Welche Anthropologie dem Trans- und Posthumanismus zugrunde liegt und inwiefern es sich überhaupt um einen „Humanismus“ handelt, wird sehr unterschiedlich beurteilt. Die meisten Repräsentanten bekennen sich implizit zum frühneuzeitlichen und aufklärerischen rationalen HumanismusHumanismus, weil sie den Optimismus hinsichtlich der Perfektibilität des Menschen teilen und dabei auf die Vernunft und die Wissenschaften setzen (vgl. BostromBostrom, Nick u.a., Kap. 1.1/Loh, 20f.; 34f.). Während sich aber der historische Humanismus auf traditionelle Methoden der Erziehung und Bildung beschränkte, wollen Trans- und Posthumanisten das humanistische Programm der Selbstverbesserung mit technischen Mitteln fortsetzen und den vermeintlichen Gegensatz zwischen „Humanität“ und „Technologie“ auflösen. Eher abgelehnt wird demgegenüber der für den „christlichen“ und „kantischen HumanismusHumanismus“ typische Dualismus von Geist und Körper, der tendenziell im Transhumanismus zugunsten einer naturalistischen Anthropologie und eines materialistischen Monismus und im Posthumanismus durch die Überwindung des biologischen Körpers zugunsten eines idealistischen Monismus überwunden wird (vgl. SorgnerSorgner, Stefan, 10/Loh, 27; 31). Meist wird zwar von einem kontinuierlichen Optimierungsprozess des Menschen durch Selbsttechnisierung in Richtung auf Superintelligenz, starke Physiologie etc. ausgegangen. Gleichwohl soll es irgendwann einen kategorialen Bruch geben, an dem „transhumans“ als SchimärenChimären oder Cyborgs mit einigen signifikant nichtmenschlichen Eigenschaften zu „posthumans“ als in jeder Hinsicht von „humans“ verschiedene Angehörige einer neuen Art Mensch übergehen (vgl. SavulescuSavulescu, Julian 2009, 214/Loh, 90). CyborgCyborgs sind Mensch-Maschine-Mischwesen, für die in einem weiten Sinn bereits das Vorliegen einer Beinprothese oder eines Herzschrittmachers ausreichen und in einem engeren Sinn kognitive Optimierungsmaßnahmen durch Neurotechnologien bis hin zur vollständigen Verschmelzung von Mensch und Computertechnologie vorliegen müssen (vgl. MüllerMüller, Oliver 2009, 491f.). Einen kategorialen Umbruch stellte zweifellos die Substitution des biologischen Gehirns als zentraler Steuerungseinheit des Menschen durch einen Siliziumchip mit künstlicher Intelligenz dar, selbst wenn der ganze restliche Körper aus biologischen Organen und Gliedmaßen weiterbestünde (vgl. dazu BirnbacherBirnbacher, Dieter 2006, 176). Der postbiologische Mensch existierte schließlich nur noch als Cyberspace-Entität, technologische Singularität oder artifizielle Superintelligenz im digitalen Netz ohne räumlichen Körper, wobei sich die verschiedenen Superintelligenzen zu einer Supergemeinschaft oder einem Super-Bewusstsein planetarischen Maßstabs verbinden könnten (vgl. KurzweilKurzweil, Ray, 358; 370/Loh, 106–110; 117).PosthumanismusBioliberalismus
Hilfreich ist die Unterscheidung zwischen einem Transhumanismuskohlenstoffbasierter/siliziumbasierterkohlenstoff-basierten und einem silizium-basierten TranshumanismusTrans- und Posthumanismus, wobei auch einige Transhumanisten verwirrenderweise das Ideal völlig synthetisch hergestellter „Posthumaner“ teilen (vgl. SorgnerSorgner, Stefan, 76). Als Wege zur Realisierung artifizieller Superintelligenz werden zum einen die ständig weiterentwickelte künstliche IntelligenzIntelligenzkünstliche mit den vielversprechenden künstlichen „neuronalen Netzen“ genannt, die ähnlich wie das menschliche Gehirn zu komplexen parallelen Verarbeitungsprozessen, selbständigem Lernen und kontinuierlicher Selbstverbesserung fähig sind (vgl. KurzweilKurzweil, Ray, 166/Loh, 97; 114ff.). Zum andern wird das noch weit von seiner Realisierbarkeit entfernte mind uploadingmind uploading oder whole brain emulation vorgeschlagen, d.h. das Herunterladen der Persönlichkeit auf einen Computer entweder nichtinvasiv über Computertomographie oder invasiv durch das Einscannen des in dünne Schichten zerlegten Gehirns (vgl. SorgnerSorgner, Stefan, 76/Loh, 100). Gegen diese Methoden lassen sich zahlreiche Argumente des Ersetzbarkeitsdiskurses anführen, der im Kontext des philosophischen Leib-Seele-Problems und der Künstliche-Intelligenz-Forschung geführt wird: Vorausgesetzt wird ein reduktionistischer Funktionalismus oder InformationismusFunktionalismus, Informationismus, denenzufolge Geist und Person nichts anderes sind als funktionale Zusammenhänge oder Informationen (vgl. Brüntrup, 98f./Loh, 105). Während dabei die Bedeutung von Körperlichkeit und Emotionalität in der menschlichen Erkenntnisweise und Lebensform deutlich unterschätzt wird, ist die Herstellbarkeit geistiger und körperlicher Qualitäten des Fühlens und Erlebens oder gar eines künstlichen Bewusstseins bei Computern höchst fraglich. Nur weil Menschen einen vergleichbaren Körper haben und ähnliche sensomotorische und psychische Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit Um- und Mitwelt machen, können sie Wörtern wie „Ball“ oder „Liebe“ ähnliche Bedeutungen zuschreiben und miteinander interagieren. Nicht nur würde wohl kein Mensch auf positive Gefühle wie Liebe oder Glück verzichten wollen, sondern ohne Gefühle fehlte den Menschen die Entscheidungs- und Planungsfähigkeit (vgl. Lenzen, 132). Auch ist völlig unklar, wie bei einer „artifiziellen Superintelligenz“ etwa dank „mind uploading“ noch so etwas wie „persönliche Identität“ oder ein „Selbst“ mit einem kritischen und distanzierten Selbstverhältnis als Subjekt der Selbstoptimierung möglich sein soll (vgl. Loh, 105f.). Noch fundamentaler ließe sich gar nicht mehr sinnvoll von „Verbesserungen“ sprechen, wenn Posthumane keine körperlichen Bedürfnisse und auf individuellen Begabungen basierenden Wünsche hätten und nach erfolgter Selbstoptimierung nicht glücklicher wären als zuvor (vgl. GesangGesang, Bernward, 126; 132).TranshumanismusPosthumanismusBioliberalismus
Je radikaler und exakter geschildert oder sogar datiert technologische Zukunftsvisionen als Krönung einer scheinbar unaufhaltsamen evolutionären Entwicklung ausfallen, desto spärlicher sind wie etwa bei KurzweilKurzweil, Ray systematische theoretische und ethische Reflexionen. Es gibt im Trans- und Posthumanismus eine merkwürdige Spannung zwischen der liberalen Überzeugung einer irreduziblen Pluralität an Vorstellungen vom guten Leben der einzelnen Individuen einerseits und einer subjektunabhängigen „objektiven“ Bestimmung des für die Spezies Mensch „Guten“ andererseits (vgl. SiegetsleitnerSiegetsleitner, Anne, 201f.): Wo technikbegeisterte Trans- und Posthumanisten für die moralische Erlaubtheit oder gar Pflicht zur Entwicklung und Anwendung neuer Technologien eintreten, scheinen sie von einem bestehenden allgemeinen Konsens über „Verbesserungen“ auszugehen. Sie sind sich aber keineswegs einig über die für