L begehrt daher beim Präsidenten der IHK Akteneinsicht, um sich ein genaues Bild von der Finanzierung der Kampagne machen zu können und fordert außerdem ein unverzügliches Einstellen der Werbemaßnahmen. Der Präsident der IHK lehnt beide Ansprüche ab. Mit der Kampagne wolle man die regionale Wirtschaft fördern, was ohne weiteres zu den Aufgaben einer Handelskammer gehöre. Ein Akteneinsichtsrecht bestehe schon deswegen nicht, weil es sich weder aus dem IHKG noch der Kammersatzung ergebe; die Kontrolle des Präsidiums obliege vielmehr der Vollversammlung insgesamt, die aber die Kampagne mit großer Mehrheit gebilligt habe. Weder IHKG noch Kammersatzung sähen ein ausdrückliches Akteneinsichtsrecht vor. Selbstverständlich habe man trotzdem die Vollversammlung ausreichend informiert. L sei zwar seit kurzem gewähltes Mitglied der Vollversammlung, könne aber gerade keine Rechte des Gesamtorgans geltend machen. Auch das Demokratieprinzip verlange kein ausdrückliches Einsichtsrecht des einzelnen Mitglieds.
Daraufhin erhebt L vor dem örtlich zuständigen VG Klage auf Einstellung der Werbekampagne und Akteneinsicht.
Wie wird das VG entscheiden?
Bearbeitungsvermerk:
Gehen Sie bei der Bearbeitung davon aus, dass das einschlägige IFG im vorliegenden Fall keinen Auskunftsanspruch gewährt.
Fall 3 Buy Pälzisch! – Probleme mit der IHK › Vorüberlegungen
Vorüberlegungen
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Der Fall beleuchtet einen Dauerbrenner der verfassungsrechtlichen Diskussion näher, die „Selbstverwaltung der Wirtschaft“ durch die Kammern als öffentlich-rechtlich organisierte, berufsständische Einrichtungen[1]. Das Kammerrecht wird zum wirtschaftsrechtlichen Anwendungsbeispiel vieler aus dem Pflichtfachbereich vertrauter Grundprobleme. Gerade weil der Fall in hohem Maße Transferleistungen verlangt, ist er insgesamt als schwierig einzustufen.
Charakteristikum des Kammerrechts ist die gesetzlich angeordnete Pflichtmitgliedschaft[2]. Zu messen ist diese nicht nur an den Grundrechten (im Ergebnis nach hM Art. 2 Abs. 1 GG), sondern für Angehörige aus anderen Mitgliedstaaten auch an den Grundfreiheiten[3]. Damit befasst sich der Teil 1, bei dem deswegen erneut die Grundrechtsberechtigung mit Auslandsbezug relevant wird (insb zu Art. 19 Abs. 3 GG schon Fall 2; dort auch zur Einkleidung als Verfassungsbeschwerde und deren Verzahnung mit der Prüfung von Unionsrecht). Während die Zwangsmitgliedschaft nach bisheriger Rechtsprechung mit Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar ist, stellt sich die Lage nicht nur hinsichtlich der Grundfreiheiten komplexer dar, als die Rechtsprechung suggeriert. In seiner jüngst ergangenen Entscheidung hat das BVerwG die Pflichtmitgliedschaft in der IHK bestätigt[4].
Gerade weil die Zwangsmitgliedschaft als solche nicht in Frage gestellt wird, verlagern sich die Streitigkeiten vom Grundsätzlichen auf die Einzelfragen im Zusammenhang mit der Tätigkeit der IHK: Mitglieder wenden sich gegen die Kammerbeiträge, Dritte gegen die (wirtschaftliche) Betätigung[5], vor allem aber suchen auch enttäuschte Mitglieder um Rechtsschutz nach. Mit letztgenannter Konstellation befasst sich der zweite Teil. Außer den eher lückenhaften Maßstäben des IHKG wird auch hier das Verfassungs-, aber zunehmend auch das Unionsrecht relevant. Die IHK ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts Teil der mittelbaren Staatsverwaltung und als solche an Grundfreiheiten und Grundrechte gebunden, wie das Beispiel einer von der IHK organisierten Werbekampagne illustriert[6]. Während Dritte bei Empfehlungen oder Werbekampagnen einen Folgenbeseitigungs- und Unterlassungsanspruch nur dann haben, wenn sie in ihren Rechten beeinträchtigt werden[7], steht Kammermitgliedern nach der Rechtsprechung ein mitgliedschaftlicher Unterlassungsanspruch bei jeder Aufgabenüberschreitung zu, ohne dass sie eine Rechtsverletzung durch die konkrete Maßnahme geltend machen müssten[8]. Denkt man diesen Ansatz konsequent zu Ende, kann mit diesem Anspruch auch die Verletzung anderer Grundrechte und vor allem auch der Grundfreiheiten geltend gemacht werden, die ja ebenfalls (insbesondere in Verbindung mit dem Gesetzesvorbehalt) für die Kammer kompetenzbegrenzende Wirkung entfalten. Das Verhältnis dieses „kammerrechtlichen“ Unterlassungsanspruches zum allgemeinen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch ist nicht abschließend geklärt (s. Rn 81).
Außerdem bestehen im Innenverhältnis organschaftliche Mitgliedschaftsrechte, die mit dem der Kommunalverfassungsstreitigkeit vergleichbaren Organstreitverfahren geltend gemacht werden können. Die Reichweite solcher Ansprüche ist allerdings umstritten und ihre Existenz wurde vom BVerwG abgelehnt[9]. Richtigerweise sind derartige Ansprüche auf Partizipation allerdings notwendiges Korrelat zur Pflichtmitgliedschaft[10].
Anmerkungen
Ruthig, in: Ruthig/Storr, Rn 205 f. Ausf Kluth, Handbuch des Kammerrechts, 2. Aufl 2011.
Anders geregelt ist demgegenüber die Pflichtmitgliedschaft in Sicherungseinrichtungen, die ausländischen Unternehmen gerade verschlossen ist, ohne dass die Rspr darin eine Diskriminierung erblickt, vgl BVerwG, NJW-RR 2011, 1250 zu Sicherungsfond für Lebensversicherungen (§ 124 Abs. 1 VAG).
Als aktuelle Fälle insbesondere BVerwG, NVwZ 2017, 70; VGH BW DÖV 2017, 258; vgl außerdem OVG Koblenz, GewArch 2011, 326 (IHK); OVG Bautzen, DStR 2011, 2020 (Steuerberaterkammer); s. auch Kirchberg, NJW 2009, 1313. Zur Verfassungsmäßigkeit der Zwangsmitgliedschaft BVerfG, NVwZ 2002, 335; BVerwG, NVwZ-RR 2010, 882; s. auch Kluth, NVwZ 2002, 298; Löwer, GewArch 2000, 89.
BVerfG v. 12.7.2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1106/13.
Die Rechtsprobleme entsprechen denjenigen des öffentlichen Wettbewerbsrechts, s. den Überblick bei Schöbener, in: Kluth, Handbuch des Kammerrechts, 2. Aufl, § 14 Rn 115 ff.
Der Fall ist insoweit angelehnt an EuGH v. 17.6.1981, Rs. C-113–80 – „Buy Irish“, Rn 21, Slg 1981, 1625. Zu allgemeinpolitischen Stellungnahmen BVerwGE 137, 171 = NVwZ-RR 2010, 882; zur Verkehrspolitik („Stuttgart 21“) VG Stuttgart, NVwZ 2011, 895.
Ausf Schöbener, in: Kluth, Handbuch des Kammerrechts, 2. Aufl, § 14 Rn 218 ff. Zum Anspruch auf Austritt aus dem privatrechtlichen Dachverband, sofern dieser seine Kompetenzen überschritten hat vgl BVerwG NVwZ 2017, 70.
Auch dazu Schöbener, in: Kluth, Handbuch des Kammerrechts, 2. Aufl, § 14 Rn 95 ff.
BVerwGE 120, 255, das ein Akteneinsichtsrecht des einzelnen Kammermitglieds abgelehnt hat; weiter zuvor OVG Münster, NVwZ 2003, 1526. S. auch Schöbener, GewArch 2008, 329; ders., in: Kluth, Handbuch des Kammerrechts, 2. Aufl, § 14 Rn 113 f.
BVerfG v. 12.7.2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1106/13 prüft das Demokratieprinzip allerdings ausschließlich im Kontext der Rechtfertigung