Europäische Urbanisierung (1000-2000). Dieter Schott. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dieter Schott
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846340257
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Ein Leitungssystem, das zahlreiche Brunnen in der Stadt versorgte, wurde durch eine Wasserkunst (Waterhuis) gespeist: Von Pferden getrieben wurde durch eine Eimerkette Wasser aus dem äußeren Ring auf das Dach des Waterhuis geschöpft, von wo es in das städtische Netz eingespeist wurde und zahlreiche Brunnen in der [<<57] Stadt mit Wasser versorgte. Dieses Leitungssystem, entstanden Ende des 13. Jahrhunderts, war der Stolz Brügges.35

      International gesehen war Brügge als zentraler Knotenpunkt des Handels in Nordeuropa und zugleich als Vermittler zwischen Mittel- und Südeuropa im 14. Jahrhundert auf dem Höhepunkt seiner Macht und seiner wirtschaftlichen Entwicklung; allerdings konnte die Stadt nie eine Autonomie wie die italienischen Kommunen erreichen. Im 15. Jahrhundert sank jedoch Brügges Stern: Zwar war die Stadt außerordentlich glanzvoll, feierte großartige Turniere und Prozessionen, aber das wirtschaftliche Fundament war zunehmend ausgehöhlt. Dies lag zum einen daran, dass die alteingesessene Oberschicht an Kaufleuten sich allmählich aus dem aktiven Handelsgeschäft zu einem Rentierdasein zurückgezogen hatte. Der Brügger Handel wurde nun vielmehr von Ausländern, vor allem von Italienern übernommen. Der zweite Faktor für den Niedergang Brügges war eine Umweltveränderung: der Meeresarm Zwin, durch Sturmfluten im 12. Jahrhundert schiffbar geworden, verlandete zunehmend und Seeschiffe konnten so den Vorhafen von Brügge, Sluis, nicht mehr erreichen. Ein dritter Faktor war der Entzug der kaiserlichen Unterstützung Ende des 15. Jahrhunderts, nachdem der spätere Kaiser Maximilian von den Brügger Bürgern längere Zeit in Haft gehalten worden war (vgl. Kap. 6.5, S. 141 zu Antwerpen).

      3.2.2 Modelle zur Erklärung des europäischen Städtesystems

      Abb 5 Modell der zentralen Orte nach Christaller [<<59]

      Um zufällige Einflüsse auszuschließen, ging Christaller von einem homogenen Raum und entsprechend proportional variablen Transportkosten aus; die Modellannahmen wurden aus der klassischen Ökonomie übernommen (homo oeconomicus, vollkommene Konkurrenz, vollständige Information). Aufgrund dieser Vorannahmen entwickelte Christaller in seinem Modell eine Theorie über die Einzugsbereiche zentraler Orte. Die optimale Versorgung aller Punkte wäre demnach in einem mehrfach geschachtelten Hexagonal-Schema gewährleistet: Christaller identifizierte sechs verschiedene Hierarchieebenen zentraler Orte mit unterschiedlichen Gütern und Reichweiten, die jeweils aufgrund der oberen Grenze der Reichweite in unterschiedlicher Entfernung angeordnet sein müssen.

      Im Hinblick auf die historische Herausbildung eines räumlich hierarchisch organisierten Städtesystems geht das Modell im Prinzip davon aus, dass im Rahmen einer zunehmend dichter besiedelten und intensiver kultivierten Landschaft Überschüsse der agrarischen Produktion entstehen. Diese Überschüsse suchen nach Absatz auf Märkten und daraus bildet sich im Wege der Arbeitsteilung und der Notwendigkeit unterschiedlicher Absatzgebiete eine Hierarchie von Städten heraus. Ein solches Modell kann die Entstehung von Markt- und Amtsstädten in einem primär agrarischen Kontext gut erklären, versagt aber im Hinblick auf die weiter oben aufgezeigte bipolare Struktur und Cluster-Bildungen im europäischen Städtesystem. Nach Christaller dürfte es solche räumliche Konzentrationen großer Städte eigentlich nicht geben.

      Venedig- die gateway-Stadt