1.1.3.7 Rangordnung der Rechtsvorschriften
1.1.4 Überblick über die Gebiete der deutschen Rechtsordnung
1.1.5 Europäisches Gemeinschafts- und Völkerrecht
1.1.5.1 Europäische Union und Europarecht
1.1.6 Internationales Privatrecht
1.2.2 Gerechtigkeit und Gleichheit – die (rechts)philosophische Ausgangsfrage
1.2.3 Rechtliche und soziale Gerechtigkeit
1.2.4 Juristische Gerechtigkeit
1.1 Recht und Gesetz – Begriff und System der Rechtsnormen
1.1.1 Was ist Recht? – Begriff und Funktion des Rechts
Art. 20 Abs. 3 GG
In einem Rechtsstaat bildet das Recht die verbindliche Ordnung für das Zusammenleben der Menschen. Auch die Soziale Arbeit ist als Teil der öffentlichen Verwaltung (vgl. 4.1) nach Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden. Damit stellt sich die Frage, was unter Recht und Gesetz zu verstehen ist und wie man das Recht von anderen Maßnahmen des Staates oder gesellschaftlichen Regeln abgrenzt.
Das Verständnis von Recht war und ist nicht überall gleich, vielmehr ist die Definition eng mit den kulturellen und gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Entwicklungen verknüpft und hat in der Geschichte erhebliche Wandlungen vollzogen. Das, was wir heute im Mitteleuropa der Neuzeit als Recht ansehen, unterscheidet sich aus historischer Perspektive von den frühen, in Keilschrift in Stein verfassten Verhaltensregeln der Babylonier (Codex Hammurabi, 18. Jahrhundert v. Chr.) oder dem mosaischen Recht des Alten Testaments. Aus soziologisch-ethnologischer Sicht unterscheidet sich unser Recht von den Sitten, Gebräuchen und Normen sog. vorstaatlicher Gesellschaften indigener Völker (z. B. in Afrika, Asien, Amerika oder Ozeanien) wie auch von den Rechtstraditionen des sog. Common Law angelsächsischer Prägung in Großbritannien, den USA oder in Australien. Freilich kann man insoweit nicht nur Unterschiede, sondern vielfache Verbindungslinien und Ähnlichkeiten feststellen (z. B. lässt sich das generelle Verbot, einen Menschen zu töten, in fast allen Rechtsordnungen wiederfinden, in einigen allerdings auch noch immer das Recht des Staates, Menschen töten zu lassen). Die Definition von Recht ist also dem historisch-gesellschaftlichen Wandel unterworfen und immer nur in einem spezifischen Kontext zu leisten. Wegen dieser definitorischen Schwierigkeiten wird in der Rechtsliteratur bis heute gern das Diktum von Immanuel Kant bemüht, das besagt: „Noch suchen die Juristen eine Definition zu ihrem Begriffe von Recht“ (Kant 1781, 625).
Rolle und Funktion des Staates
staatliches Gewaltmonopol
Damit ist zugleich auf die Differenz zwischen Definition und Begriff aufmerksam gemacht. Es geht in diesem einleitenden Kapitel daher nicht in erster Linie darum, einen Merksatz zum Recht zu formulieren, sondern darum, Recht begreifen zu können. Denn dies meint – im Unterschied zur Definition – das Wort „Begriff“. Ganz wesentlich ist hierfür die Frage nach der Rolle und Funktion des Staates. Nach der von Platon (375 v. Chr.: „politeia“ – der Staat; „nomoi“ – die Gesetze) und Aristoteles (330 v. Chr.) begründeten Staatsphilosophie ist der Staat Garant des friedlichen Zusammenlebens der Menschen. Nach Aristoteles bestimmte deshalb der Staat, was als Recht gilt. Der englische Philosoph Thomas Hobbes verabsolutierte den Staat als „Leviathan“ (1651), als legitime und allmächtige Autorität, um das menschliche Chaos zu beherrschen. Dagegen entwickelte Immanuel Kant ein Idealbild der bürgerlichen Gesellschaft, in dem die Freiheit des Individuums den Machtansprüchen des absoluten Staates gegenüberstand. Verbindendes Element ist bis heute insoweit die Prämisse, dass einerseits in einem Rechtsstaat grds. nur dem Staat als Hoheitsträger das Recht auf Zwang eingeräumt ist (sog. staatliches Gewaltmonopol), dieses Recht andererseits aber durch Freiheitsrechte der Bürger gegenüber dem Staat (im modernen Verfassungsstaat heute als Grundrechte bezeichnet, hierzu 2.2) rechtlich rückgebunden und begrenzt ist.
Recht hat zunächst etwas mit Normen (s. Übersicht 1), also vorformulierten Erwartungen, zu tun. Soziale Normen sind Verhaltensregeln, Leitbilder, die das gegenwärtige oder das zukünftige Handeln der Menschen (und heute auch sog. juristischer Personen, hierzu II-1.1) in bestimmten Situationen mehr oder weniger verbindlich beschreiben. Man unterscheidet hier insb. Traditionen, Konventionen, Brauch, Sitte und Recht. Das Spektrum reicht von Normen, die nur innerhalb einer bestimmten Gruppe („Subkultur“) anerkannt sind (z. B. die Verhaltensregeln innerhalb von Jugendcliquen, von Kaufleuten, Mitgliedern einer Kirche), bis zu solchen, die für alle Mitglieder einer Gesellschaft gelten. Was im Kontext einer einzelnen Gruppe als abweichend gilt (z. B. Bluttransfusion bei Zeugen Jehovas), kann für die Gesamtgesellschaft akzeptabel oder zwingend notwendig sein, während umgekehrt ein von der Gesamtgesellschaft missbilligtes Verhalten in spezifischen Gruppen der gleichen Kultur gebilligt und sogar gefördert werden kann (z. B. manche Formen jugendtypischen Verhaltens). Im Verhältnis der Normensysteme nimmt der Grad der Verbindlichkeit über Brauch und Sitte bis zum Recht zu. Es kann auch vorkommen, dass der Gesetzgeber im positiven, d. h. in einem (demokratischen) Gesetzgebungsverfahren verfassten Recht ausdrücklich auf bestimmte (Handels-)Bräuche und die „guten Sitten“ Bezug nimmt (vgl. §§ 138, 157, 242 BGB, § 346 HGB).
Übersicht 1: Normensysteme
Sitte und Moral
Rechtsstaat
Als „Goldene Regel“ der praktischen Ethik findet sich in nahezu allen Weltreligionen und Philosophien in der sprichwörtlichen Wendung das Gebot „Was du nicht willst, dass man dir tu, das fügʼ auch keinem anderen zu“, also „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.“ Ob und inwieweit Sitte, Moral und Recht sich beeinflussen oder gar decken, ist in der Menschheitsgeschichte unterschiedlich beantwortet worden. Für die europäischen Rechtsordnungen des Mittelalters etwa war es geradezu ein Kennzeichen, dass die jeweiligen Moralvorstellungen religiöser und weltlicher Herrscher als allgemein verbindliches Recht mit Folter und Inquisition eingefordert wurden. Die seitdem vollzogene Emanzipation des Rechts von der Moral muss daher insoweit als ein Fortschritt innerhalb der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft gesehen werden. In der rechts- und sozialphilosophischen Literatur ist sie bis zu Hobbes (Hobbes 1651, 73) zurückzuverfolgen; in voller Konsequenz durchgeführt wurde sie dann von Kant in der „Metaphysik der Sitten“, die im ersten Teil die Rechtslehre und im zweiten Teil die von ihm so bezeichnete Tugendlehre behandelt (Kant 1797). Von Immanuel Kant stammt auch das wohl wichtigste menschliche Moralgebot, der sog. kategorische Imperativ, also das Gebot, welches für jedes vernunftbegabte Wesen per se und universell gelten soll: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne“ (Kant 1788, 54). In ihm geht es darum, dass jeder Mensch zunächst prinzipiell über die Fähigkeit verfügt, einen freien Willen zu bilden, und damit in der Lage wäre, dem Grundsatz auch