Fall 3 Straßenbahn › Lösungswege
Lösungswege
I. Ansprüche des A gegen F
1. Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 I BGB
A könnte einen Anspruch auf Ersatz des ihm entstandenen Schadens nach § 823 I BGB haben.
a) Rechtsgutsverletzung
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Die Verbrennungen, die er erlitten hat, stellen sowohl eine Körperverletzung (Eingriff in die körperliche Integrität) als auch eine Gesundheitsschädigung (Störung innerer Lebensvorgänge) dar.
b) Verkehrssicherungspflicht
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F hat die Verletzungen des A nicht durch aktives Tun verursacht. Das haftungsbegründende Verhalten bei § 823 I BGB kann jedoch auch in einem Unterlassen liegen.[1] Eine Unterlassung kann einem pflichtwidrigen Tun aber nur dann gleichgestellt werden, wenn eine Rechtspflicht zur Abwendung des Erfolgs, also zur Verhinderung der Rechtsgutsverletzung bestand.[2] Zudem muss die Vornahme der gebotenen Handlung den Schaden auch verhindern können.[3] Diese Rechtspflicht wird als Verkehrs- oder Verkehrssicherungspflicht bezeichnet.
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Vertiefungs- und Aufbauhinweis:
Die Prüfung von Verkehrspflichten bereitet Studierenden immer wieder Schwierigkeiten, was unter anderem daran liegt, dass die genaue Verortung, Bedeutung und das Verständnis der Verkehrspflichten extrem umstritten sind.[4] Gleichwohl ist unbestreitbar, dass die Verkehrspflichten eine zentrale Rolle im Deliktsrecht einnehmen und für die Gerichtspraxis schlicht unverzichtbar geworden sind. In den Verkehrspflichten kommt ein allgemeiner Grundsatz zum Ausdruck, der die Verantwortlichkeit für einen eingetretenen Schaden sowohl begründen als auch begrenzen soll.[5] Es geht letztlich um die Begründung von Sorgfaltspflichten und deren Umfang.[6] Bedeutung haben die Verkehrspflichten daher in den Fällen, in denen sich die Handlungspflicht nicht von selbst ergibt, mithin bei Unterlassungen und mittelbaren Verletzungshandlungen.[7] Eine der praktischen Schwierigkeiten für Studierende besteht bereits darin, dass umstritten ist, an welcher Stelle die Verkehrspflichten zu prüfen sind. Neben sehr speziellen Ansichten, nach denen Verkehrspflichten nicht einmal Teil von § 823 I BGB sein sollen,[8] finden sich Auffassungen, nach denen sie im Tatbestand oder im Rahmen der Rechtswidrigkeit und gegebenenfalls davon unabhängig nochmals bei Prüfung des Verschuldens angesprochen werden sollen.[9] Welchem Prüfungsaufbau gefolgt wird, sollte für den Erfolg einer Klausur oder Hausarbeit unerheblich sein, solange dem gewählten Aufbau konsequent nachgegangen wird. In dieser Falllösung wird das Vorliegen einer Verkehrspflicht als Begründung für den Vorwurf des Unterlassens bereits im Tatbestand erörtert.[10] Unabhängig von der Entscheidung der Aufbaufrage ist bei Prüfung der Verkehrspflichtverletzung zunächst eine Verkehrspflicht zu begründen und deren Umfang zu konkretisieren. Noch immer findet sich häufig die (vereinfachende) Formel, deliktisch relevante Handlungspflichten ergäben sich aus Gesetz, Vertrag oder vorangegangenem Tun (Ingerenz). Allerdings hat sich die tatsächliche Rechtsentwicklung von dieser Beschreibung sehr weit entfernt.[11] Den Studierenden kann diesbzgl. nur geraten werden, in ihrem Studium neben einschlägiger Literatur auch die Rechtspraxis in Form von Urteilen zur Kenntnis zu nehmen, um anhand dieser Muster die Argumentationstechnik zur Begründung bzw. Ablehnung von Verkehrspflichten zu erlernen.[12]
Zur Begründung einer Handlungspflicht des F kommen vorliegend zwei Ansätze in Betracht: eine allgemeine Verkehrspflicht gegenüber hilflosen Personen und eine besondere Verkehrspflicht, deren Begründung in der Dienstanweisung der S-AG liegen könnte.
aa) Allgemeine Verkehrssicherungspflicht
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Nachdem A dem F zu erkennen gegeben hatte, dass er zu weit gefahren war, ließ ihn F im Waggon sitzen, ohne sich weiter mit ihm zu beschäftigen. Als Fahrer einer Straßenbahn im öffentlichen Verkehr muss sich F um erkennbar hilfsbedürftige Personen kümmern, die sich in dieser Bahn aufhalten. Dies ergibt sich mittelbar aus der Verkehrspflicht, die originär der Betreibergesellschaft obliegt. Die S-AG betreibt einen Verkehr, bei dem sie alle entstehenden Gefahren ausschließen bzw. so gering wie möglich halten muss.[13] Diese Pflicht kann sie teilweise auf ihre Angestellten delegieren, so dass sie selbst nur noch eine allgemeine Überwachungspflicht trifft. F tritt dadurch kraft vertraglicher oder auch faktischer Übernahme in die delegierte Pflicht seines Arbeitgebers ein.
Fraglich ist, ob F diese Pflicht verletzt hat. Immerhin ist er durch die Waggons gegangen und hat den schlafenden A geweckt und angesprochen. Genau dieses Verhalten hat das OLG Köln in seiner ersten Entscheidung von einem sorgfältigen Straßenbahnfahrer gefordert.[14] Besonders nachts, wenn nur noch wenige Fahrgäste unterwegs sind, bedarf es nach Ansicht des OLG einer Kontrolle auch der hinteren Wagenteile, um festzustellen, ob Gefahrenquellen für hilflose Personen ersichtlich sind. Es sei damit zu rechnen, dass gerade betrunkene Fahrgäste nicht angemessen auf Gefahren reagieren könnten.
Im rechtlichen Ausgangspunkt bestätigte der BGH die allgemeinen Kontroll- und Überwachungspflichten von Straßenbahnfahrern.[15] Er stellte auch fest, dass eine erhöhte Aufmerksamkeit zu fordern sei, wenn eine schlafende Person an der Endhaltestelle sitzen bleibe. Wenn aber keine weiteren, konkreten Anhaltspunkte für eine gefährliche Lage ersichtlich seien, müsse der Fahrer nichts Weiteres unternehmen.
Somit ist zu prüfen, ob von F ein weitergehendes Verhalten zu fordern war. Dies wäre dann der Fall, wenn A erkennbar hilfsbedürftig war und eine gefährliche Situation als vorhersehbar betrachtet werden muss. An diesem kritischen Punkt ist auf den konkreten Sachverhalt einzugehen:
A wies eine Blutalkoholkonzentration von 2,5 Promille auf. Dies bedeutet aus medizinischer Sicht, dass bei einem nicht sehr alkoholgewöhnten Menschen bereits eine Alkoholvergiftung vorliegt. Die hochgradige Trunkenheit des A war angesichts der lallenden Sprache und allgemeinen Verhaltensweise offensichtlich. Auch hatte F einige Mühe, den A überhaupt aufzuwecken.
Ein hochgradig betrunkener und übermüdeter