Diese Auffassung begegnet aber erheblichen Bedenken[29]. Zum einen können nach der weiten Dassonville-Formel neben solchen Hürden, die vor einer Niederlassung zu überwinden sind, auch zwingende belastende Rechtsfolgen die Niederlassung unattraktiv machen und damit dem Beschränkungsbegriff unterfallen. Zum anderen steht der Umstand, dass mit der Mitgliedschaft auch eine Begünstigung (in Form der Partizipationsrechte) verbunden ist, dem Charakter als Beschränkung nicht entgegen[30]. Im Ergebnis ist daher die Begründung der Pflichtmitgliedschaft als Maßnahme gleicher Wirkung anzusehen.
3. Rechtfertigung: zwingende Gründe des Allgemeininteresses
73
Dieser Eingriff könnte aber gerechtfertigt sein, Nachdem die Rechtfertigungsgründe des Art. 52 AEUV nicht einschlägig sind, müsste er dazu einen mit dem AEUV zu vereinbarenden Zweck verfolgen, auf zwingenden Gründen des Allgemeininteresses beruhen und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Dazu müsste die Pflichtmitgliedschaft geeignet sein, die Verwirklichung des verfolgten Zwecks zu gewährleisten und nicht über das dafür erforderliche Maß hinauszugehen[31]. Die Pflichtmitgliedschaft soll eine unmittelbare Partizipation der Mitglieder an der berufsständischen Interessenvertretung ermöglichen; dies steht im Einklang mit dem EU-Recht, das ebenfalls möglichst bürgernahe Entscheidungsverfahren fordert[32]. Die Pflichtmitgliedschaft ist zur Verfolgung dieses Zweckes geeignet und erforderlich: Eine „basisdemokratische“ Repräsentanz des Berufsstandes ließe sich bei freiwilliger Mitgliedschaft kaum erreichen, zumindest nicht gewährleisten. Gleichzeitig zeichnet sich die Selbstverwaltung durch Sachnähe, Kompetenz und Unabhängigkeit aus und stellt im Verhältnis zur Aufgabenwahrnehmung durch unmittelbar staatliche Behörden wohl auch das mildere Mittel dar. Die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch die Zwangsmitgliedschaft ist schließlich im engeren Sinne verhältnismäßig, also zumutbar. Sie bedeutet – auch bei Berücksichtigung der Beitragspflicht als Hauptlast der Kammerzugehörigkeit – keine schwerwiegende Belastung, zumal die Mitgliedschaft die Chance zur Mitwirkung an staatlichen Entscheidungsprozessen eröffnet[33].
Andererseits darf nicht übersehen werden, dass es sich bei den von der Pflichtmitgliedschaft in der IHK betroffenen „Gewerben“ regelmäßig nicht um „regulierte Berufe“ im Sinne des Unionsrechts handelt, so dass ihre „Beaufsichtigung“ nicht dieselbe Relevanz besitzt wie beispielsweise bei den freien Berufen und beim Handwerk[34], so dass man sehr wohl die Auffassung vertreten könnte, dass sich jedenfalls die Zwangsmitgliedschaft in einer IHK als unverhältnismäßig darstellt. Dies könnte vor allem auch deswegen gelten, weil es gerade bei eher losen Kontakten zu einer bestimmten Region, wie sie etwa bei Betriebsstätten ausländischer Unternehmen häufig bestehen, gerade an der für das Kammerrecht prägenden „örtlichen Radizierung“ ihrer Interessen fehlt. Erst recht gilt dies, wenn (bei verschiedenen Betriebsstätten) Mehrfachmitgliedschaften bestehen. Im Ergebnis sind daher im Rahmen einer Klausur mit der entsprechenden Begründung unterschiedliche Ergebnisse gleichermaßen vertretbar.
B. Der Kammerbeitrag
74
Nach § 3 Abs. 2 S. 1 IHKG werden die Kosten der Errichtung und Tätigkeit der Industrie- und Handelskammer durch Beiträge der Kammerzugehörigen gemäß einer Beitragsordnung aufgebracht. Als Beiträge im rechtlichen Sinne müssen sie daher dem Äquivalenzprinzip und dem Gleichheitssatz genügen, was aber im vorliegenden Fall nicht zu problematisieren ist[35]. Auch die unmittelbare Anknüpfung der Beitragslast an die – ihrerseits verfassungskonforme – Pflichtmitgliedschaft in § 3 Abs. 2 S. 1 IHKG ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden[36]. Als problematisch könnte sich allenfalls die Differenzierung zwischen ins Handelsregister eingetragenen und sonstigen Mitgliedern erweisen. Während letztere nach § 3 Abs. 3 S. 3–4 IHKG sowohl als Existenzgründer als auch allgemein bei geringem Einkommen privilegiert werden[37], scheidet dies bei ins Handelsregister eingetragenen Gesellschaften – und damit auch im vorliegenden Fall bei L – aus. Allein der Hinweis darauf, der Gesetzgeber habe eine solche Differenzierung gewollt[38], kann eine Begründung nicht ersetzen. Der Hinweis auf den geringen Betrag, der konkret fällig wurde, könnte eine Diskriminierung nicht rechtfertigen.
Maßstab könnte zum einen Art. 3 GG, zum anderen aber auch das Unionsrecht sein. Bei Art. 3 GG räumt das BVerfG dem Gesetzgeber weite Spielräume zur Differenzierung ein. In der Tat dürfte das Problem geringer Einkünfte sich weniger bei den ins Handelsregister eingetragenen IHK-Zugehörigen als bei anderen Fällen stellen[39]. Trotz der formalen Anknüpfung an die Rechtsform kann man dies in der Sache als ein generalisierendes Leistungsfähigkeitskriterium qualifizieren. Dies könnte einen sachgerechten Grund für die Differenzierung darstellen. Das Unionsrecht sieht aber nicht nur eine Pflichtmitgliedschaft (jedenfalls wenn sie mit Kosten verbunden ist), sondern auch jegliche Differenzierung, die an die Rechtsform anknüpft als problematisch an[40].
Aufgabe 2: Der Streit um Werbekampagne und Akteneinsicht
A. Die Klage auf Unterlassung der Werbekampagne
I. Die Zulässigkeit einer verwaltungsgerichtlichen Klage
1. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs
75
Da eine ausdrückliche Zuweisung fehlt[41], richtet sich die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges nach der Generalklausel des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO. Ob eine Streitigkeit öffentlich- oder bürgerlich-rechtlich ist, beurteilt sich nach der Natur des streitgegenständlichen Rechtsverhältnisses[42]. Wird auf Unterlassen, Widerruf oder Beseitigung von Maßnahmen der Organe einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft geklagt, teilt der entsprechende Anspruch die Rechtsnatur des zugrunde liegenden Sachverhalts. Eine Äußerung ist dann als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren, wenn sie in einem engen Funktions- bzw Sachzusammenhang mit dem Bereich hoheitlicher Betätigung steht und auf vorhandene oder vermeintlich vorhandene öffentlich-rechtliche Befugnisse gestützt wird[43]. Die IHK Pfalz ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts Teil der mittelbaren Selbstverwaltung und nimmt hoheitliche Aufgaben wahr. Die Streitigkeit ist folglich öffentlich-rechtlich. Mangels doppelter Verfassungsunmittelbarkeit ist die Streitigkeit zudem nicht als verfassungsrechtlich zu qualifizieren. Auch eine abdrängende Sonderzuweisung ist nicht einschlägig, sodass der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist.
2. Statthafte Klageart
76
Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klägerbegehren (§ 88 VwGO), das sich wiederum an der Rechtsnatur der beanstandeten Maßnahme orientiert. L begehrt die Unterlassung der durch die IHK angelegten Kampagne „Buy Pälzisch!“ sowie Akteneinsicht. Da beides als schlichtes Verwaltungshandeln einzuordnen ist, kommt als Klageart nur die zwar in der VwGO nicht ausdrücklich normierte, aber an verschiedenen Stellen (vgl §§ 43 Abs. 2, 111, 113 Abs. 4 VwGO) vorausgesetzte allgemeine Leistungsklage in Betracht. L hat dem Sachverhalt nach einen entsprechenden Leistungsantrag gestellt.
Alternativ stünde nach der Rspr für Klagen gegen die Verwaltung neben der allgemeinen Leistungsklage auch die Feststellungsklage (§ 43 Abs. 1 VwGO) zur Verfügung[44]. Insbesondere sei diese gegenüber einer Unterlassungsklage nicht subsidiär iSv § 43 Abs. 2 VwGO, da die ratio der Subsidiaritätsklausel nur eingreife, wenn ansonsten strengere Sachentscheidungsvoraussetzungen