Absolute, nichtkompetitive – relative, kompetitive Verbesserungen
Unmittelbar verknüpft mit dem Gegensatzpaar „intrinsisch“ und „extrinsisch“ ist dasjenige von „absoluten, nichtkompetitiven“ und „relativen, kompetitiven“ Verbesserungen, wobei „kompetitiv“ so viel wie „wetteifernd, sich mitbewerbend“ meint: Enhancementabsolutes, nichtkompetitivesAbsolute, nichtkompetitive Verbesserungen sind intrinsische Verbesserungen, deren Wert oder Nutzen völlig unabhängig von einem Vergleich mit anderen Menschen für sich besteht. Demgegenüber bemisst sich der Wert oder Nutzen von Enhancementrelatives, kompetitivesrelativen, kompetitiven Verbesserungen in Relation zu Eigenschaften oder Fähigkeiten der Konkurrenten. Da es also um einen Vergleich mit der „Position“ oder Stellung der Mitmenschen geht, spricht man statt von kompetitiven auch von positionalen Gütern in Unterschied zu absoluten Gütern (vgl. RanischRanisch, Robert u.a., 46f./AchAch, Johann 2016, 124). Typische Beispiele für solche positionale Güter sind Körpergröße, Schönheit oder geistige Leistungsfähigkeit, deren Nutzen sich einem „Mehr“ gegenüber Menschen mit geringerer Körpergröße, Schönheit oder Leistungsfähigkeit zu verdanken scheint. Der gängige Vorwurf gegen Enhancement allgemein oder speziell ein solches relatives, kompetitives Enhancement lautet, dieses sei unfair und selbstwidersprüchlich (vgl. BrockBrock, Dan 1998, 60/SchleimSchleim, Stefan, 200f.): Aus moralischer Perspektive sei das Enhancement in Wettbewerbssituationen verwerflich, weil sich nicht alle die Optimierungsmaßnahmen leisten könnten und der Nutzen des einen zwangsläufig auf Kosten anderer gehe (vgl. dazu oben/Kap. 4.4). Wenn sich hingegen alle Menschen gewisse Verbesserungen wünschten und auch erzielen könnten, wäre das Enhancement widersprüchlich und selbstzerstörerisch. Denn in diesem Fall würde niemand von der vermeintlichen Verbesserung profitieren, weil es zu einem sinnlosen „Wettrüsten“ käme, bei dem niemand seine Position verbessern könnte. Würden beispielsweise alle Menschen ihre Körpergröße manipulieren oder ihr Hirn „dopen“, würde sich lediglich die Durchschnittsgröße bzw. die Leistungsgrenze nach oben verschieben und alle müssten die Kosten für den Aufwand sowie allfällige Risiken der Medikamente tragen. Bei dieser Kritik wird aber einseitig der außenorientierte Leistungsaspekt hervorgehoben und fälschlicherweise unterstellt, alle Formen von Enhancement würden nur extrinsische, kompetitive Vorteile mit sich bringen. Neben den oben erwähnten absoluten privaten Vorteilen wie Freude an der Schönheit oder Wertschätzung des differenzierteren Denkens könnten zudem noch absolute gesellschaftliche Vorteile erzielt werden, indem geistig leistungsfähigere Gesellschaftsmitglieder einen objektiv größeren Beitrag zum Allgemeinwohl z.B. durch wissenschaftliche Entdeckungen leisten.
1.4.2 Opposition zwischen Biokonservativen und Bioliberalen
Wo ein Überblick über die Enhancement-Debatte gegeben werden soll, wird diese meist in Anlehnung an ein politisches Lagerdenken als Opposition zweier widerstreitender Richtungen dargestellt (vgl. RanischRanisch, Robert, 201f./EissaEissa, Tina-Louise, 24/Schoilew, 6): Auf der einen Seite befinden sich die oft religiös oder metaphysisch geprägten BiokonservativenBiokonservatismus, die technologischen Methoden der menschlichen Selbstoptimierung im Gegensatz zu traditionell-konservativen skeptisch bis klar ablehnend begegnen. Auf der anderen Seite stehen die BioliberalenBioliberalismus, die neue Biotechnologien grundsätzlich als Erweiterung der menschlichen Handlungsmöglichkeiten begrüßen. Bei dieser Gegenüberstellung handelt es sich aber keineswegs um eine bloß akademische Auseinandersetzung, sondern umgekehrt soll der insbesondere in den USA in den letzten Jahrzehnten geführte „Kulturkampf“ von Gesellschaft und Politik auf die Bioethik „übergeschwappt“ sein (vgl. RanischRanisch, Robert, 202f.). Obwohl pauschale und dramatisierende Zuspitzungen etwa zu einem Antagonismus zwischen fortschrittsfeindlichen Apokalyptikern und technikbegeisterten Euphorikern wenig hilfreich sind, kann eine Gegenüberstellung der kontrastierenden ethischen Grundhaltungen durchaus zum Verständnis der Debatte beitragen. Um die gravierenden Unterschiede im moralischen Fundament besser erfassen zu können, lässt sich beispielsweise das von Jonathan Haidt und Kollegen entwickelte sozialpsychologische Modell der „Moral Foundation Theory“ heranziehen (vgl. ebd., 205): Von den insgesamt fünf eruierten Grundpfeilern der Moral berücksichtigen die Liberalen lediglich die ersten beiden, nämlich 1. „Schaden/Sorge“ und 2. „Fairness/Reziprozität“. Denn Bioliberalen geht es primär um die Autonomie und den Schutz der Individuen sowie die von John RawlsRawls, John und Lawrence Kohlberg profilierten ethischen Prinzipien der Gegenseitigkeit, Fairness und Gerechtigkeit. Demgegenüber sind aus Sicht der Konservativen die Grundlagen menschlicher Moralsysteme viel reichhaltiger und komplexer. Zu den psychologischen Mechanismen der Herausbildung moralischer Überzeugungen und Praktiken in den verschiedenen Kulturen gehören auch Gruppen, religiöse Einstellungen und Gefühle, konkret die weiteren „foundations“: 3. „Gruppe/Loyalität“, 4. „Autorität/Respekt“ und 5. „Reinheit/Heiligkeit“. Einen anderen Versuch einer ethischen Kategorisierung stellen die zwei von Erik ParensParens, Erik in die Enhancement-Debatte einführten Orientierungssysteme eines „DankbarkeitsrahmenDankbarkeits-/Kreativitätsrahmen“ mit dem Aufruf zur Treue und zum Bewahren des Gegebenen und eines „Kreativitätsrahmen“ mit der Aufforderung zur ständigen Selbstverbesserung dar, die sich grob vereinfachend der konservativen und liberalen Grundhaltung zuordnen lassen (vgl. ParensParens, Erik, 37f.). Im Folgenden sollen die wichtigsten Positionen kurz erläutert und kritisch diskutiert werden:
1 Biokonservative
2 Bioliberale allgemein
3 bioliberale Trans- und Posthumanisten
1) Biokonservative
BiokonservativeBiokonservatismusKass, Leon, wie Leon Kass Francis FukuyamaFukuyama, Francis, George AnnasAnnas, George und Jürgen HabermasHabermas, Jürgen treten im Sinne des Dankbarkeitsrahmens für den Schutz menschlichen Lebens und die Bewahrung von Tradition, Schöpfung und menschlicher Natur ein und appellieren an eine Haltung der Ehrfurcht und Demut gegenüber der natürlichen Ordnung. Das eigene Leben und die persönlichen Fähigkeiten und Talente sollen als Geschenke statt als etwas zu Formendes betrachtet werden, und die Endlichkeit und Unvollkommenheit des Menschen gelte es grundsätzlich anzuerkennen (vgl. KassKass, Leon u.a., 286ff./SandelSandel, Michael, 107). Biokonservative stehen neuen Biotechnologien daher skeptisch bis klar ablehnend gegenüber und mahnen zumindest zu einem Innehalten und zum kritischen Hinterfragen des Optimierungsstrebens. Dahinter steht ein substantielles Verständnis einer in sich wertvollen „menschlichen Natur“, eines „menschlichen Wesens“ oder „menschlichen Gedeihens“, das zu einer „Moralisierung der menschlichen Natur“ führt (HabermasHabermas, Jürgen, 46). Obgleich Biokonservative sich der Schwierigkeit einer Verbalisierung ihres Unbehagens gegenüber Biotechnologien bewusst sind, ist immer wieder die Rede von einer „Entmenschlichung“ sowie dem drohenden „Verlust des Menschseins“, der „Menschenwürde“ oder unabdingbarer Elemente des menschlichen Daseins (vgl. KassKass, Leon 2002, 48; 15ff./FukuyamaFukuyama, Francis, 142f.; 147/ KassKass, Leon u.a., 287f.). Am besten lässt sich der unantastbare Eigenwert einer nicht vom Menschen hervorgebrachten „Natur“ in einem metaphysischen oder religiösenArgumentechristliche/religiöse Weltbild begründen, in dem die Wirklichkeit dank eines übersinnlichen Grundprinzips eine strukturierte Ordnung und jedes Ding und jedes Ereignis seinen Platz und seinen Sinn hat. Offen oder verdeckt steht hinter der biokonservativen Verwerfung des Enhancements häufig die christliche Überzeugung, die sich technologisch perfektionierenden Menschen würden ihren Ort in der göttlichen Schöpfung gründlich missverstehen und wollten Gott spielen (vgl. SandelSandel, Michael, 107/FukuyamaFukuyama, Francis, 130ff./KassKass, Leon u.a., 287). Die Forderung nach Rücksichtnahme auf das natürlich Gegebene soll jedoch auch in einem säkularen Rahmen gut begründbar sein, weil immer weitergehende Eingriffe in die menschliche Natur zu einer schrittweisen Erosion gesellschaftlicher und moralischer Verbindlichkeiten führen würden: Zurück blieben Menschen ohne Liebe, Solidarität, Verantwortung, Freiheit und Würde, wie Aldous Huxleys sie in seiner Dystopie Brave New World visionistisch vorweggenommen habe (vgl. SandelSandel, Michael, 107f./KassKass, Leon 2002, 45–49/KassKass, Leon