Hinweis:
Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden die folgenden Fragen unter getrennten Überschriften geprüft. Strenggenommen handelt es sich gleichwohl um eine unions- und verfassungsrechtskonforme Auslegung der Aufgaben- und Kompetenznormen des IHKG. Allein die Übertragung der Aufgabe ermächtigt gerade nicht zu Grundrechtseingriffen, sodass umgekehrt die Aufgabennormen so ausgelegt werden müssen, dass sie Maßnahmen die – als Eingriff in Grundrechte und Grundfreiheiten – einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedürfen, gerade nicht erfassen. Die Prüfung von Grundfreiheiten und Grundrechten folgt der üblichen Prüfungsreihenfolge.
3. Kompetenzüberschreitung wegen Grundfreiheitenverstoßes
a) Grundfreiheiten als Maßstab von Maßnahmen der mittelbaren Selbstverwaltung
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Die Werbekampagne könnte gegen die Grundfreiheiten verstoßen. Dabei ist keinesfalls selbstverständlich, dass sich die Maßnahme der IHK überhaupt an den Grundfreiheiten messen zu lassen hat. Die Grundfreiheiten sind grundsätzlich staatsgerichtete Abwehrrechte. Eine unmittelbare Bindung Privater an die Grundfreiheiten (sog. unmittelbare Drittwirkung) kommt dagegen nur in Ausnahmefällen in Betracht. Allerdings ist der Begriff der Mitgliedstaaten nicht formal, sondern funktional zu verstehen[59] und erfasst alle mit staatlichen Verwaltungsfunktionen betrauten Stellen und sogar privatrechtliche Vereinigungen, soweit sie Verbandsvorschriften erlassen, die auf die grenzüberschreitende Betätigung Einfluss nehmen[60]. Die IHK Pfalz ist eine juristische Person des öffentlichen Rechts und als solche Teil der mittelbaren Staatsverwaltung und Adressatin der Grundfreiheiten. Irrelevant ist zudem die gewählte Handlungsform und damit auch die Frage des ,,zwingenden Charakters" der Maßnahme. Daher maß der EuGH eine staatliche Werbekampagne zu Recht als Maßnahme gleicher Wirkung an den Grundfreiheiten[61].
b) Einschlägige Grundfreiheit: der Schwerpunkt der Maßnahme
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In Betracht kommt entweder ein Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit oder ein solcher gegen die Niederlassungsfreiheit. Die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) könnte betroffen sein, weil L sich durch Erwerb der Produktionsanlage und Gründung einer Zweigniederlassung dauerhaft in einen fremden Mitgliedstaat integriert hat. Insbesondere erfasst die Niederlassungsfreiheit nicht nur die Zulassung iSe „erstmaligen Fußfassens“, sondern verbietet auch alle Diskriminierungen bereits niedergelassener Selbstständiger im laufenden Geschäft[62]. Durch die Kampagne „Buy Pälzisch“ sollen Käufer dazu veranlasst werden, vorwiegend regionale Produkte zu kaufen; sie werden dabei nicht auf den Produktionsort, sondern den „landestypischen“ Charakter abstellen, so dass L vor allem deshalb einen Nachteil fürchten muss, weil die Weingummis trotz der Produktion in der Pfalz unter dem bekannten englischen Produktnamen vertrieben werden und von der Öffentlichkeit als englische Produkte wahrgenommen werden. Es könnte jedoch auch die Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 ff AEUV) einschlägig sein. Schließlich stellt die L in Kaiserslautern Weingummis her, welche sich im Unionsgebiet in freiem Verkehr befinden und ohne Weiteres dem Warenbegriff des Art. 28 Abs. 2 AEUV unterfallen. Allerdings könnte der erforderliche grenzüberschreitende Bezug fehlen, da L von Kaiserslautern aus zwar auch einen Internetversandhandel nach ganz Kontinentaleuropa betreibt, dieser aber von der Kampagne „Buy Pälzisch!“ der IHK Pfalz wohl nicht beeinträchtigt wird. Selbst wenn die Kampagne im Ausland bekannt werden sollte, würde sich niemand davon beeindrucken lassen, dass eine Berufskammer eines anderen Mitgliedsstaates für dortige regionale Produkte wirbt. Der EuGH nimmt zwar auch dann einen grenzüberschreitenden Sachverhalt an, wenn die Maßnahme keinen grenzüberschreitenden Bezug hat, sie sich jedoch dadurch auf den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedsstaaten auswirkt, dass sie den Vertrieb von Waren inländischen Ursprungs zum Nachteil eingeführter Waren begünstigt[63]. Dies lässt sich speziell hinsichtlich der L jedoch mit guten Gründen bezweifeln[64]. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass es im Rahmen des zu prüfenden Unterlassungsanspruchs gerade nicht darauf ankommt, dass L in ihren Grundfreiheiten beeinträchtigt wird, sondern darauf, ob die Kampagne insgesamt gegen die Grundfreiheiten verstößt. Damit spielt es keine Rolle, ob die Kampagne in Grundfreiheiten der L eingreift, also auch der grenzüberschreitende Bezug hinsichtlich seiner Waren gegeben ist. Vielmehr genügt es, dass sie insgesamt einen grenzüberschreitenden Bezug aufweist. Dies ist zu bejahen, da sie ja gerade die Förderung regionaler Produkte zum Gegenstand hat und deswegen darauf abzielt, dass in der Pfalz weniger ausländische Produkte gekauft werden.
Da sowohl Warenverkehrs- wie Niederlassungsfreiheit potentiell einschlägig sind, ist der Prüfungsmaßstab zu bestimmen. Der EuGH stellt insoweit (nur) auf die schwerpunktmäßig betroffene Grundfreiheit ab[65]. Da die Kampagne der IHK Pfalz ausschließlich die erzeugten Produkte, nicht die herstellenden Unternehmen betrifft, sprechen die besseren Gründe dafür, im vorliegenden Fall die Warenverkehrsfreiheit zu prüfen.
c) Eingriff und Rechtfertigung
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Zunächst ist der Eingriff näher zu prüfen. Da offensichtlich keine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung vorliegt, ist zu fragen, ob es sich um eine Maßnahme gleicher Wirkung handelt. Eine solche liegt nach der Dassonville-Formel vor, wenn die Maßnahme den innereuropäischen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell behindert[66]. Dies ist zu bejahen, da die Werbebotschaft der IHK Pfalz die Verbraucher veranlassen könnte, regionale Produkte anstatt einer importierten Ware zu kaufen[67]. Dabei kommt es für die ursprünglich auf „Handelsregelungen“ bezogene Dassonville-Formel nicht auf den Regelungscharakter,