1.1.3 Enhancement
Der aus dem Englischen übernommene Neologismus „EnhancementEnhancement“ von „to enhance“: „Steigerung, Erhöhung“ wurde bereits in den 1990er Jahren in der Bioethik und der Technikfolgenabschätzung geprägt, als in verschiedenen Bereichen wie Humangenetik, Chirurgie und Pharmakologie neue wirkmächtige Technologien entwickelt wurden (vgl. Coenen u.a., 11). Zwar scheint beim „Enhancement“ anders als bei der „Optimierung“ die Vorstellung eines zu erreichenden „Optimums“ zu fehlen, aber wie gesehen meint auch Selbstoptimierung letztlich immer den Prozess einer schrittweisen Selbstverbesserung (1.1.1). Anders als die „Selbstoptimierung im weiten Sinn“ beschränkt sich das „Enhancement“ jedoch auf naturwissenschaftlich fundierte und technisch voraussetzungsvolle Methoden zur menschlichen Verbesserung, vornehmlich aus Medizin, Biochemie und den Neurowissenschaften. „Enhancement“ kann also mit der Selbstoptimierungenger/weiter BegriffSelbstoptimierung im engen Sinn gleichgesetzt werden und stellt eine Sonderform von Selbstoptimierung dar (vgl. Balandis u.a., 137/Röcke, 321f.). Gemäß der in der Bioethik geläufigen Begriffsbestimmung meint Enhancement im Allgemeinen bzw. das biomedizinische EnhancementEnhancementbiomedizinisches im Besonderen sämtliche Verbesserungen menschlicher Eigenschaften oder Fähigkeiten durch technologische bzw. biomedizinische Interventionen, die nicht dem Zweck einer Therapie von Krankheiten dienen, sondern über ein bestimmtes Maß an „Normalität“ oder „normalem Funktionieren“ eines Menschen hinausgehen (vgl. GesangGesang, Bernward, 4/HeilingerHeilinger, Jan-Christoph, 91f./Woyke, 21f.). Demgegenüber umfasst im alternativen Definitionsansatz der Transhumanisten (welfarist definition) „Enhancement“ alle biologischen oder psychischen Veränderungen, die zu einer Steigerung der Chancen auf ein gutes Leben der betreffenden Person führen (vgl. SavulescuSavulescu, Julian u.a., 7). Auch wenn bei dieser Betonung der allgemeinen normativen Bewertungshinsicht ohne Einschränkung der Mittel eine sehr weite Begriffsverwendung vorzuliegen scheint, setzen doch gerade Trans- und Posthumanisten auf neueste Technologien (Kap. 1.4). Im Gegensatz zur bioethischen Definition würden hingegen auch therapeutische Interventionen mit dem Resultat einer verbesserten Lebensqualität zu den Enhancement-Maßnahmen zählen, obwohl die deskriptive Abgrenzung von „Enhancement“ und „Therapie“ durchaus ethisch relevant ist (Kap. 1.3). Da sich diese Einführung auf neue technologische und insbesondere biomedizinische Verbesserungen konzentriert, kann für die thematische Gliederung die in der Enhancement-Debatte bereits gebräuchliche Einteilung in Körper-Enhancement (Kap. 3), Neuro-Enhancement (Kap. 4) und genetisches Enhancement (Kap. 5) verwendet werden.
1.2 Kulturelle Voraussetzungen und Ambivalenz des Selbstoptimierungstrends
1.2.1 Kulturelle Voraussetzungen
Individualisierung
Ideengeschichtlich betrachtet lässt sich der Trend zur Selbstoptimierung als konsequente und logische Fortsetzung verschiedener neuzeitlicher IndividualisierungsschübeIndividualisierungsprozesse verstehen: Auf gesellschaftlicher Ebene verloren traditionelle Sozialzusammenhänge wie Verwandtschaft, Nachbarschaft oder Religionsgemeinschaft immer mehr an Bindungskraft. Zu den großen sozialen und geistesgeschichtlichen Umbrüchen auf diesem Weg zählen die Reformation und die Glaubenskriege mit dem Zerbröckeln eines einheitlichen, stabilen Orientierungssystems, der besonders im Calvinismus geförderte, mit erhöhter Selbstbeobachtung und Selbstdisziplinierung verbundene religiöse Individualismus, die Idealisierung der Innerlichkeit in der Romantik und der drastische Rückgang der religiösen Sozialisierung seit den 1960er Jahren in Europa (vgl. LeefmannLeefmann, Jon, 102). Auf individueller Ebene hat sich in der Aufklärung das in der Renaissance aufkommende Selbstverständnis eines einzigartigen und autonomenAutonomie, s. Freiheit, Willens- Subjekts durchgesetzt, das sich mittels seiner subjektiven Rationalität sein eigenes Gesetz gibt. Dank des Siegeszugs der sich aus ihrem metaphysischen und religiösen Korsett befreienden Naturwissenschaften und der Technik macht sich der neuzeitliche Mensch die äußere Wirklichkeit verfügbar, um seine eigenen Bedürfnisse zu stillen. Unter Zurückweisung vorgegebener traditioneller Rollenbilder und Lebensmuster orientieren sich die Menschen zunehmend an selbst gesetzten Zielen, sodass in den 1960er Jahren ein Wertewandel weg von Pflicht- und Akzeptanzwerten hin zu ästhetischen und Selbstentfaltungswerten diagnostiziert wurde (vgl. Fenner 2003, 467). Auf wirtschaftlicher Ebene wurde die Individualisierung durch eine liberalistische Ökonomie und eine kapitalistische Kultur mit dem Prinzip des freien Marktes begünstigt, in der das individuelle Streben nach Gewinn und dem maximalen Erfüllen der subjektiven Wünsche den zentralen Motor darstellt. Neben seinen zahlreichen negativen Seiten hat der Kapitalismus den meisten Menschen in den westlichen Wohlfahrtsstaaten infolge des Wirtschaftswachstums einen hohen Lebensstandard, eine enormen Erweiterung der Lebensmöglichkeiten, mehr Freiheit, Flexibilität und Mobilität gebracht. Nicht zuletzt auch dank mehr freier Zeit wurden damit die Bedingungen dafür geschaffen, dass die Menschen sich vermehrt mit sich selbst und ihrem Leben beschäftigen konnten. Der aus der Soziologie stammende Begriff der IndividualisierungIndividualisierungsprozesse bezeichnet also den historischen Prozess eines Zugewinns an Autonomie und Wahlmöglichkeiten der Individuen, die sich aus fragwürdig gewordenen metaphysischen, religiösen und sozialen Ordnungssystemen und Strukturen herauslösen.
Je weniger der Einzelne von Gott, dem Schicksal oder der Tradition vorgegebene Aufgaben und Rollenmuster zu übernehmen gewillt ist, desto mehr rückt nun das eigene Selbst als einziger Orientierungspunkt in den Vordergrund und wird zur neuen Quelle von Normativität. Individuelle Selbstgestaltung und Lebensplanung gelten als die großen existentiellen Herausforderung des modernen Menschen, der alle Entscheidungen über Ausbildung, Beruf, Familie und Wohnort selbstreflexiv und selbstverantwortlich treffen und seinen individuellen Lebenslauf selbst entwerfen muss (vgl. Beck 2003, 216ff./SelkeSelke, Stefan 2014a, 188). Noch vor der Konjunktur des Schlagworts „Selbstoptimierung“ war in den 1970er und 80er Jahren der Begriff „SelbstverwirklichungSelbstverwirklichung“ für diese neue Innenorientierung in Mode gekommen, der gleichfalls eine Schlüsselkategorie des modernen Selbstverständnisses darstellt. Obgleich das Konzept der „Selbstverwirklichung“ von den deutschen Idealisten in die Philosophie eingeführt wurde, verhalf ihm erst die humanistische PsychologiePsychologiehumanistische in den 1970er Jahren zum Durchbruch. Selbstverwirklichung meint allgemein die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit, indem man seine eigenen Möglichkeiten und Talente ungeachtet gesellschaftlicher Erwartungshaltungen ausschöpft. Dabei hat auch die Vorstellung von „Selbstverwirklichung“ eine Individualisierung erfahren, da grundsätzlich zwei Deutungsmöglichkeiten offen stehen (vgl. Fenner 2007, 92): Im essentialistischen capacity-fulfillment-ModellSelbstverwirklichungcapacity-fulfillment-Modell wird von einem bereits vorgegebenen metaphysischen oder