunikationsüberwachung.
BVerfG, Beschl. v. 13.6.2007, 1 BvR 1550/03 u.a. = BVerfGE 118, 168 = DStRE 2007, 1196 (1201) – Kontostammdaten.
BVerfG, Beschl. v. 13.6.2007, 1 BvR 1550/03 u.a. = BVerfGE 118, 168 = DStRE 2007, 1196 (1201) – Kontostammdaten.
BVerfG, Urt. v. 11.3.2008, 1 BvR 2074/05 = BVerfGE 120, 378 = EuGRZ 2008, 186 – Automatisierte Kennzeichenerfassung.
BVerfG, Urt. v. 11.3.2008, 1 BvR 2074/05 = BVerfGE 120, 378 = EuGRZ 2008, 186 (Juris-Rn. 153) – Automatisierte Kennzeichenerfassung.
BVerfG, Urt. v. 11.3.2008, 1 BvR 2074/05 = BVerfGE 120, 378 = EuGRZ 2008, 186 (Juris-Rn. 157) – Automatisierte Kennzeichenerfassung.
BVerfG, Beschl. v. 27.5.2020, 1 BvR 1873/13 u.a. – Bestandsdatenauskunft II.
Kingreen/Kühling, JZ 2015, 213.
c) „Recht auf Vergessen(werden)“
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Neben der bedeutsamen Neuorientierung im Mehrebenensystem (dazu → Rn. 66) gab das BVerfG in der Entscheidung Recht auf Vergessen I dem aus dem Unionsrecht bekannten „Recht auf Vergessenwerden“ (vgl. Art. 17 DS-GVO) auch auf verfassungsrechtlicher Ebene Konturen. Das Recht auf Vergessen(werden) wurde ursprünglich vom EuGH in der Google Spain-Entscheidung[1] begründet und später in Art. 17 DS-GVO (dazu → Rn. 651 ff.) niedergeschrieben. Im Google Spain-Urteil war dieser Anspruch noch auf die Löschung der Verlinkung beim Suchmaschinenbetreiber begrenzt.[2] Dem Löschbegehren der betroffenen Person standen dabei die wirtschaftlichen Interessen des Suchmaschinenbetreibers und die Informationsinteressen der Öffentlichkeit entgegen.[3] In seiner heutigen Form stellt das Recht auf Vergessen im Kern einen Löschanspruch von personenbezogenen Daten der betroffenen Person gegen alle Verantwortlichen dar.[4] Das BVerfG versteht darunter einen Schutzanspruch, sich nicht unbegrenzt frühere Positionen, Äußerungen und Handlungen vor der Öffentlichkeit vorhalten lassen zu müssen.[5] Mit fortschreitender Zeit nimmt dabei die Gewichtung zugunsten des Löschanspruches zu.[6] Daraus folgt allerdings kein allein von der betroffenen Person beherrschbares Recht.[7] Vielmehr ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Person stets in Abwägung mit den kollidierenden Verfassungsinteressen anderer zu stellen. Bemerkenswert ist ferner, dass das BVerfG dieses „Recht auf Vergessen“ nicht aus dem „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ folgert, sondern auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abstellt. Zwar setzt sich das BVerfG ausführlich mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung auseinander.[8] Gleichwohl sei dieses aber nicht einschlägig, da es vorliegend nicht um eine Pflicht zur Preisgabe von Daten oder um eine intransparente Nutzung von Daten, sondern um den Schutz vor der Verarbeitung personenbezogener Berichte und Informationen als Ergebnis eines Kommunikationsprozesses gehe.[9]
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Die ausführliche Betrachtung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung wirft die Frage auf, wie das Recht auf Vergessen in das System des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und seiner besonderen Auskopplungen wie dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung einzuordnen ist. Die Entscheidung des BVerfG lässt insoweit nur den sicheren Schluss zu, dass das Recht auf Vergessen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zuzuordnen ist und im zu entscheidenden Fall das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht einschlägig war. Ob das Recht auf Vergessen nun eine eigene Auskopplung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, ein Teil von diesem oder zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung steht, wird nicht abschließend geklärt. Wünschenswert wäre es aber, wenn das Verfassungsgericht mit dem Recht auf Vergessen auf eine weitere Auskopplung und Neuschöpfung verzichtet und weiterhin nur auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht abstellt, da ein Mehrwert ohnehin nicht trennscharf zu unterscheidender Untergliederungen nicht erkennbar ist.
Anmerkungen
EuGH,