Freeze
Ist die bedrohliche Situation völlig aussichtslos, da sie weder durch Kampf oder Flucht zu bewältigen ist, kommt es zum Stadium des Freeze, der Erstarrung, die als ein biologisch verankertes, letztes verzweifeltes Bemühen, durch Nicht-Auffallen oder eine Art Totstellreflex noch einmal davonzukommen, evolutionär erklärt werden kann. Hier stellt sich ein Gefühl der völligen Ohnmacht und des Ausgeliefertseins, nicht selten mit maximaler Panik, ein. In einer solchen Situation ist man häufig desorientiert, mitunter verwirrt, man verliert wichtige emotionale und kognitive Ressourcen. Teile des Geschehens werden nicht oder nur unzusammenhängend wahrgenommen, es überwiegen die panikverstärkenden und unmittelbar bedrohlichen Eindrücke. Der Zugang zu Ressourcen und Problemlösungsstrategien ist häufig versperrt. Die Amygdala sorgt für ein maximales Erleben von Panik, während hippocampale Funktionen eingeschränkt sind, so dass wir uns später an Einzelheiten des Traumas gar nicht oder nur sehr partiell und bruchstückhaft erinnern. Die Integration des Geschehens ins Bewusstsein sowie ins Langzeitgedächtnis ist also gestört. Das gilt auch für die Integration des emotionalen Erlebens. Schlussendlich können Teile des Erlebten noch nicht einmal mehr sprachlich erfasst werden, da Wege zu den Sprachzentren in der Großhirnrinde nicht mehr in adäquater Weise zur Verfügung stehen.
In einer letzten Stufe der Verarbeitung werden nur noch die vegetativen Überlebensfunktionen gewährleistet.
In einer Situation, in der letztlich Zwischenhirnstrukturen oder die noch darunter liegenden vegetativen Funktionen die Führung übernehmen und die darüber liegenden, reiferen und komplexeren Hirnstrukturen völlig überfordert sind, führt dies zu den bereits beschriebenen Phänomenen der Derealisation und der Dissoziation, so dass – beispielsweise bei einer Vergewaltigung – bestimmte Aspekte des Geschehens nicht als real oder als Bedrohung des eigenen Ichs wahrgenommen oder später detailgetreu erinnert werden. Auch eine emotionale Abspaltung und relative Gefühlslosigkeit ist hier einzuordnen.
Es muss betont werden, dass diese Reaktionen und stufenweise vereinfachenden Maßnahmen unterschiedlicher Hirnareale kein pathologisches Phänomen sind. Sie sind vielmehr die normale Reaktion auf ein unnormales, lebensbedrohliches Geschehen.
Die Reize, die über unsere Sinne und verarbeitet vom limbischen System das Gehirn überfluten, signalisieren höchste Gefahr und Todesbedrohung. Mit diesen Impulsen fertig zu werden, sind die höheren kortikalen Strukturen nur bedingt in der Lage. Sind sie damit überfordert, wird der Impuls an die „nächste Etage darunter“ weitergegeben, die ein Überleben (wenn auch auf Kosten von Komplexität und zielgerichtetem Handeln) noch ermöglicht. Selbst die unterste, rein vegetative Reaktion ist also sinnvoll, stellt es doch die einzige und letzte Möglichkeit dar, trotz auswegloser und unmittelbar lebensbedrohlicher Situation eventuell doch noch zu überleben.
Reaktionen bei akutem Trauma
So sinnvoll und möglicherweise überlebensfördernd eine solche Reaktion auf ein akutes Trauma ist – sie hat allerdings zur Folge, dass sich Nervenbahnen und synaptische Verschaltungen ändern. Dies führt in der akuten Krisensituation beispielsweise dazu, dass die Betroffenen nur mit dem akuten Überleben beschäftigt sind, hingegen nicht nach gezielter Hilfe Ausschau halten können, Schwierigkeiten mit der Orientierung haben etc. In den folgenden Stunden, Tagen und Wochen (erfahrungsgemäß bis zu einem halben Jahr) werden die Schrecksituationen immer wieder erlebt und reaktiviert. Gelingt es, möglicherweise bereits in oder kurz nach der Katastrophensituation externe Hilfe bei diesem Prozess anzubieten, oder kann man wenigstens innerhalb des ersten halben Jahres auf solche Hilfe zählen, so kann ein solches Trauma bearbeitet, ins bewusste Erleben integriert und somit überwunden werden. Dies setzt allerdings voraus, dass es sich um ein einmaliges Trauma (beispielsweise ein Erdbeben oder ein Autounfall) und nicht um ein fortgesetztes Trauma (sequenzielle permanente Wiedervergewaltigung, Kriegsgefangenschaft, systematische Folter etc.) handelt und dass externe Helfer zur Verfügung stehen.
Direkt in oder nach einem Trauma ist es beispielsweise hilfreich, nach Abwendung der unmittelbaren Lebensgefahr, der Zufuhr von Atemluft (wo dies nötig ist) und Flüssigkeit, für Wärme und Ruhe zu sorgen (Schutz, Decken). Gleichzeitig ist es hilfreich, in kurzen und eindeutigen Sätzen Realität herzustellen („Sie sind jetzt in Sicherheit. Die Gefahr ist gebannt. Folgende Hilfe ist zu erwarten: […]“). Dies muss möglicherweise immer wieder, in einfacher Form, wiederholt werden, weil auf den Verwirrtheitszustand des Betroffenen Rücksicht genommen werden sollte. Aber auch Flashbacks und Intrusionen in der Folgezeit kann durch Sicherheit gebendes, erklärendes Verhalten bzw. gezielte posttraumatische therapeutische Hilfe begegnet werden.
Schwieriger ist es, wenn eine solche Hilfe auf Dauer ausbleibt und / oder es zu einer permanenten, andauernden und wiederholten Traumatisierung kommt, wie das beispielsweise in Kriegssituationen, aber auch in sozialen Situationen, die durch rezidivierende Vergewaltigungen, gewaltanwendende Familienmitglieder o.ä. geprägt sind, der Fall ist.
Sequenzielle Traumatisierung
Im Gegensatz zu einem Monotrauma sind solche politraumatischen, ja sogar sequenziellen, also aufeinanderfolgenden Traumatisierungen dadurch gekennzeichnet, dass immer wieder ähnliche oder sogar gleiche Erfahrungen gemacht werden. Dies führt schließlich dazu, dass sich die neuronalen Verschaltungen, die in der Extremsituation vielleicht lebensrettend waren, verfestigen und stabilisieren. Jedes weitere als Trauma identifizierte Ereignis verfestigt die neuronalen Synapsen, und schließlich kann bei geeigneten Triggern jedes Ereignis, jeder Geruch, jeder Anblick, jede Emotion u. U. mit dem lebensbedrohlichen Trauma assoziiert werden. Das führt dann automatisch dazu, dass das Ereignis nicht in der obersten Etage, also im frontalen Großhirn oder der weiteren Großhirnrinde, sondern direkt von den tiefsten Schichten unseres Gehirns, dem Zwischenhirn, Stammhirn und dem Vegetativum, bearbeitet wird. Der renommierte Neurobiologe Hüther (2017) benutzt das Bild eines Schachtes oder eines Aufzugs, um darzustellen, dass bei einer Verfestigung der nun dysfunktionalen zerebralen Krisenverarbeitungsprozesse bei jeder erneuten Schwierigkeit automatisch der posttraumatische Bearbeitungsmodus ausgelöst wird. Dies erklärt die Intrusionen und Flashbacks, also das permanente Wiedererleben traumatischer Ereignisse, auch in Situationen, bei denen objektiv keine oder nur sehr geringe Gefahr vorliegt, aggressive oder depressive Impulsdurchbrüche, die sich der Kontrolle entziehen, massive Ängste bis hin zu Panikattacken, Verwirrtheitszustände, dissoziative Bilder, Albträume usw. Mit jedem neuen Flashback, mit jedem neuen inadäquat verarbeiteten Trauma, erst recht aber mit jedem weiteren schweren lebensbedrohlichen Trauma, jeder weiteren Gewaltanwendung oder Vergewaltigung verschlimmern und verfestigen sich diese neuronalen Verschaltungen und Bahnen oder, um im Bild von Hüther zu bleiben, die Aufzugsschächte. Umso schwerer wird es auch, andere und neuere, angemessenere Verarbeitungsmodi zu implementieren.
Frühkindliche Traumatisierung
Neben Einzeltraumen und politraumatischen, sequenziellen seelischen Verletzungen ist drittens noch auf frühkindliche (häufig ebenfalls sequenzielle) Traumatisierung einzugehen. Frühkindliche Gewalt, Vernachlässigung / Deprivation oder sexueller Missbrauch, frühkindlicher Hunger, das Erdulden schwerster krankheits- oder kriegsbedingter Traumen am Ende der Schwangerschaft sowie vor allem im ersten, z. T. auch noch im zweiten und dritten Lebensjahr betreffen das Gehirn, das gerade erst im Aufbau ist. Fertig sind bei der Geburt lediglich die Stammhirnfunktion und zu einem gewissen Teil die Zwischenhirnfunktionen des limbischen Systems. Die darüberliegenden Schichten, insbesondere die Hirnrinde und ganz besonders der präfrontale Kortex, die u. a. für differenziertes Bearbeiten sozialer Erfahrungen und das Anbahnen adäquater Lösungsmodi im sozialen Kontext zuständig sind, bilden sich erst in den ersten Lebensjahren im interaktiven Prozess mit der Umwelt, beispielsweise