Regionalentwicklung. Tobias Chilla. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tobias Chilla
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Математика
Год издания: 0
isbn: 9783846345665
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Die Auseinandersetzungen zu Themen der Regionalentwicklung können innerhalb dieser Kategorien höher sein als zwischen den Gruppen. Daher ist die Bildung von Akteursgruppen immer mit Vorsicht vorzunehmen und vor allem auch in Abhängigkeit von den zugrunde liegenden Fragestellungen. Beispielsweise kann es sinnvoll sein, nicht von den öffentlichen Akteuren zu sprechen, sondern eine Unterscheidung zwischen der Politik – also den gewählten Vertretern – und der Verwaltung – also den ausführenden Stellen – vorzunehmen. Häufig werden Akteure als Stakeholder (engl. für Interessenvertreter) bezeichnet. Dies sind Anspruchsgruppen, die – beispielsweise als Kammern, Nichtregierungsorganisation, Gewerkschaft etc. – versuchen, ihre jeweiligen Interessen durchzusetzen, ohne nur den Entscheidungen der politischen Vertreter zu vertrauen.

      Im Folgenden wird primär im Hinblick auf den steuernden Staat argumentiert, der explizit Regionen entwickeln will. Die weiteren Akteure, deren Handeln und Interessen, sind aber immer mitgedacht und werden auch immer wieder angesprochen.

      1.6.1Regional(entwicklungs)analyse ?

      Die Forschungspraxis der Regionalentwicklung ist nicht weniger vielfältig als die Untersuchungsobjekte regionaler Entwicklung es sind. Das gesamte Repertoire von Sozial-, Raum- und Planungswissenschaften, aber durchaus auch Elemente der naturwissenschaftlichen Forschung können hier potenziell von Bedeutung sein. Eine eigene Methodik für die Analyse der Regionalentwicklung gibt es dabei nicht – auch wenn einige Aspekte bei Operationalisierung und Erhebung besonders häufig zu verzeichnen sind. Dazu kann wohl gezählt werden, dass Fallstudien ein besonders häufig gewähltes Format sind, und hiermit auch die Methoden-Kombination (bspw. in der Kombination von Experteninterviews und Dokumentenanalyse als qualitativen Elementen mit sekundärstatischen Analysen oder repräsentativen Befragungen als quantitativen Methoden).

      Im Folgenden sei zumindest kurz auf einige Punkte verwiesen, die vor allem in der anwendungsnahen Analyse häufig Herausforderungen darstellen.

      Es ist häufig zu beobachten, dass Untersuchungen sich auf lediglich eine Region stützen, also sogenannte one-case-studies durchgeführt werden. Dies kann bei kompakten, anwendungsnahen Fragestellungen völlig berechtigt sein (z. B. Wohnraumbedarfsanalyse), auch kann in hermeneutisch und stark konzeptionell orientierten Fragen die Konzentration auf eine Region sinnvoll sein. Schließlich sind gelegentlich auch spektakuläre Einzelprojekte für sich genommen sehr aufschlussreich (z. B. zum Konflikt um die Umsetzung des Kopfbahnhofs in Stuttgart). Häufig ist aber eine komparative Betrachtungsweise vorzuziehen: Ein Gegenüberstellen verschiedener Fälle hilft die Aussagekraft abzusichern. In jedem Fall ist die Auswahl der Fallstudien theoriebegleitet vorzunehmen und zu begründen.

      Grundsätzlich gilt, dass wenigstens eine Dimension der Fälle möglichst gleich sein sollte, damit die Unterschiede in einer anderen Dimension interpretierbar sind. Will man beispielsweise die Bedeutung von internationaler Fachkräfte-Migration auf regionaler Ebene untersuchen, so kann es sinnvoll sein, den Grad an metropolitaner Bedeutung der betrachteten Regionen in etwa ähnlich zu halten, damit es keine willkürliche Zusammenstellung von Einzelfällen wird.

      Häufig besteht auch eine Abwägung zwischen Tiefe und Breite der Untersuchung (s. Thomas 2011). Möchte man beispielsweise verstehen, wie Lernprozesse in INTERREG-Projekten ablaufen, so kann man entweder möglichst viele Projekte betrachten und anhand eines standardisierten Indikators die Lerneffekte ‚messen‘ – dies kann beispielsweise in standardisierten Befragungen erfolgen. Möchte man hingegen die Prozesse des Lernens tiefgründiger verstehen und auch Lerneffekte erfassen, die den Beteiligten nicht unmittelbar bewusst sind, so bietet sich eine eher verstehende, induktive Vorgehensweise an, die mit ausführlichen Interviews und teilnehmender Beobachtung arbeitet (so erfolgt bei Hachmann 2011).

      Die Abb. 13 ordnet diese Überlegungen in einen größeren Kontext ein, indem hier auf zwei Achsen argumentiert wird. Auf der horizontalen Achse sind im linken Teil die theoriegeleiteten Verfahren dargestellt, wo also eine Fragestellung und deren Operationalisierung aus übergeordneten Diskussionen abgeleitet werden. Auf der rechten Seite dieser Achse sind die induktiven Herangehensweisen abgebildet, wo also stark datengestützte Operationalisierungen im Vordergrund stehen. Hier kommen wir auf den Positivismus zurück, der im Eingangskapitel ausführlicher beschrieben wurde, und der in der Regionalanalyse häufig mit den Daten-Layern verbunden ist.

Abb_013

      Abb. 13 Fallstudien im Methodenkontext (verändert nach Borchardt & Göthlich 2007)

      Auf der vertikalen Achse sind im unteren Bereich die Herangehensweisen abgebildet, die auf eine Objektivität von Methoden abzielen und wo folglich auch quantitative Methoden klar dominieren. Im oberen Bereich hingegen sind die eher interpretierenden Verfahren abgebildet. Wenn hier das Wort „subjektiv“ verwendet wird, so stellt dies auf die Interpretationsleistung des Betrachters ab, die aber nicht mit einer Beliebigkeit zu verwechseln ist. Das Gebot der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit von wissenschaftlichen Aussagen gilt in jedem Fall.

      Bereits der Begriff Regionalentwicklung verweist auf die prozessuale Dimension von Regionen, auf ihre Historie. Bei dieser Entwicklung zeigt sich die Tendenz eines über die Jahrtausende steigenden Einflusses des Menschen (s. Abb. 14, Blackbourn 2007, Küster 2009, Schenk 2011). Parallel verändern sich die Anteile der Ökosystemtypen.

Abb_014

      Abb. 14 Geschätzte Veränderungen der Flächenanteile der fünf Haupt-Ökosystemtypen der mitteleuropäischen physischen Räume seit dem Ende der letzten Eiszeit (eigene Darstellung nach Haber 1991, Job 1999, Kühne 2008)

      Die Entwicklung der Gesellschaft wird in der Wissenschaft als ein Prozess verstanden, der sich in Phasen und Perioden (z. B. Antike, Mittelalter und Neuzeit; Vormoderne, Moderne und Postmoderne) einteilen lässt (Ipsen 2006). In jeder dieser Phasen oder Perioden richtet die Gesellschaft Ansprüche an den Raum, die mit unterschiedlichen Technologien durchgesetzt werden. Im Folgenden wird auf die in den Sozialwissenschaften weit verbreitete Einteilung von Vormoderne, Moderne und Postmoderne zurückgegriffen. Aufgrund der herausragenden Bedeutung der Energiegewinnung (z. B. in Form von Nahrungsmitteln, Heizmaterial, als Grundlage für technische Prozesse) für die Entwicklung von Regionen, erfolgt eine Konzentration auf dieses Thema. Eine vertiefte Darstellung zu den Paradigmen der Regionalentwicklung folgt zum Ende des zweiten Kapitels.

      18. Jahrhundert

      In der Vormoderne wurde der Grundstein gelegt für die Entwicklung des heutigen Siedlungssystems. Historische Handelswege oder Lagen an Flüssen (z. B. auch an Furten) begünstigten die Entstehung von Siedlungen und beförderten Handel. So ist die Entstehung fast aller Städte in Deutschland auf das Mittelalter zu datieren, nur wenige Städte reichen bis in die Römerzeit zurück, wie z. B. Köln oder Augsburg. Auch moderne Stadtgründungen sind selten, wie z. B. die Industriestädte Wolfsburg oder Eisenhüttenstadt. Mittelalterliche Städte waren nicht allein durch ihre hohe Bedeutung für Handel und Handwerk geprägt, im Hochmittelalter entwickelte sich eine rechtliche Trennung von Stadt und Land. Der Städter – als Bürger – verfügte über weitergehende Selbstverwaltungs- und Freiheitsrechte (Ennen 1987), wohingegen weite Teile der ländlichen Bevölkerung weitgehend einer fremden Verfügungsgewalt unterlagen. Zum Symbol für diese Trennung der Rechtsräume wurde die Stadtmauer (‚Bürger und Bauer trennt die Mauer‘). Von zentraler Bedeutung für das mittelalterliche Stadtrecht sind das Zollrecht, das Marktrecht und das Münzrecht sowie das Stapelrecht, das die Pflicht von Händlern begründet, seine Waren in der Stadt anbieten zu müssen. Die Ausrichtung auf Handel und Handwerk bedeutete eine gesteigerte Bedeutung von überörtlichen Erfahrungen und eher abstrakten