Grundzüge des Rechts. Thomas Trenczek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Trenczek
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846387269
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Hierbei erfolgt eine Abwägung der gegenseitigen Interessen. Dabei darf grds. die Entscheidung in der Hauptsache, d. h. der normalen Klage, nicht vorweggenommen werden. Eine Ausnahme ergibt sich im Hinblick auf die Sicherung des Existenzminimums (vgl. BVerfGE 46, 166, 181; BVerwGE 64, 318; OVG Koblenz 04.04.2003 – 12 B 10469 / 03 – NVwZ-RR 2003, 657). In aller Regel werden aber auch Sozialleistungen nicht in voller Höhe und auf Dauer, sondern nur im „zum Leben unerlässlichen“ Umfang angeordnet. Das Gericht entscheidet dann durch Beschluss (§ 86b Abs. 4 SGG/§ 123 Abs. 4 VwGO); gegen diesen ist eine „Beschwerde“ nicht immer möglich (§ 172 Abs. 3 SGG/§ 146 VwGO) bzw. nur, wenn sie vom OVG / VGH zugelassen wird (§ 146 Abs. 4 VwGO).

      5.2.4 Kostenrisiken

      Im Sozialgerichtsverfahren sowie in manchen Angelegenheiten der Verwaltungsgerichtsverfahren (insb. Jugendhilfe) werden nach § 183 SGG/§ 188 VwGO keine Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) erhoben. Auch besteht kein Anwaltszwang, d. h. der Bürger kann selbst Klage erheben und vor Gericht auftreten. Nur vor dem BSG (§ 166 SGG) und dem BVerwG sowie dem OVG (§ 67 VwGO) muss man sich durch einen Rechtsanwalt oder Rechtshochschullehrer mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Die Behörden entsenden i. d. R. Sachbearbeiter oder eigene Juristen.

      Wer den Rechtsstreit im Verwaltungsgerichtsverfahren allerdings verliert, muss der anderen Partei die Kosten einschließlich der notwendigen Aufwendungen für einen Rechtsanwalt erstatten (§ 154 VwGO). Im Sozialgerichtsverfahren muss der Bürger zwar i. d. R. nicht die Kosten der Behörde erstatten, allerdings muss er selbst die notwendigen Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung durch einen ggf. hinzugezogenen Anwalt sowie die ihm u. U. vom Gericht auferlegten Kosten tragen (§§ 192 f. SGG). Das ist insb. der Fall, wenn durch Verschulden des Beteiligten die Vertagung einer mündlichen Verhandlung oder die Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung nötig geworden ist oder der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm der Vorsitzende in einem Termin die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder -verteidigung dargelegt hat (§ 192 Abs. 1 SGG).

      Zwar gelten die Regelungen der Prozesskostenhilfe (PKH; s. 5.3.3) auch für das sozialgerichtliche Verfahren (vgl. § 73a SGG), PKH wird aber nicht gewährt, wenn Gerichtskostenfreiheit besteht und die Beiordnung eines Rechtsanwalts nicht erforderlich erscheint, weil die Sache einfach gelagert ist (BVerwG NJW 1989, 665).

      Francke / Dörr 2010; Krasney / Udsching 2011.

      Zur Verwaltungskontrolle vgl. auch das Aufbauschema II (Gutachtliche Prüfung einer Widerspruchsentscheidung) im Anhang V-3.

      Zur ordentlichen Gerichtsbarkeit gehören alle Gerichte, denen die bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, die Familiensachen und die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie die Strafsachen zugewiesen sind (§ 13 GVG). Im Folgenden beschränkt sich die Darstellung auf die Verfahren in zivilrechtlichen Streitigkeiten. Auf die Strafgerichte wird in Teil IV eingegangen. An die Zivilgerichtsbarkeit wendet sich der Bürger grds. nicht wegen hoheitlicher Maßnahmen (s. o. primärer Rechtsschutz), sondern weil ein Konflikt mit einem anderen Bürger (oder einer juristischen Person) nicht anders lösbar erscheint (zu den zunehmend wichtiger werdenden außergerichtlichen Streiterledigungsformen vgl. I-6) und er deshalb eine Entscheidung durch einen unabhängigen Dritten, das Gericht, erwartet (sog. sekundärer Rechtsschutz). Nur ausnahmsweise werden Hoheitsakte von den Zivilgerichten überprüft (z. B. der Eingriff in die Personensorge bei der Inobhutnahme durch das JA nach § 42 Abs. 3 SGB VIII; Amtshaftungsanspruch gegen einen Hoheitsträger nach Art. 34 GG, § 839 BGB).

      Auch die ordentliche Gerichtsbarkeit ist mehrstufig aufgebaut (s. Übersicht 19) und gewährleistet dadurch eine mehrmalige Rechtskontrolle im Instanzenzug durch die Rechtsmittel Berufung und Revision. Das Amtsgericht entscheidet im Zivilverfahren stets mit einem Einzelrichter (u. a. sog. Zivil- oder Familienrichter). Beim Landgericht entscheidet entweder die Zivilkammer oder die Kammer für Handelssachen (§ 105 GVG) bzw. der Einzelrichter. Beim OLG und BGH entscheiden im Zivilverfahren die Zivilsenate. Die Amtsgerichte sind für Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von 5.000 € zuständig sowie – ohne Rücksicht auf den Streitwert – insb. für Wohnraummietstreitigkeiten (§ 23 GVG). Für Familiensachen werden bei den Amtsgerichten besondere Abteilungen, die Familiengerichte und die Betreuungsgerichte, eingerichtet (§§ 23a ff. GVG). In der ordentlichen Gerichtsbarkeit wird zwischen der sog. „streitigen Gerichtsbarkeit“ (allgemeine Zivilprozesse) sowie der normativ als nicht streitig angesehenen sog. „freiwilligen Gerichtsbarkeit“ (FamFG-Verfahren) unterschieden.

      Zur streitigen Gerichtsbarkeit gehören neben den allgemeinen zivilrechtlichen Streitigkeiten auch das sog. Mahnverfahren (§§ 688 ff. ZPO), das Zwangsvollstreckungsverfahren (§§ 704 ff. ZPO) sowie das Insolvenzverfahren (§§ 11 ff., §§ 304 ff. InsO). Das streitige Gerichtsverfahren beginnt i. d. R. mit einer Klage (§ 253 ZPO) bzw. einem Mahnantrag (§ 690 ZPO) und endet mit einem Urteil (§§ 300 ff. ZPO). Die Entscheidung eines Rechtsstreits zwischen Kläger und Beklagtem kann aber auch nach §§ 1025 ff. ZPO durch ein privates Schiedsgericht erfolgen (vgl. 6.2.3).

      Im Hinblick auf den Streitgegenstand und die Beweisführung gilt im streitigen Verfahren der sog. Beibringungsgrundsatz, d. h. das Gericht ist an die Tatsachen, die von den Parteien vorgebracht werden, gebunden (eine Ausnahme gilt z. B. bei falschen Eingeständnissen zugunsten der gegnerischen Partei, vgl. § 138 Abs. 1 ZPO). Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, gelten grds. als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO).

      Beweislast

      Werden Sachverhalte bestritten, müssen sie grds. von der Partei bewiesen werden, die sich auf sie beruft. Eine Prüfung von Tatsachen von Amts wegen erfolgt nur ausnahmsweise, z. B. im Hinblick auf Prozessvoraussetzungen oder die Zulässigkeit von Rechtsbehelfen.

      Zwangsvollstreckung

      Insolvenzverfahren

      Die Zwangsvollstreckung ist das staatliche Verfahren zur zwangsweisen Durchsetzung von Rechtsansprüchen. Die eigenmächtige Durchsetzung (Selbstjustiz) auch von berechtigten Forderungen ist grds. rechtswidrig und nur ausnahmsweise in den Grenzen der erlaubten Selbsthilfe (z. B. zu Gefahrenabwehr, §§ 229, 562b, 859 BGB) zulässig. Unterschieden werden die Zwangsvollstreckung wegen privatrechtlicher Einzelforderungen, die Zwangsmaßnahmen nach dem FamFG (z. B. die Auferlegung von Zwangsmitteln nach § 35 FamFG), die strafrechtliche Strafvollstreckung (hierzu IV-3.2) sowie die Verwaltungsvollstreckung (hierzu III-1.5). Von der (zivilrechtlichen) Zwangsvollstreckung zu unterscheiden ist das sog. Insolvenzverfahren, bei dem es nicht um eine Einzelforderung gegen den Schuldner geht, sondern der Schuldner zahlungsunfähig ist und die gegen ihn gerichteten Forderungen insgesamt nicht bedienen kann (zum sog. Privat- bzw. Verbraucherinsolvenzverfahren vgl. II-1.3.1.2).

      Die privatrechtliche Zwangsvollstreckung ist nicht schon zulässig, wenn jemand seine vertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllt. Vielmehr muss der Gläubiger bei Leistungsstörungen grds. vor Gericht klagen und einen Vollstreckungstitel erwirken, den er insb. mit einem rechtskräftigen Urteil erlangt (§§ 704, 794 ZPO). Im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung ist ein Gerichtsverfahren nicht notwendig, vielmehr genügen ein bestandskräftiger VA (hierzu II-1.4.1.2) und eine Vollstreckungsanordnung. Behörden können sich somit durch einen Bescheid ihre Vollstreckungstitel selbst schaffen, wenn sich der Bürger nicht rechtzeitig dagegen wehrt (insb. durch Widerspruch).

      Pfändung