Studierende, insb. Anfänger, überschätzen die Reichweite dieser Einschränkung der Äquivalenztheorie regelmäßig. Nach der Rechtsprechung ist eine objektive, nachträgliche Prognose über die Gefahrenlage abzugeben. Dabei sollen alle einem optimalen Betrachter zum maßgeblichen Zeitpunkt erkennbaren Umstände berücksichtigt[25] und alles zur Verfügung stehende Erfahrungswissen herangezogen werden.[26] Adäquate Kausalität wurde etwa angenommen bei Impfschäden, obgleich die Schadenswahrscheinlichkeit geringer als 0,01 % war.[27] Es handelt sich hier um ein Kriterium zur Bestimmung der äußersten Grenzen der Zurechnung (ein unterhaltsames Beispiel: Verletzung einer aufgeschreckt vom Kratzbaum springenden Hauskatze durch nächtlich eingehendes Fax ist kein adäquat kausaler Ursachenzusammenhang[28]).
In der Literatur wird die Adäquanzprüfung mit gewichtigen Argumenten teilweise als vollkommen überflüssig angesehen.[29] Sie sei zur Begrenzung der Haftung kein sinnvolles Kriterium,[30] die Rechtsprechung habe kein einheitliches Modell der Adäquanz entwickeln können, und die wenigen Fälle, die mit diesem Kriterium gelöst würden, ließen sich auch durch entsprechende Anwendung der Lehre vom Schutzzweck der Norm bewältigen.[31] Die dogmatisch gewichtigen Argumente der Gegner der Adäquanztheorie sind in einer juristischen Klausur jedoch in aller Regel entbehrlich. Ob eine Haftungseinschränkung für einen konkreten, bei Zweifeln an der Adäquanz ohnehin mit Ausnahmecharakter versehenen Vorgang über die Adäquanztheorie oder über die Lehre vom Schutzzweck der Norm erfolgt, hat kaum praktische Bedeutung und kostet im Zweifel dringend anderweitig benötigte Bearbeitungszeit. Zudem sprechen praktische Erwägungen durchaus für eine Beibehaltung der tradierten Kriterien von mittlerweile mehr als 100 Jahren Rechtsprechung.[32]
e) Mitverschulden
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Das grobe, selbstschädigende Fehlverhalten des A ist bei der Frage nach seinem Mitverschulden in Anschlag zu bringen (§ 254 BGB). Ein etwaiger Schadensersatzanspruch des A ist zumindest erheblich zu mindern. Es könnte sogar erwogen werden, ob sein eigener Verursachungsbeitrag so stark wiegt, dass er zu einem gänzlichen Ausschluss des Anspruchs führt.[33]
Selbstgefährdungen bzw. -schädigungen sind nicht verboten (Argument: § 903 BGB). Deshalb ist der Begriff des Verschuldens in § 254 BGB anders auszulegen als im üblichen Sinne des § 276 BGB. Es geht nicht um die vorwerfbare rechtswidrige Verletzung einer gegenüber anderen bestehenden Rechtspflicht, sondern um einen vorwerfbaren Verstoß gegen Gebote der eigenen Interessen (so genannte Obliegenheiten). Man spricht deshalb im Zusammenhang mit § 254 BGB von einem Verschulden gegen sich selbst.[34] Der Geschädigte ist mitverantwortlich, wenn er in zurechenbarer Weise an der Schadensentstehung mitgewirkt hat. In erster Linie sind insoweit die Verursachungsbeiträge der Beteiligten gegeneinander abzuwägen.
A hat den weitaus schwerer wiegenden Beitrag zur Schadensentstehung geleistet. Daneben ist eine Verschuldensabwägung vorzunehmen, wobei wiederum A die Hauptlast trifft. Er hat Zeitungen vor den Warmluftschacht gelegt, dazu eine Plastiktasche. Schon allein dadurch entsteht eine gewisse Brandgefahr. Vor allem aber befanden sich in seiner Tasche Streichhölzer und Feuerwerkskörper, die sodann explodierten und nach aller Wahrscheinlichkeit den Umfang der Verletzungen um ein Vielfaches steigerten.
Ein Mitverschulden nach § 254 BGB setzt aber in entsprechender Anwendung des § 827 BGB auch die Zurechnungsfähigkeit des Geschädigten voraus.[35] Eine vorübergehende Störung der Geistestätigkeit, die zum Ausschluss der Zurechnungsfähigkeit führen würde, wird nach ständiger Rechtsprechung freilich erst ab einer Blutalkoholkonzentration von 3 Promille angenommen.[36] Es handelt sich hierbei nicht um eine starre Grenze. Für einen Ausschluss schon bei 2,5 Promille müssten aber besondere Anhaltspunkte im Sachverhalt vorhanden sein. A hätte dann ersichtlich stärker auf den konsumierten Alkohol reagiert haben müssen, insb. weit stärker, als ein durchschnittlicher Konsument. Dafür sind im Sachverhalt – trotz des tragischen Unfallhergangs – keine ausreichenden Anzeichen ersichtlich.
Auch dann, wenn man von einer fehlenden Zurechnungsfähigkeit ausginge, wäre ein Mitverschulden im Ergebnis zu bejahen. Man stellt sinngemäß auf § 827 S. 2 BGB ab. Da A sich vorsätzlich betrank, ist der Zustand der Trunkenheit unerheblich. Der Gruppenzwang auf der Feier entlastet ihn keinesfalls.
Zu diskutieren bleibt das Ausmaß des Mitverschuldens. Die genaue Festlegung der Mitverschuldensquote bereitet nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Jedenfalls dürfte diese keinesfalls 50% unterschreiten, ohne weiteres wären Quoten von 75%, 80% womöglich gar 90% denkbar. Ein Ausschluss der Haftung aufgrund des Mitverschuldens (Mitverschulden von 100%) erscheint hingegen nicht unbedenklich.
Hinweis für die Fallbearbeitung:
Für Studierende ist es meist schwierig, eine genaue Mitverschuldensquote anzugeben. Wichtig ist, dass bei Festlegung der Quote möglichst alle Gesichtspunkte argumentativ dargelegt werden. Dann kann ein Korrektor nachvollziehen, welche Erwägungen dazu veranlasst haben, eine bestimmte Quote auszuwählen. Von vielen Prüfern im 1. Examen wird aber nicht einmal erwartet, dass die Bearbeiter eine bestimmte Quote beziffern.
f) Inhalt des Schadensersatzanspruchs
Ein Schadensersatzanspruch setzt zunächst einen Schaden voraus, der sich im Ausgangspunkt nach der Differenzhypothese i. S. v. § 249 BGB bemisst. Man vergleicht die Vermögenslage des A nach dem schädigenden Ereignis mit dem hypothetischen Vermögen, das ohne das schädigende Ereignis bestünde.[37]
aa) Heilbehandlungskosten und Geldrente
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Gemäß § 249 II 1 BGB kann A die Kosten für die Heilbehandlung von F erstattet verlangen. Außerdem ist an eine Geldrente nach § 843 BGB zu denken. A trägt bleibende, schwerwiegende Schäden davon. Sollten sie ihn daran hindern, sein Studium wie geplant zu beenden oder verursachen sie vermehrte Bedürfnisse, so ist eine Geldrente zu gewähren.
bb) Schmerzensgeld
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Ferner könnte A ein Schmerzensgeld zustehen nach § 253 II BGB, der eine Ausnahme von dem Grundsatz statuiert, dass Nichtvermögensschäden nicht ersatzfähig sind. Es soll ein Ausgleich geschaffen werden für die nachteiligen Folgen in Bezug auf die körperliche und seelische Verfassung, die Schmerzen, die Bedrückung infolge körperlicher Entstellungen und eine Schmälerung der Lebensfreude.[38]
Die Höhe des Anspruchs wird vom Richter nach freiem Ermessen festgelegt (§ 287 ZPO).[39] Bemessungsgrundlagen sind vor allem das Ausmaß der Störung, Alter, persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse des Verletzten und des Schädigers. Bei den Verletzungen des A erscheint, wenn man die neuen Tendenzen der Rechtsprechung zur Erhöhung der Schmerzensgeldsummen zugrunde legt, eine Summe bis zu einer halben Million Euro vorstellbar. Allerdings fließt das Mitverschulden als ein Bewertungsfaktor in die Bemessung ein, was eine massive Reduzierung bewirken muss.
cc) Aufwendungen und Verdienstausfall der Mutter
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Fraglich ist, wie die Fahrt- und Übernachtungskosten der Mutter des A zu beurteilen sind. Es handelt sich dabei strenggenommen um einen Schaden der Mutter. Diese ist jedoch nur mittelbar Geschädigte, weshalb ihr nach der Konzeption des BGB grundsätzlich keine Ersatzansprüche zustehen. Das Verhalten des F führte zu einer Rechtsgutsverletzung des A, aber nicht der Mutter. Diese hat lediglich einen Vermögensschaden, den sie aber gegenüber F mangels einer eigenen Anspruchsgrundlage nicht geltend machen kann. Von dem Grundsatz, dass mittelbar Geschädigte keine Ansprüche haben, gibt es nur wenige Ausnahmen: vor allem