Vor etlichen Jahren saß ich an der Konzeption meiner Habilitationsschrift. Eine Freundin, die sich zur gleichen Zeit in Chemie habilitierte, fragte bei einem Treffen, wie die Dinge bei mir denn so stünden. Ich hatte etwa ein Jahr des intensiven Lesens, Suchens und Fragens hinter mir, in dem ich nicht selten verzagt war. Erst ganz langsam begann ich Land zu sehen. Deshalb antwortete ich auf ihre Frage mit einem Stoßseufzer der Erleichterung: »Ich beginne, an die Möglichkeit der Fragestellung zu glauben.« Selten habe ich ein so verdutztes Gesicht gesehen wie ihres in diesem Augenblick. Dass man nach einem Jahr täglich vielstündiger Arbeit es als Glück empfinden kann, langsam den Themenbereich zu sehen, um den es gehen könnte, war für die Denkwelt der versierten Naturwissenschaftlerin völlig fremd. Sie hatte buchstäblich nach wenigen Tagen gewusst, welches chemische Problem sie bearbeiten wollte und welche hoch komplexen Geräte und Methoden sie dafür würde verwenden müssen. Geplagt haben wir uns mit unseren jeweiligen Arbeiten nachher beide weidlich, und in einer Reihe von Gesprächen die sehr unterschiedliche Fächerkulturen in der Naturwissenschaft einerseits und in Theologie und Philosophie andererseits erkundet.
Von diesen unterschiedlichen Fächerkulturen wird weiter unten im Kapitel über Theologie und Naturwissenschaft noch die Rede sein müssen. Ich erzähle die Episode hier nicht, weil sie für meinen damaligen und auch heutigen Arbeitsstil typisch ist – es könnte sich ja um eine nicht eben empfehlenswerte persönliche Marotte handeln. Mit dem Satz »Ich beginne an die Möglichkeit der Fragestellung zu glauben« zeigt sich vielmehr etwas, was für die Religionsphilosophie insgesamt kennzeichnend ist: Was Gegenstand religionsphilosophischer Fragen sein kann, erschließt sich so gut wie nie selbstverständlich. Man muss sich, wie Martin Heidegger (1889–1976) einmal gesagt hat, vielmehr geduldig um die »Freilegung des Horizonts« der wirklich interessanten Fragen kümmern. (Heidegger 15) Für diesen eigentümlichen Umstand gibt es mehrere Gründe. Sie haben sowohl mit dem Frageinstrument zu tun, also der Behauptung, hier werde philosophisch gefragt, als auch mit dem Gegenstand der Religionsphilosophie, der mit dem eigentümlichen Begriff ›Religion‹ allenfalls grob umrissen ist. Der Begriff ist sogar so umstritten und unklar, dass den damit verbundenen Diskussionen in diesem Band ein eigenes Kapitel gewidmet werden muss. Hier geht es in einer ersten Annäherung um die beiden Phänomene Frageinstrument und Gegenstand.
a) Philosophisch denken
Zunächst also zur Behauptung, es handle sich um eine philosophische Disziplin. Was ist damit gemeint und was tun Menschen, von denen man sagt, sie philosophierten? Erste Annäherungen fallen mitunter leicht amüsiert aus: Philosophen und Philosophinnen sind Angehörige einer brotlosen Kunst, so dass die Chance von einem oder einer von ihnen in einer Universitätsstadt im Taxi gefahren zu werden, ziemlich hoch ist. Das liegt daran, dass sie sich für Dinge interessieren, die eigentlich keine Dinge sind und die mit dem, was Menschen brauchen und womit sie tagtäglich umgehen, nichts zu tun haben. Philosophen interessieren sich für alte und uralte Bücher, von denen sie behaupten, dass sie dennoch nicht veralteten und sie freuen sich daran, auf diesen großen Bücherstapel noch weitere Bände derselben Art aufzuschichten. Wer einmal einen philosophischen Kongress besucht hat, wird feststellen, dass diese Schilderung nicht weiter übertrieben ist. Warum also bringt Philosophie Menschen dieses Schlages zusammen? Und vor allem: Warum finden sie es gut, so zu sein und so zu arbeiten? Zwei Hauptgründe lassen sich benennen, um diese nur scheinbar weltfremde Faszination zu verstehen:
In der Philosophie gelten die Prüfkriterien ›wahr‹, ›wirklich‹ und ›sinnvoll‹
Alle vorgetragenen Argumente müssen sich an diesen Prüfkriterien messen lassen – und nur an ihnen. Damit ist zunächst gesagt, dass Philosophie eine Denkdisziplin ist, die mit möglichst wenigen und möglichst allgemeinen Voraussetzungen auskommen will. Niemand kann – und das ist quer durch alle Lager Konsens – ohne Voraussetzung denken. In der Philosophie gilt nun, dass diese Voraussetzungen benannt werden müssen und mehr noch, dass sie den strengen Allgemeinheitskriterien ›wahr‹, ›wirklich‹ und ›sinnvoll‹ zu genügen haben. Das mag selbstverständlich klingen, aber es schließt einige wohl vertraute Denkweisen aus. So gilt zum Beispiel nichts nur deshalb, weil es immer schon gegolten hat, also aus Tradition, und sei die Tradition noch so vertraut und lieb geworden. Auch gilt nichts nur deshalb, weil Menschen es einmal so beschlossen haben, etwa ein Gesetzgeber oder eine verfassungsgebende Versammlung – auch dann, wenn man das Gesetzbuch oder die Verfassung für gelungen hält. Erst recht gilt nichts nur deshalb, weil jemand den Anspruch erhebt, es sei ihm von Gott offenbart worden oder auf eine andere Weise als höhere Wahrheit zuteil geworden, und diese Weise stünde nur ihm oder wenigen zur Verfügung. Tradition also, Behauptung/Setzung und Offenbarungsanspruch sind klassische Argumentationsfiguren, mit denen die Philosophie immer wieder zu tun hat, deren Gültigkeit sie jedoch bestreitet. Am Ende einer philosophischen Prüfung kann herauskommen, dass etwas, was traditionell gilt, vom Gesetzgeber so beschlossen wurde oder von einer Religion als Wahrheit verkündet wird, tatsächlich wahr ist; allerdings darf das nicht vorausgesetzt werden, soll es sich tatsächlich um eine philosophische Prüfung von Argumenten handeln.
Diese Bestimmung mag man für einigermaßen selbstverständlich halten, und in einer Gesellschaft und Diskussionskultur, die sich aufgeklärt nennt, ist das auch gut so – wenn schon nicht jeden Tag, so doch als kritischer Ruf zur Sache. Die Hintergründigkeit zeigt sich dann, wenn man sich folgendes klarmacht: ›Wahr‹, ›wirklich‹ und ›sinnvoll‹ sind Kriterien, die selbst in ihrer Bedeutung umstritten sind. Beim Kriterium ›wahr‹ etwa verhält es sich so: Recht viele sagen, eine Aussage sei dann wahr, wenn sie mit dem Gegenstand übereinstimmt, den sie abzubilden behauptet. Dieses Verständnis von Wahrheit, die Korrespondenztheorie, geht auf Aristoteles (384–322 v.Chr.) zurück und dürfte im allgemeinen Bewusstsein recht weit verbreitet sein, so weit sogar, dass viele Zeitgenossen kaum auf eine andere Idee kommen würden als diese: Wahre Aussagen bilden Wirklichkeit ab, falsche tun dies eben nicht.
Freilich kann man mit guten Gründen auch anders denken. Sie zeigen sich, wenn man die Korrespondenztheorie näher unter die Lupe nimmt: Damit für sie ein Satz wahr ist, muss irgendeine Verbindung zwischen dem Satz und der von ihm beschriebenen Wirklichkeit vorhanden sein, er muss mit angebbaren Gründen auf diese Wirklichkeit bezogen werden können. Wenn es etwa um die Beschreibung eines Hauses geht, das jemand sieht, dann ist ja klar, dass die Sätze, mit denen das Haus beschrieben wird, das Haus nicht einfach abfotografieren oder abmalen. Im Lauf der Entwicklung der Sprache, die der Beschreibende verwendet, kam es vielmehr dazu, dass die Sprecher dieser Sprache Wörter und Sätze auf gleiche Weise verwendeten und so vereinbarten, wie ihre Sprache funktionieren soll. Wer mit Worten ein Haus beschreibt, hat es also nicht nur mit der Korrespondenz seiner Beschreibung an die Sache zu tun, sondern mit einem Beschreibungsinstrument, in dem sehr viel Herkommen, Entwicklung und Vereinbarung enthalten ist. Dieses Moment der Vereinbarung spielt in einer weiteren Wahrheitstheorie die Schlüsselrolle, in der Konsenstheorie der Wahrheit. Nach ihr darf das als wahr gelten, was unter fairen Bedingungen von allen an der Wahrheitssuche Beteiligten als wahr ausgemacht wird. Reine Konsenstheorien der Wahrheit fragen skeptisch, ob man den Bezug von Beschreibung zur Sache, den die Korrespondenztheorie behauptet, jemals ohne Beimengungen bekommt. Sie schauen deshalb besonders gründlich auf diese Beimengungen und erklären, sie seien das wahrheitstheoretisch eigentlich Interessante.