IV. Zusammenfassung
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Die vorstehende Untersuchung der Konvergenz strafrechtlicher und ökonomischer Steuerungsmechanismen hat gezeigt, dass die Konvertibilität ökonomischer und (straf)rechtlicher Verhaltensordnung jeder hoheitlichen Entscheidung für die Zulassung freier unternehmerischer Aktivität implizit ist und damit eine der elementarsten Prämissen darstellt, die jeder Wirtschaftsordnung zugrunde liegen.
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Dieser Gedanke ist deshalb richtig, weil Strafen verstanden als Preis der Tat unter ökonomischen Blickwinkel soziale Entscheidungsregeln in Situationen des Wettbewerbs etablieren. Sie sind eine vom Gesetzgeber festgelegte bzw. für die Konkretisierung im Einzelfall der Exekutive überantwortete Zielvorgabe für die Wirtschaftsteilnehmer. Sie reduzieren die in einer Situation gegebenen komplexen Handlungsmöglichkeiten insoweit, als sie einzelne Handlungen als normativ unzulässig aus dem Kreis möglicher Entscheidungsalternativen ausscheiden.
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Die genauen Funktionszusammenhänge dieser Konvertibilität sind bislang zwar schon öfters behauptet worden, sie waren aber noch nie Gegenstand eingehender strafrechtstheoretischer Untersuchungen und wurden daher im Ausgangspunkt zunächst für individuelles Handeln dargelegt. Die Notwendigkeit von Gesetzgebung wurde als Reaktion auf tatsächliche oder unterstellte Zielkonflikte privater und öffentlicher bzw. individueller und genereller Interessen begründet. Die Gesetzgebung hat damit zur Aufgabe, ein Zielsystem zu etablieren, das als Kompromiss zwischen den beteiligten Instanzen (mit konkurrierenden Zielvorstellungen) verstanden werden kann. Die Sanktion ist das zentrale Instrument, dieses Zielsystem gerade auch beim grundsätzlich am Eigeninteresse ausgerichteten homo oeconomicus durchzusetzen. Der kalkulierende homo oeconomicus wird insbesondere die generalpräventive Wirkung der Strafe auch im Verkehr mit anderen in Rechnung stellen, sodass die Sanktion insgesamt dazu helfen kann, Transaktionskosten zu senken und neue Freiheitsräume – zum Beispiel den Warenaustausch im weitgehend anonymen Verkehr – zu schaffen. Strafe kann daher sowohl erwünschte Kooperationen stabilisieren als auch gezielt zur Destabilisierung unerwünschter Kooperationen eingesetzt werden. Die moderne Strafrechtsdogmatik stellt insoweit Mechanismen bereit, die es erlauben, Handlungsräume nicht nur abstrakt-generell, sondern auch konkret-generell und sogar konkret-individuell abzugrenzen.
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Für Unternehmen wurde herausgearbeitet, dass Unternehmen aus der Perspektive eines methodologischen Individualismus als eine Vielzahl miteinander verknüpfter linearer Verantwortungsstränge verstanden werden müssen[499]. Da dabei die Folgen der Gesamttätigkeit für den Einzelnen leicht außer Blick geraten können, geben hier die strafrechtlich sanktionierten Normen einer Unternehmung ein Sollprofil vor. Gerade in Situationen besonderer Komplexität ist hier fremdgestaltendes Eingreifen der Leitungspersonen eines Unternehmens erforderlich. Die in jüngerer Zeit entwickelten managementtechnischen Methoden ermöglichen es, die ordnungsrechtlichen Vorgaben als Grundlage für die Ausbildung eines Konzepts der „organisierten Verantwortlichkeit“ einer Unternehmung in einer komplexen Gesellschaft zu nehmen. Neuere organisationspsychologische Erkenntnisse zeigen freilich zugleich die faktischen Grenzen solcher organisatorischer Maßnahmen auf und sollten daher auch die normativen Handlungserwartungen gerade an Leitungspersonen limitieren.
Teil 1 Grundlagen zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts › D. Fundierung eines individualistisch orientierten Wirtschaftsstrafrechts im Wirtschaftsverfassungsrecht
D. Fundierung eines individualistisch orientierten Wirtschaftsstrafrechts im Wirtschaftsverfassungsrecht
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Nachdem bislang zunächst das Konzept eines vertragstheoretisch orientierten Wirtschaftsstrafrechts allgemein vorgestellt wurde[500], wurden sodann die Möglichkeiten einer wechselseitigen Angleichung strafrechtlicher und ökonomischer Steuerungsmechanismen abstrakt untersucht und die Bedeutung der beiden Subsystemen vorgelagerten rechtlichen Verhaltensordnung hervorgehoben[501]. Im Folgenden werden diese abstrakten Konzeptionen mit der konkreten Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik Deutschland verknüpft.
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Die Ausführungen zur Wirtschaftsverfassung orientieren sich primär an der Ordnungsfunktion des Staates[502]. Das entspricht zum einen dem Ziel der gesamten Untersuchung, ein Modell für die seitens des Staates mit seinem Gewaltmonopol zu etablierende strafrechtliche Rahmenordnung für die sozialen Interaktionen bei wirtschaftlichem Handeln zu entwickeln. Zum anderen hat sich gerade die Ordnungsfunktion historisch-empirisch als Konstante und Kristallisationspunkt des Staatsbegriffs erwiesen[503], sodass damit auch die Einbindung der Gesellschaft in internationale und supranationale Organisationen berücksichtigt werden kann.
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So werden aus einer wirtschaftstheoretischen Perspektive die positiven Vorgaben und Handlungsdeterminanten für die wirtschaftliche Betätigung entwickelt[504]. Daraus sollen die Aufgabenbereiche legitimer Staatstätigkeit konkretisiert werden. Aus wirtschaftsstrafrechtlicher Perspektive geht es dann darum aufzuzeigen, wo die von der Verfassung garantierten Handlungsfreiheiten eines strafrechtlichen Schutzes bedürfen oder umgekehrt Freiräume einfordern, die eine Strafrechtsgesetzgebung begrenzen.
Teil 1 Grundlagen zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts › D › I. Verfassungsrechtliche Determinanten für ökonomisches Individualhandeln
1. Die Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik Deutschland
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Im Unterschied zur Weimarer Verfassung[505] enthält das Grundgesetz keinen besonderen Abschnitt zur staatlichen Gestaltung der Wirtschaftsordnung. Das Bundesverfassungsgericht kam daher in der sog. Investitionshilfe-Entscheidung aus dem Jahr 1954 zu der These von der „wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgesetzes“[506]. Danach schien es so, als dürfe der nationale Gesetzgeber grundsätzlich jede von ihm für sachgerecht gehaltene Wirtschaftspolitik betreiben. Die These war freilich bereits zur damaligen Zeit nicht haltbar.
a) Der normative Ausgangspunkt der Wirtschaftsverfassung und wirtschafttheoretische Implikationen (Freiburger Schule)
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Der durch das geschriebene Verfassungsrecht eingeräumte Spielraum war bei Weitem nicht so groß, wie in der Investitionshilfe-Entscheidung angenommen wurde und die Väter der Verfassung es vielleicht[507] gedacht haben mögen. Erhebliche wirtschaftspolitische Grenzen folgen schon aus der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung in den Art. 70 ff., 83 ff. GG, den aus Art. 20 Abs. 1, 3 und 28 Abs. 1 S. 1 GG zu entnehmenden Prinzipien des Rechts- und Sozialstaats sowie aus den grundrechtlichen Verpflichtungen des Staates gegenüber den Bürgern. Die Neutralität des Grundgesetzes gegenüber der Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung ist bereits danach im Grunde eine nur begrenzte Offenheit des Grundgesetzes gegenüber der politischen Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung[508].
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Die Verpflichtung der Politik auf das Sozialstaatsprinzip verbietet zunächst eine extrem liberale Wirtschaftspolitik. Die Freiheitsrechte in Art. 9, 12 und 14 GG schließen extrem zentralverwaltungswirtschaftliche Wirtschaftspolitiken aus und stimmen in wichtigen Teilen mit der Wirtschaftsverfassung der Weimarer Republik überein[509]. Da fast alle Grundrechte für das Wirtschaftsleben eine mehr oder weniger große Bedeutung erlangen, folgen aus der Verfassung damit erstaunlich konkrete Einzelvorgaben[510]. Beispiele für die Bedeutung einzelner Grundrechte sind die Menschenwürde bei Fragen der gewerberechtlichen Erlaubnis einer Peepshow, die Presse- und Rundfunkfreiheit im Medienstrafrecht oder das