Humanbiologie. Hynek Burda. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hynek Burda
Издательство: Bookwire
Серия: utb basics
Жанр произведения: Математика
Год издания: 0
isbn: 9783846341308
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die eher „australopithekoide“ Anatomie und wahrscheinlich auch die Ethologie dieser Art verschleiern (Abb. 2.7). Angesichts der unklaren Stellung der Arten Australopithecus sediba aus Südafrika und Homo rudolfensis (2,5–1,8 mya) aus Ostafrika herrscht jedoch noch Klärungsbedarf. Dass H.habilis nicht der direkte Vorfahre der „Großmenschen“ war, sondern ein verwandter Nebenzweig, zeigt auch die lange Koexistenz von H.habilis und H.ergaster in Ostafrika (Abb. 2.4).

      Die 2010 beschriebene Art H.gautengensis aus Südafrika (von 2 mya bis weniger als 1 mya, also bis in eine Zeit, als in Afrika bereits sehr fortgeschrittene „Großmenschen“ lebten) stellt eine weitere alte, auffällig lange existierende (persistierende), phylogenetisch basale Form des Menschen dar. Sie zeichnete sich durch eine geringe Körpergröße aus und war vermutlich auf feste pflanzliche Nahrung spezialisiert.

      Tab. 2.2: Zeittafel der Steinzeit. Es handelt sich nur um eine Orientierungsübersicht, die Datierung einzelner Kulturen ist regional unterschiedlich. Nicht alle Kulturen sind aufgeführt, und auch nur einige wenige Beispiele für typische Funde werden angegeben. Für die Illustration einiger Werkzeuge siehe Abb. 2.8.

AlterKulturBeispiel der typischen ArtefaktePeriodeEpocheHersteller
EisenzeitH. sapiens
Bronzezeit
JungpaläolithikumKupfersteinzeit
8–3 tyaJungsteinzeit(Neolithikum)
10–6 tyaMittelsteinzeit(Mesolithikum)
18–10 tyaMagdalénien KnochenpfeileAltensteinzeit(Paläolithikum)
21–17 tyaSolutréenNadeln mit Ohr, gravierte Knochen
28–22 tyaGravettienVenusfigurinen
32–26 tyaAurignacienKielkratzer, Stichel aus Feuerstein, Petroglyphen
35–29 tyaChâtelperronienTierplastiken und Höhlenmalerei
82 tyaAtérienflache und ovale Werkzeuge (Blattspitzen)MittelpaläolithikumH. sapiensH. nenaderthalensis
130–70 tyaMicoquienTechnik mit asymmetrischen Faustkeilen
250–35 tyaMoustériensehr fein verarbeitete Werkstücke in zahlreichen, auf die Funktion hin gestalteten Formen; typisch sind fein ausgebildete Faustkeile
1,7–0,1 myaAcheuléenfeiner bearbeitete FaustkeileAltpaläolithikumH. heidelbergensis H. ergaster
2,6-1,8 myaOldowan(Olduwan)Geröllgeräte, Hacksteine, sog. Chopper und Chopping ToolsH. georgicus,H. gautengensis H. habilis, H. rudolfensis

      Vielleicht die größte Sensation der Paläoanthropologie in den letzten Jahren war 2004 die Entdeckung des Miniaturmenschen in Liang Bua auf der ostindonesischen Insel Flores. Es handelt sich dabei um fast unglaublich junge Funde – „Hobbits“ lebten auf Flores bereits vor ca. 95 tya und noch bis etwa 12–18 tya, existierten also noch mehr als 10.000 Jahre nachdem der letzte Neandertaler gestorben war. Zweifellos sind sich moderne Menschen und Hobbits noch begegnet. (Die Erinnerung an das womöglich schwierige Zusammenleben mit „Hobbits“ hat vielleicht bis heute im Folklorewesen Ebu Gogo überlebt. Die Ebu Gogo waren kleine Menschen, die unbestätigten Erzählungen zufolge noch im 18.–19. Jahrhundert auf der Insel gelebt haben sollen.) Hobbits waren auffällig klein (1,1 m, 25 kg) (Abb. 2.5) und besaßen kleine Köpfe (Hirnschädelvolumen 400 cm3). Gerade die außerordentlich kleinen Gehirne nährten lange den Verdacht, dass es sich um eine krankhafte (pathologische) Mikrozephalie handelte. Und in der Tat ist dies merkwürdig, denn die meisten sekundär miniaturisierten Säugetiere haben relativ große Gehirne (eine Ausnahme sind z.B. die Flusspferde auf Madagaskar). Ein wirkliches Rätsel ist das Vorkommen von „Hobbits“ ausgerechnet auf Flores: Diese Insel ist kein Bestandteil des asiatischen Shelfs und war nie über eine Landbrücke, also trockenen Fußes, erreichbar. „Hobbits“ lebten hier in einem bizarren Ökosystem zusammen mit Zwergelefanten, Riesenratten, Komodowaranen und riesigen Marabustörchen. Flores muss vor einigen Zehntausend Jahren wahrlich ein besonderer Ort gewesen sein.

      H. floresiensis wurde ursprünglich als miniaturisierte Inselform des H.erectus interpretiert, eine aus dem Gesichtspunkt der Geografie und Stratigrafie logische Hypothese, die erst kürzlich auch durch eine detaillierte Analyse der kraniofazialen Morphologie bestätigt werden konnte. Allerdings zweifeln einige Forscher die Existenz einer eigenständigen Menschenart auf Flores an. Sie postulieren, dass „Hobbits“ pathologische Abweichungen darstellen (Mikrozephalie, Laron-Syndrom, endemischer Hypothyroid-Kretinismus). Man muss aber betonen, dass es sich nicht um pathologische Individuen, sondern um eine ganze Population handeln müsste, die auf Flores mehrere Tausend Jahre lebte. Der „Krieg um den Hobbit“ wurde in der ersten Dekade unseres Jahrhunderts sehr heftig geführt. Im Verlauf der Streitereien wurde die „Pathologie-Hypothese“ ebenso häufig widerlegt wie wiederbelebt. Wie das in der Wissenschaft häufig vorkommt, konnte keine Seite vollends überzeugen. Die neueren Versuche zur phylogenetischen Analyse der Reste des „Hobbits“, mit dem Fokus diesmal nicht auf dem zweifelhaften Schädel, sondern auf den Extremitäten, deuten darauf hin, dass es sich nicht nur um eine besondere, sondern vor allem um eine außerordentlich primitive Art handeln könnte, die sich irgendwo auf der Ebene des H.habilis abgespalten hat. Für die basale Stellung des „Hobbits“ spricht eine Reihe morphologischer Merkmale, wie z.B. der robuste Unterkiefer ohne „Kinn“, die primitiven Prämolaren, die Form des Hirnschädels, der Bau der Handwurzel, die Fußform und die Körperproportionen, die alle eher den Australopitheken oder H.habilis ähneln. In diesem Fall wäre die Miniaturisierung nicht besonders dramatisch ausgefallen. Andererseits würde diese Sichtweise die Existenz einer umfassenden und bisher unbekannten Migration von primitiven afrikanischen „Menschen“ über Asien hinweg voraussetzen, für die sich (bisher) keine Spuren finden lassen (vielleicht mit Ausnahme von ca. 2 Millionen Jahre alten Steinwerkzeugen aus der Fundstelle Riwat in Pakistan). Bemerkenswert ist auch, dass die menschlichen Werkzeuge auf Flores in ca. 1 mya alten Erdschichten gefunden wurden, ihre Fossilisierung also lange vor der Ankunft moderner Menschen nach Indonesien begonnen hatte.

      Man kann zusammenfassen, dass H.floresiensis gegenwärtig zumeist für eine eigenständige Art gehalten wird, deren phylogenetische Stellung aber rätselhaft bleibt. Immerhin besteht die Hoffnung, dem Rätsel mit molekulargenetischen Methoden auf die Spur zu kommen, wenn es gelingt, DNA aus den relativ jungen „Hobbit“-Knochen zu gewinnen und zu analysieren.

      Die augenfälligste evolutionäre Änderung (Körpervergrößerung, Abb. 2.5, wahrscheinliche Rückbildung der Körperbehaarung usw.) findet sich erst bei H.erectus im weiteren Sinne und seinen Nachkommen.

      2.5.1 Homo ergaster

      Die Schlüsselart der „großen Menschen“ und ihr ältester Vertreter ist der ost- und südafrikanische H.ergaster (1,4–1,9 mya). Traditionell wurde er für eine alte afrikanische Form von H.erectus gehalten. Heute wird seine nahe anzestrale Beziehung zur „Sapiens-Linie“ (H.heidelbergensis und seine Nachkommen) und auch zu asiatischen Populationen von H.erectus allgemein anerkannt (Abb. 2.9). Homo ergaster war bis zu 180 cm groß, also wesentlich größer als die basalen Vertreter der Gattung Homo („Habilini“), und zeichnete sich durch „moderne“ Körperproportionen aus – im Gegensatz zu den Australopitheken konnte er auch schnell laufen. H.ergaster nutzte als erster – zumindest in späteren Zeiten – auch abgeleitete, fein bearbeitete Steinwerkzeuge (Acheuléen-Kultur) (Tab. 2.2). Es scheint, dass seine Sozialstruktur ähnlich der des modernen Menschen war (reduzierter Geschlechtsdimorphismus im Vergleich zu den „Habilinen“). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang das als KNM-ER 1808 bezeichnete Skelett einer Frau, die offenbar eine normalerweise fatale Hypervitaminose A langfristig überlebt hat, was zum einen auf intensive Jagd (und Leber der Raubtiere als übliche Nahrung) hindeutet, zum anderen auf eine anfängliche „ärztliche Fürsorge“ und damit auf ein Sozialverhalten, das ein bedeutendes Maß an Kooperation und Koordination einschließt.

      Abb. 2.9: Stammbaum und räumlich-zeitliche