Die Beziehung zwischen „gutem Leben“ und „Lebensdauerglück“ lässt sich nun folgendermaßen näher bestimmen: Das „Lebensdauerglück“ setzt das „gute Leben“ voraus, das sozusagen eine Vorstufe oder Vorbedingung des Glücks ausmacht und die kognitive Komponente des übergreifenden Glücks bildet (vgl. Fenner 2007, 144). Während das gute Leben etwa durch die geeignete Wahl von Lebenszielen oder den Erwerb wichtiger Kompetenzen aktiv gestaltet werden kann, lässt sich das glückliche Leben entsprechend dem sogenannten Glücksparadox nicht direkt anpeilen (vgl. ebd., 52f./BirnbacherBirnbacher, Dieter 2005, 3). Es stellt vielmehr eine Folge bzw. Begleiterscheinung einer gelingenden Lebensführung dar, wobei das Erleben eng mit der reflexiven Einstellung und der Bewertung des Lebens verbunden bleibt. Damit rückt das „Lebensglück“ in die Nähe der Lebenszufriedenheit als einem eng verwandten positiven Gefühl, bei dem aber die kognitive Komponente noch stärker betont wird. Zwischen einem gelingenden guten Leben und einem sich einstellenden Lebensglück gibt es zudem keinen direkten kausalen und linearen Zusammenhang, weil zusätzlich noch psychische Variablen wie Persönlichkeit oder Temperament dazwischen treten können. Ein gutes Leben ist also nicht zwingend schon ein glückliches, scheint aber auch kein gänzlich unglückliches sein zu können (vgl. SteinfathSteinfath, Holmer 2013, 174). Mit Befragungen von Tausenden von Zwillingen über die Einschätzung ihres Glückszustandes über einen längeren Zeitraum hinweg hat die empirische Glücksforschung die große Rolle der genetischen Faktoren nachgewiesen, die gleichsam einen persönlichen „set point“, „Glücksfixpunkt“ oder „Glücks-Grundwasserspiegel“ eines jeden Menschen festlegen (vgl. Bauer, 21/Bruni, 407): Je nach Studie soll das Ausmaß an Glück zu 50 % oder gar 80 % von diesem „set point“GlückGlücks-„set point“ abhängen, auf den sich die Individuen nach starken positiven wie negativen Erfahrungen wie z.B. einem Lottogewinn oder einer Beinamputation nach einer gewissen Phase der Abweichung immer wieder einpendeln. Ob diese individuell unterschiedlichen biologisch-genetischen „Voreinstellungen“ des GlückGlücks von einzelnen Genen oder der Dichte und Funktionsweise bestimmter Botenstoffe im Hirn abhängen und wie genau sie gemessen werden können, ist jedoch bislang noch unklar (vgl. Esch, 164/Kap. 4.1). Aufgrund des offenbar viel größeren Einflusses des „hedonistischen set points“ auf das Glück als bessere Lebensumstände oder günstige Ereignisse forderte der Transhumanist und Philosoph David Pearce im Online-Manifest The Hedonistic Imperativ (1995), die biologische subjektive Ausstattung des Menschen mithilfe von Gen- und Nanotechnologie zu optimieren.
In philosophischen und Neuroenhancement-Debatten ist umstritten, ob es so etwas wie ein „illusionäres Glück“ geben kann. Das illusionäre GlückGlückillusionäres wird definiert als ein positives Gestimmtsein oder Wohlbefinden, das die Betroffenen über die „Wirklichkeit ihrer Lage täuscht“ (SeelSeel, Martin 1994, 147). Als Beispiel kann das Liebesglück eines Mannes dienen, der nicht weiss, dass er von seiner Partnerin dreist betrogen wird. Wüsste er um diesen Betrug, wäre sein Glück mit Sicherheit dahin. Oder es fühlt sich jemand subjektiv wohl, obwohl er medizinisch gesehen schwer krank ist. Nur beim episodischen Empfindungsglück oder WohlbefindenGlückWohlbefinden/Wohlergehen in einem radikal subjektivistischen Glücksverständnis spielt es keine Rolle, ob das innere Empfinden und die äußere Wirklichkeit auseinanderklaffen. Beim objektiven Erfüllungsglück, Wohlergehen oder übergreifenden GlückGlückLebensdauer-, übergreifendes hingegen ist jemand nicht schon deswegen glücklich, weil er sich glücklich fühlt. Vielmehr muss sein Leben ihm in einer distanzierten und reflexiven Einstellung auch tatsächlich einen Grund dazu geben, glücklich zu sein (vgl. SeelSeel, Martin 1995, 56f./Knell, 236). Wie in der empirischen Wohlfahrtsforschung erkannt wurde, lassen sich Wohlfahrt und Lebensqualität weder ausschließlich über beobachtbare objektive Faktoren wie den Lebensstandard noch an einem rein über Selbsteinschätzung erhobenen subjektiven Wohlbefinden oder Glück bemessen (vgl. Mayring, 31ff.; 92f.). Soziologen entwickelten daher zweidimensionale transaktionale Modelle für Lebensqualität (vgl. exemplarisch Glatzer/Zapf, 7). Auch wird in der empirischen Psychologie unterschieden zwischen einer Adaption, wenn sich jemand trotz objektiv schlechter Lebensbedingungen subjektiv wohl fühlt, und einer Dissonanz im umgekehrten Fall. Im Gegensatz zu diesen beiden Formen von Missverhältnissen sind beim individualethisch optimalen Wohlergehen die objektiven Lebensbedingungen ebenso gut wie das subjektive Wohlbefinden, wohingegen bei der Deprivation die schlechten objektiven Lebensbedingungen mit subjektiven Unglücksgefühlen zusammenpassen (vgl. Neumaier, 34). Da ein Lebensdauerglück die „Übereinstimmung“ oder „Passung“ von subjektiven und objektiven Komponenten, innerem Gestimmtsein und äußerem Lebensverlauf voraussetzt, lässt es sich inhaltlich näher charakterisieren als „gelingendes Welt-Selbst-VerhältnisGlückWelt-Selbst-Verhältnis“ (vgl. Fenner 2003, 157). Neben Individuums- und Umweltfaktoren treten aber als drittes Element noch die meist soziokulturell geprägten Wertmaßstäbe hinzu, nach denen die Qualität dieses Verhältnisses bewertet wird. Glück und gutes Leben sind so gesehen immer auch eine Frage des Bezugsystems. In der Philosophie lassen sich drei Theorierichtungen auseinanderdividieren, die jeweils ganz unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe zur Beurteilung eines Lebens als gut und glücklich ansetzen und sich miteinander kombinieren lassen (vgl. Parfit, 493–502, Fenner 2007, 31–140):Glück
1 Hedonistische Theorie
2 Wunsch- oder Zieltheorie
3 Gütertheorie oder Objektive-Liste-Theorie
4 Hybridtheorie als Kombination der drei Theorien
2.1.2 Philosophische Theorien des Glücks oder guten Lebens
1) Hedonistische Theorie
Gemäß der Hedonismushedonistischen Theorie von griechisch „hedone“ („Lust“) ist ein Leben dann gut oder glücklich, wenn es möglichst viele subjektive Erlebnisse der Lust oder Freude und möglichst wenig Schmerz oder Leid aufweist. Als egoistische individualethische Position wurde sie bereits in der Antike vom Philosophen Epikur begründet und dann im 18. und 19. Jahrhundert in einer universalistischen sozialethischen Variante von den Utilitaristen Jeremy BenthamBentham, Jeremy und John Stuart MillMill, John Stuart vertreten. Seit der Antike wurde gegen den Hedonismus nicht immer zu Recht eingewendet, er verabsolutiere die rein sinnliche Lust angenehmer Sinnesreizungen oder der Befriedigung körperlicher Bedürfnisse, sodass sich der Mensch zum Sklaven seiner natürlichen Neigungen mache (vgl. AristotelesAristoteles, 1095b, 16). Dabei ist ein naiver und unreflektierter HedonismusHedonismusnaiver/reflektierter schon deswegen sowohl unklug als auch verwerflich, weil die