Europäische Urbanisierung (1000-2000). Dieter Schott. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dieter Schott
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846340257
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vorgestellt und daran anschließend an einigen prägnanten Beispielen aufgezeigt werden, wie sich das reale Versorgungs-Umland im Hinblick auf die idealtypischen Modellvorstellungen ausprägte.

      In seiner Schrift „Der isolierte Staat in Beziehung auf Landwirtschaft und Nationalökonomie“, veröffentlicht 1826, entwickelte der preußische Ökonom Johann Heinrich von Thünen eine Standorttheorie landwirtschaftlicher Produktion: Seine Frage war, an welchen Standorten, in welcher Entfernung von einem großen (städtischen) Markt sich der Anbau welcher Produkte am meisten lohnte. [<<65]

      Abb 6a und b Die Thünenschen Ringe Schema A stellt das Idealmodell dar, ohne jede landschaftliche Variation, Schema B ist eine Adaption an eine Landschaft mit einem schiffbaren Fluss

      Thünen legte als Modellannahme A eine homogene und flache Landschaft mit Böden gleicher Güte zugrunde. Es gebe weder topografische Hindernisse wie Gebirge noch Gunstfaktoren, die Transport nennenswert verbilligten wie Flüsse. Unter diesen Rahmenbedingungen, wo allein die Transportkosten als mit der Entfernung variabler Faktor eine Rolle spielen, kam Thünen zu der Annahme, dass sich um eine Stadt ringförmige Zonen je spezifischer landwirtschaftlicher Produktionen entwickeln. Die Nutzung der einzelnen Zonen hängt vor allem davon ab, wie verderblich das entsprechende Gut ist und wie viel Transport es im Hinblick auf Verderblichkeit und Wert verträgt. In der Tendenz nehme die Intensität der Bodennutzung, d. h. der Einsatz von Arbeit und Kapital pro Flächeneinheit, nach außen kontinuierlich ab. Nach Thünen ist eine Stadt (Stern innerhalb des Kreises “freie Wirtschaft“) zunächst mit einem Gürtel von Gärtnern umgeben, die den städtischen Markt mit frischem Obst und Gemüse, [<<66] mit Heu, Kartoffeln und Rüben versorgen. Teil der “freien Wirtschaft“ ist auch eine Zone der Milchwirtschaft, die Milch und Butter, also ebenfalls rasch verderbliche Güter produziert. Darauf folgt eine forstwirtschaftliche Zone, die – wegen der hohen Transportkosten – vor allem auf die Belieferung der Stadt mit Brennholz ausgerichtet ist. Die folgende Zone („Landwirtschaft:Fruchtwechselwirtschaft“) ist besonders der Getreideproduktion im Rahmen einer Fruchtwechselwirtschaft gewidmet, in der darauf folgenden Zone („Koppelwirtschaft“) wird verbesserte Dreifelderwirtschaft praktiziert, weiter entfernt von der Stadt herrscht extensive Dreifelderwirtschaft vor. Noch weiter von der Stadt entfernt findet man Zonen für Weidewirtschaft und für Bauholzproduktion. Beide Nutzungsformen vertragen eine größere Entfernung vom Konsumzentrum, weil die Masttiere selbst zur Stadt getrieben werden, oder – bei Schafen – ihre Wolle örtlich gewonnen und zur Stadt gebracht wird. Höherwertiges Bauholz verträgt wegen des höheren auf dem städtischen Markt erzielbaren Preises längeren Transport. Die wesentliche Variable ist eine von innen nach außen abnehmende Intensität der Bodennutzung: Pro Flächeneinheit wird auf marktnahen Flächen erheblich mehr Arbeit, aber auch Kapital eingesetzt und dadurch auch erheblich höhere Erlöse erzielt.

      4.2 Die mittelalterliche Stadt und der Wald

      „Nährwald“ bedeutet, dass den Einwohnern von Städten der fußläufig erreichbare Wald (in Thünens Modell die forstwirtschaftliche Zone in Stadtnähe) als zusätzliche Quelle für Nahrungsmittel diente. Man sammelte dort Beeren, Pilze und Kräuter, hielt Bienen im Wald für Honig, das einzige Süßungsmittel der mittelalterlichen Gesellschaft. Schließlich wurde im Wald Wild gejagt, wobei dies offiziell den Jagdberechtigten, meistens adligen Herren, vorbehalten war. Allerdings zeigen zahlreiche Strafordnungen gegen Jagdfrevel und Prozesse gegen Wilderer, dass illegales Jagen weit verbreitet war. Der Wald diente auch als Weide; Schweine wurden im Herbst in den Wald getrieben, um sich an [<<68] Eicheln zu mästen, in Freiburg i.Br. brachte die Eichelmast 15 % der Einnahmen aus dem Stadtwald. Auch anderes städtisches Vieh weidete regelmäßig im Wald, für Nürnberg wird von 3000–4000 Stück Vieh berichtet, die in den Reichswäldern weideten. Die Waldweide setzte allerdings voraus, dass der Wald überwiegend aus Laubbäumen bestand; ein Nadelholzwald bietet nur wenig Futter für Weidetiere.

      Die mittelalterliche Stadt war eine hölzerne Stadt: Nur wenige herausgehobene Bauten, vor allem die Kirchen und Klöster, einige Zunfthäuser, und natürlich die Mauern waren aus Stein. Die allermeisten Wohnhäuser waren dagegen noch ganz oder überwiegend aus Holz, selbst die Dächer waren mit hölzernen Schindeln oder Stroh bzw. Reet gedeckt. Seit dem Spätmittelalter setzte sich auf Druck der Stadtbehörden wegen des Feuerschutzes langsam die Verwendung von gemauerten Kaminen, von feuerfesten, aber rund ein Drittel teureren Ziegeln für die Dächer durch. Holz wurde aber auch für Steinbauten in erheblichem Maße gebraucht, etwa für die Konstruktion von Dachstühlen, Böden, Treppen und für die Gerüste. Der Bau der Münchner Frauenkirche im späten 15. Jahrhundert erforderte 20.000 Baumstämme, die auf der Isar angeflößt werden mussten.

      4.2.1 Die Veränderung des Waldes im Zuge des Landesausbaus