Beispiel:
Im (Konzern)Bilanzwesen wurde 1998 mit § 342 HGB die Grundlage für ein privates Rechnungslegungsgremium, den durch das Bundesministerium der Justiz (BMJ) anerkannten sog. Deutschen Standardisierungsrat (DSR) geschaffen[428]. Aufgabe dieses mit unabhängigen Fachleuten besetzten Gremiums ist es, die Rechnungslegungsstandards kontinuierlich an neue Erfordernisse anzupassen und Empfehlungen für eine ordnungsgemäße Konzernrechnungslegung zu entwickeln. Wenn die Empfehlungen vom BMJ bekannt gemacht werden, gilt bei einem nach den Regeln des DSR aufgestellten Konzernabschluss gem. § 342 Abs. 2 HGB die Vermutung, dass der Abschluss den Regeln ordnungsgemäßer Buchführung entspricht[429].
(3) Private Normensysteme zur Umsetzung supranationaler und völkerrechtlicher Verpflichtungen
199
Bislang kaum diskutiert sind diese Legitimationsfragen und mögliche Beschränkungen der Kompetenzen nationaler Gesetzgeber bei der Bewertung von Normen europäischer und internationaler Normungsinstitute. Zu diesen Instituten gehören auf europäischer Ebene unter anderem CEN, CENELEC und ETSI[430]. Unter den internationalen Normungsorganisationen kommt vor allem der International Standard Organisation (ISO) und den von ihr erlassenen ISO-Normen sowie der International Electronical Commission (IEC) besondere Bedeutung zu. Die Europäischen Normungsinstitute erlassen sog. EN-Normen, die von jedem Mitglied in das eigene Normwerk übernommen werden müssen und entgegenstehenden nationalen Normen vorgehen[431].
Die internationalen Normungsorganisationen wurden von den Mitgliedern der WTO vor allem deshalb eingesetzt, um durch eine weitreichende internationale Harmonisierung von Standards – insbesondere technische – Handelshemmnisse zu beseitigen[432]. Soweit welthandelsrechtliche Übereinkommen auf diese Standards Bezug nehmen, werden diese Normen auch national verbindlich. Im Einzelfall handelt es sich damit um versteckt supranationale Normen[433].
Soweit mit solchen Normen internationale und supranationale Verpflichtungen umgesetzt werden, handelt es sich also nur der Form nach um private Regelwerke. Material werden Vorgaben umgesetzt, die im Rahmen eines mehrstufigen Prozesses mehr oder weniger starker gubernativer und damit hoheitlicher Rechtssetzung entstanden sind. Die Zulässigkeit gubernativer Rechtssetzung ist von Rechts wegen grundsätzlich anerkannt[434]. Die Privaten sind in die hoheitliche Aufgabenerfüllung eingebunden und ermöglichen es dem Hoheitsträger, sich auf eine näher definierte Ergebnisverantwortung zu beschränken[435]. Der Hoheitsträger sichert von ihm erwartete Qualitätsstandards durch entsprechende Akkreditierungsverfahren. Er beteiligt die maßgebenden Interessengruppen in einer Weise an den Verfahren, dass externe Effekte möglichst verhindert werden. Die Verfahren werden dazu so gestaltet, dass alle Interessengruppen ihre berechtigten Anliegen durchsetzen können und keine Gruppe in Kooperation mit einer anderen Gruppe berechtigte Anliegen unterdrücken kann. Daneben verstärkt der Hoheitsträger präventive und begleitende Aufsichtselemente[436].
c) Exkurs 2: Individuelle Spezifizierung ökonomischer und primärrechtlicher Verhaltensordnung
200
Während private Regelwerke mit hoheitlichen Normen steuerungstechnisch noch die abstrakt-generelle Wirkung gemeinsam haben, gibt es gerade im Wirtschaftsprozess häufig Fälle, in denen abstrakt-generelle Regelungen aufgrund der Spezialisierung der Wirtschaftsteilnehmer nicht vorhanden oder nicht darstellbar sind[437]. So können etwa im Umwelt- und technischen Sicherheitsrecht materielle Entscheidungskriterien aufgrund von Wissens- und Bewertungsproblemen nur schwer vorgegeben werden. Das Recht hat daher in diesen Bereichen einerseits bekannte Risiken abzuwehren und vor unbekannten Gefahren Vorsorge zu treffen, und andererseits mit einem gewissen Grad an Unsicherheit umzugehen[438].
Um gleichwohl einen sinnvollen Wirtschaftsrahmen bestimmen zu können, legen private Wirtschaftssubjekte und Hoheitsträger den von Rechts wegen geforderten normativen Standard immer häufiger gemeinsam fest. Die Hoheitsträger beschaffen sich durch Umweltverträglichkeitsprüfungen oder die Beteiligung verschiedenster Interessengruppen in Anhörungs- und Beteiligungsverfahren zunächst die für eine Entscheidung notwendige Information. In einem zweiten Schritt fixieren sie in einer konkreten Verwaltungsentscheidung etwa in Form eines Verwaltungsaktes, eines Planfeststellungsbeschlusses oder eines öffentlich-rechtlichen Vertrages den Handlungsrahmen der einzelnen Wirtschaftsteilnehmer.
d) Ergebnis: Rechtsordnung als Grundlage einer normativ verbindlichen Ordnungsethik
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Der auf die beschriebene Weise zustande kommende rechtliche Handlungsrahmen bildet für die Ökonomie damit die Grundlage einer normativ verbindlichen Ordnungsethik[439]. Die Rechtsordnung dokumentiert den für die Gesellschaft gefundenen Ausgleich zwischen den Interessenträgern, die Verteilung verschiedener Risiken auf die Mitglieder der Gemeinschaft und den Umgang mit Unsicherheit. Um diese Aufgaben zu erfüllen, verfügt die Hoheitsgewalt über ein breites Spektrum an Handlungsformen, die sie grundsätzlich nach Erfordernissen der Zweckmäßigkeit einsetzen kann. Diese rechtliche Rahmenordnung dient damit zugleich als Handelnsordnung für ökonomisches Verhalten[440]. Grenzen bestehen dort, wo in qualifizierter Weise manipulativ in diese Konstitutionsprozesse eingegriffen wird[441].
Strukturell führt die rechtliche Verhaltensordnung insoweit zu einer ökonomischen Ordnungsethik, als innerhalb der Ordnungsethik eine zur rechtlichen Normenpyramide parallele Konkretisierung der ethischen Grundsätze formuliert werden kann: An der Spitze dieser Pyramide stehen Rechte in Form von Eigentumsrechten, ihnen entgegenstehende Wirtschaftsbürgerrechte und Kommunikationsrechte[442]. Die Stütze dieser Rechte bilden auf mittlerer Stufe sogenannte Rechnungsnormen[443]. Mit derartigen Rechnungsnormen sollen die Anreizstrukturen des Marktes am zentralen Ort der Kostenkalküle aller Marktteilnehmer entsprechend den zunächst formulierten Rechten verändert werden. Um dies zu erreichen, sollen Berechnungsnormen in Form von staatlichen Preisberechnungsvorschriften, wie zum Beispiel bei der Preisbildung am Wohnungsmarkt, oder Sanktionsnormen eine unerwünschte Marktmacht verhindern. Zurechnungsnormen sollen unerwünschte Verteilungseffekte korrigieren[444]. Randnormen sollen als Basis des wirtschaftlichen Handelns den Rahmen definieren, innerhalb dessen ein Markt stattfinden soll[445]. Der Rahmen des Marktes muss freilich auf verschiedene Art und Weise bestimmt werden. So sollen Grenzwerte, etwa in Bezug auf Emissionen, Schadstoffbelastungen, Minimallöhne oder Arbeitszeiten, konkrete Marktergebnisse vorgeben[446]. Normen räumlicher und zeitlicher Marktbegrenzung limitieren Märkte etwa in Form von Zöllen, Ladenöffnungszeiten oder Sperrstunden[447]. Zulassungsnormen machen den Zugang zu einem Markt von der Erfüllung persönlicher Voraussetzungen, wie etwa dem Alter, oder Qualifikationsstandards, etwa Sicherheits- oder Hygienestandards, abhängig[448]. Für bestimmte, insbesondere auch für öffentliche Güter kann der Markt schließlich vollkommen ausgeschaltet werden. Für welche Güter dies in welchem Umfang geschehen soll, ist wiederum eine ordnungspolitische Entscheidung[449].
2. Konvergenz ökonomischer und strafrechtlicher Verhaltensordnung
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Da das Strafrecht im Wesentlichen (nur) die Voraussetzungen für das Verhängen einer Sanktion als Reaktion auf ein Fehlverhalten festlegt, ist es bereits seiner Natur nach auf die Rezeption der Rechtsordnung als sozialer Handlungsordnung angelegt. Formal werden die Verhaltensnormen insbesondere über Verletzungs- und Gefährdungsdelikte rezipiert; material betont die Strafe, verstanden als Kosten