Wesentliche alttestamentliche Bezugspunkte dieser Vorstellungen sind prophetische Königsorakel bzw. Herrscherverheißungen (»messianische Weissagungen«). Ihr ursprünglicher Ort war die Inthronisation eines Königs. Erst im Kontext der Kritik am realen König, wie sie sich vor allem in den Prophetenbüchern findet, wurde sie auf einen in der Zukunft auftretenden Heilskönig aus der Dynastie Davids bezogen (Jes 7,10–17; 9,1–6; 11,1–8; 16,4b–5; 32,1–8; Jer 23,5–6; 30,8–9; 33,15–16; Ez 17,22–24; 34,23; 37,24; Hos 3,5; Mi 5,1–5; Sach 3,8; 4,1–14; 6,9–15; 9,9–10). Anfänge einer solchen Übertragung von Königsaussagen auf eine ideale Gestalt der nahen Zukunft finden sich wohl erstmals am Ende des 8. Jahrhunderts v. Chr., zu ihrer vollen Entfaltung kommen sie aber erst in der königslosen Zeit des Zweiten Tempels, wo sie zur Vorstellung eines idealen Königs in der fernen Zukunft bzw. in der Endzeit weiter entwickelt werden (vgl. exemplarisch für das Jesajabuch Schmid 2002).
Bei diesen Herrscherverheißungen oder eigentlichen messianischen Weissagungen selbst, zu denen aufgrund ihres futurisch-messianischen Verständnisses im frühen Christentum, teilweise auch im römerzeitlichen Judentum, die eschatologisch transformierten Königspsalmen|56| (Ps 2; 20; 21; 45; 72; 89; 101; 110; 132; 144; Saur 2004), eschatologisierte Stammessprüche im Pentateuch (Gen 49,8–12*; Num 24,15–24) oder das sogenannte Protevangelium (Gen 3,15; vgl. Röm 16,20; Hebr 2,14) zählen, handelt es sich um literarisch vielschichtige Größen. In ihrer Mehrzahl stammen sie erst aus der Zeit nach dem Ende des judäischen Königtums. Sie spiegeln einen mehrfachen Fortschreibungs- und Aktualisierungsprozess wider und stellen unterschiedliche, historisch bedingte Konzeptualisierungen der Erwartung einer zukünftigen Heilsfigur dar, sind also Ausdruck eines bestimmten eschatologischen, messianischen Konzepts (Oegema 1998: 290–306). Sie gehören in den Zusammenhang weiterer eschatologischer Heilsvorstellungen im Alten Testament, zumal der Erwartung der kommenden Königsherrschaft Jhwhs (Fabry/Scholtissek 2002: 12), und entwickeln sich angesichts von negativen Erfahrungen, sei es mit dem bestehenden bzw. bisherigen Königshaus (Jes 11,1–9; Mi 5,1–3; Jer 23,5–6), sei es mit Krieg und Zerstörung (Sach 9,1–10) oder – in fortgeschrittener hellenistischer Zeit – mit der Jerusalemer Priesterschaft. Dabei sind partiell motivische Übernahmen aus dem hellenistischen Herrscherkult nicht ausgeschlossen (PsLXX 110; SachLXX 9,9–10; Collins/Yarbro Collins 2008, 48–54).
Gemeinsame Grundzüge der alttestamentlichen messianischen Weissagungen, in denen nie der Begriff »Messias«, sondern Ersatznamen (Jes 7,14; Jer 23,6; Sach 6,12; Ps 132,17) oder Umschreibungen (Jes 11,1; Jer 23,5; Ez 17,22) begegnen und die ihre Bezeichnung »messianisch« erst der expliziten messianischen relecture verdanken (Waschke 2001: 13–16; Fabry/Scholtissek 2002: 20), sind die Nähe der endzeitlichen Heilsfigur zu Jhwh und seiner Herrschaft, die (Geist-)Begabung und Beauftragung durch Jhwh, das Bringen von Frieden, Recht und Gerechtigkeit für das vereinigte Israel und die Herkunft aus der davidischen Dynastie; letzteres Element findet sich vor allem in mit einer Restitution des davidischen Königtums rechnenden Erwartungen (Jes 16,4b–5; Ez 37,24f.; Hos 3,5; Am 9,11f.; Hag 2,10–23). Ein einheitliches Messiasbild spiegeln diese Texte nicht: So kann neben einer machtvollen, mit Weisheit ausgestatteten Herrschergestalt (Jes 9,5f.; 11,5) auch ein erst durch Jhwh geretteter, armer und demütiger König (Sach 9,9 nach dem |57|hebräischen Text; vgl. Hab 3,13; Ps 20,7) stehen. Motivisch spielt in diese Stilisierung eine vor allem in nachexilischen Psalmen anzutreffende Bezeichnung der Frommen als (vor Gott) Arme und Demütige hinein (»Armutsideal/Armenfrömmigkeit«, vgl. Ps 22,27; 37,11; 69,33, aber auch Num 12,3).
Neben der Vorstellung eines individuellen endzeitlichen Heilsbringers und Herrschers taucht in alttestamentlichen Texten aus persisch-hellenistischer Zeit, gleichfalls als eine Reaktion auf den Untergang des realen Königtums, auch eine kollektive Messiasvorstellung auf (Jes 32,15–20; 55,1–5; Jer 33,16; Ps 89,51–52; 149). Hier nimmt Israel bzw. die ideale Gemeinde, möglicherweise auch der Zion als deren lokale Personifikation (Jes 61,1–3; Schmid 2002: 187–189), die Rolle des Messias ein. In dieser kollektiven Prägung der Messiaserwartung zeigt sich die Formel von Jhwh als dem Gott Israels und Israel als dem Volk Jhwhs (vgl. Ex 19,5–6; Dtn 7,6–8) in einer eschatologischen Farbe (Jes 32,15–18). Die Erwählung Israels zum Volk Jhwhs, die vorgeschichtlich im Exodusgeschehen und der Sinaioffenbarung gründet (Dtn 7,6–7) und die sich geschichtlich in der Gabe des Landes und der Staatlichkeit realisiert, findet ihre Fortsetzung in der eschatologischen Rolle Israels als Vermittler des Heils Jhwhs an die Völker (Sach 8,20–23; vgl. Joh 4,22).
Insgesamt spielen die Messiaserwartungen im Alten Testament weder literarisch noch theologisch eine zentrale Rolle. Sie sind ein Element der traditionsgeschichtlich und motivisch vielfältigen Eschatologie im Alten Testament. Allerdings stehen die eschatologischen Herrscherweissagungen in der Endgestalt der Prophetenbücher häufig betont am Schluss kleinerer oder größerer Texteinheiten (vgl. Jes 7*; 9*; 11*, 45*; 55*; 61*; Schmid 2002: 179; 183–195). Im Psalter finden sie sich an hervorgehobenen Stellen (vgl. Ps 2; 72; 89; Rösel 1999). Ebenso begegnen sie im Aufriss des Pentateuchs an den narrativen Nahtstellen eines Epochenübergangs (vgl. Gen 49,8–12*; Num 24,15–24*). Befördert durch eine zunächst gegen die Diadochenherrscher, später gegen die Hasmonäer, die Römer und schließlich die Herodianer gerichtete Einstellung jüdischer Kreise, in denen die heiligen Schriften Israels eschatologisch redigiert und eschatologisch ausgelegt wurden (s.o. 2.3.), verdanken die alttestamentlichen Messiasverheißungen ihre besondere theologische |58|Bedeutung zwei religions- und literaturgeschichtlichen Entwicklungen im hellenistisch-römischen Judentum:
erstens den vielfältigen Erwartungen endzeitlicher Heilsgestalten in unterschiedlichen eschatologisch orientierten jüdischen Gruppen des 2. Jahrhunderts v. Chr. – 1. Jahrhunderts n. Chr.; exemplarisch für diese sind die Psalmen Salomos 17–18, die das Motiv eines sündlosen Messias/Christus kennen (Psalmen Salomos 17,36), einzelne Texte aus Qumran, u.a. 1QSa II,11–21, wo nach gegenwärtigen Erkenntnissen erstmals die absolute Bezeichnung hammāsîaḥ/der Messias für eine endzeitliche Rettergestalt belegt ist; 1QSb V,20–23; 4Q174 Frag. 1 I,21,2,10–13; 4Q252 V,3, möglicherweise auch der sogenannte Gottes-Sohn-Text 4Q246, sowie die aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. stammenden Apokalypsen in den »Bilderreden/Parabeln« des Ersten Henochbuchs (Kap. 37–71; vgl. besonders 1Henoch 48,10; 52,4) und des Vierten Esrabuchs (vgl. 4Esra 7,28f.);
zweitens den sich aus den frühjüdischen messianischen Vorstellungen speisenden neutestamentlichen Rezeptionen und Interpretationen auf Jesus von Nazareth als dem erwarteten Messias (vgl. Jes 7,14 in Mt 1,23; Mi 5,1.3 in Mt 2,6; Sach 9,9 in Mt 21,5; Jes 61,1–2 in Lk 4,18–19): Über die Aufnahme »alttestamentlicher« Messiastraditionen und im Milieu der bunten frühjüdischen Messiasvorstellungen wurde aus Jesus der Christus und der in Bethlehem geborene Sohn Davids (Mt 1,1; 2,6; Mk 10,47), der im nachösterlichen Ausbau einer Vor- und Nachgeschichte weitere Elemente israelitisch-jüdischer und paganer hellenistischer Herrschermotivik, wie die Geburt aus der Jungfrau (vgl. Mt 1,23; JesLXX 7,14) oder das »Sitzen zur Rechten Gottes« (vgl. Apg 7,55f.; Röm 8,34; 1Petr 3,22; Heb 1,13–14 mit Ps 110,1), an sich ziehen konnte.
Dabei fließen in die Gestaltung Jesu als Messias neben dem davidischen königsideologischen Hauptstrom auch priesterliche und prophetische Messiasvorstellungen ein. Im Hintergrund steht die genannte Erwähnung der Salbung von Priestern und Propheten im Alten Testament. Auch diese beiden Konfigurationen teilt das Neue Testament mit bestimmten Strömungen im frühen Judentum. So bezeugt das Schrifttum aus Qumran auch die Vorstellung eines priesterlichen Messias (1QS IX,11; CD-A XII,23–XIII,2; XIV,18–19; |59|CD-B XIX,7–11 – hier jeweils kombiniert mit einem zweiten, politischen Messias, vgl. Testament