Stellt man die liberale und die keynesianische Sicht gegenüber, lassen sich zahlreiche Unterschiede im Hinblick auf die Regionalentwicklung benennen. Hier ist zunächst auf die betrachtete Maßstabsebene zu verweisen. Die liberale Sicht denkt wenig kleinräumig. Ein wirtschaftlicher Strukturwandel auf regionaler Ebene stellt aus dieser Sicht kein wirkliches Problem dar – hier wird in aller Regel ein Bereinigungsprozess angenommen, der durchaus sinnvoll ist. Wichtig ist, dass ‚auf das Ganze gesehen‘, also eher großräumig und langfristig, die Wirtschaftsleistung wächst. Die keynesianische Sicht hingegen tendiert dazu, auch kleinräumigere und kurzfristige Probleme zu adressieren.
Beide Perspektiven halten es für wünschenswert, dass Krisen in der regionalen Entwicklung zu überwinden sind. Allerdings unterscheidet sich der Weg dorthin erheblich. Abb. 11 illustriert dies in stark vereinfachter Form.
1.5Akteure der Regionalentwicklung
Das Faszinierende und Herausfordernde an der Regionalentwicklung ist, dass in der Region unzählige Faktoren und Akteure aufeinander treffen, die potenziell wirksam sind. Insofern kann die Reflexion der Regionalentwicklung nicht auf die expliziten Maßnahmen der staatlich organisierten Regionalentwicklung beschränkt werden. Eine Erweiterung hat in zweifacher Weise zu erfolgen: Zum einen ist zu unterscheiden zwischen generellem politischen Handeln und expliziter Regionalentwicklung. Die regionalen Krisen im Großbritannien der 1980er-Jahre sind durch die Deindustrialisierungspolitik unter Margaret Thatcher erheblich verschärft worden. Bis heute ist umstritten, inwieweit die Privatisierungspolitik in den neuen Bundesländern in den 1990er-Jahren die regionale Entwicklung erschwert oder auf längere Sicht stabilisiert hat. Beide Beispiele haben ihren Ursprung in der Wirtschaftspolitik, haben aber massive regionale Auswirkungen – sicher größere Konsequenzen als einzelne Förderprogramme der Regionalentwicklung.
Zum zweiten sind weitere Akteure einzubeziehen – neben dem öffentlichen Sektor auch die Wirtschaft und die Zivilgesellschaft, d. h. die Bevölkerung (Habisch & Schwarz 2012, Knieling et al. 2012). Es ist offensichtlich, dass unternehmerisches Handeln – Investieren, Verlagern, Einstellen und Entlassen – generell sehr direkte Auswirkungen auf regionale Entwicklung hat. Darüber hinaus haben viele Unternehmen aber auch eine explizite regionale Dimension in ihrem Handeln. In größeren Konzernen hat es sich in den letzten Jahren verbreitet, eine Abteilung mit Fragen der corporate social responsibility oder corporate regional responsibility zu betrauen. In Form von Spenden, Patenschaften, Ausbildungsinitiativen usw. wird Verantwortung (auch) im regionalen Umfeld übernommen. Diese ist häufig auch Teil der Selbstvermarktung, aber nicht darauf zu reduzieren (s. Textbox, Knieling et al. 2012, Hartenstein & Preising 2014).
Beispiel: Corporate spatial responsibility
Seit 2013 verleiht die Bundesregierung den sogenannten CSR-Preis (Corporate Social Responsibility) an Unternehmen, die sich durch eine verantwortungsvolle Unternehmensführung auszeichnen, wie beispielsweise einem nachhaltigen Einsatz von Ressourcen, aber auch für Engagement vor Ort im Sinne der Corporate Spatial Responsibility. Dadurch sollen auch andere Unternehmen motiviert werden sich zu engagieren (BMAS o. J.).
Der Sonderpreis im Jahr 2013 ging an das Unternehmen Türenmann Stuttgart GmbH mit Hauptsitz in Stuttgart. Das Unternehmen mit ca. 45 Beschäftigten ist Dienstleister im Handwerk, insbesondere für Türen und Fenster. Ausgezeichnet wurde der Fachbetrieb, da soziale Projekte vor Ort fester Bestandteil des Ausbildungsplanes sind. Außerdem erhielt die Firma im Jahr 2012 auch den Mittelstandspreis für soziale Verantwortung von Caritas und dem Ministerium für Finanzen und Wirtschaft Baden-Württemberg.
Die Firma versteht sich als Unternehmen in der Verantwortung für ihre Region und ist daher der Meinung, dass „die sozialen und fachlichen Kompetenzen unserer Mitarbeiter in einem regionalen und intaktem Umfeld […] die Zukunft“ entscheiden (BMAS o. J.). Wichtig ist ihnen daher, den Mitarbeitern soziale Kompetenzen zu erlernen und an sozialen Projekten vor Ort aktiv umzusetzen. Sie arbeiten mit und für Non-Profit-Organisationen vor Ort. So errichtete die Firma beispielsweise ein Spielhaus für die örtliche Kindertagesstätte oder schenkte einer Tagesstätte Holzspielzeug. Zudem übernimmt die Firma auch Bildungspartnerschaften mit regionalen Schulen, um den Jugendlichen berufliche Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Dies geschieht in Form von Schulbesuchen und der Demonstration verschiedener Berufsfelder. Zudem übernahm die Firma in den letzten Jahren die Patenschaft für den „Babynotarztwagen Felix“ (Türenmann 2015). Diese Beispiele zeigen auf, welche Bandbreite hier möglich ist.
Beispiel: Chiemgauer – regionale Währung
Der Chiemgauer entstand 2003 aus einem Schülerprojekt an der Freien Waldorfschule in Prien am Chiemsee und ist heute die erfolgreichste Regionalwährung in Deutschland mit knapp 3900 registrierten Mitgliedern (Verbraucher, Unternehmen, Vereine) und einem Chiemgauer-Umsatz aller Unternehmen von fast 7,5 Mio. Euro im Jahr 2014. Seit Beginn des Projekts steigen die Umsätze jährlich, mittlerweile wird das Projekt durch den Verein Chiemgauer e. V. und die Genossenschaft Regios eG organisiert und abgewickelt. Die Grundidee von Regionalwährungen ist es, Geld oder Dienstleistungen in eine regionale Währung zu tauschen, um damit regionale Wertschöpfung zu stärken.
Der Chiemgauer ist eine Währung, mit der in den Landkreisen Rosenheim und Traunstein bezahlt werden kann (Tauschverhältnis 1 : 1). Um als Verbraucher teilzunehmen, kann man sich kostenlos registrieren und bekommt eine ‚Regiocard‘ für elektronische Zahlungen, man kann den Chiemgauer aber auch abheben und in bar bezahlen. Abgehobene Chiemgauer sind allerdings nur einige Monate gültig, dadurch soll ein stetiger und schneller Umlauf bewirkt werden. Die Chiemgauer sind in den registrierten regionalen Unternehmen einsetzbar.
Beim Umtausch in Euro werden 5 % des Betrages einbehalten, mit denen örtliche Vereine und die Organisation der Währung finanziert werden (Sport-, Musik-, Trachtenvereine etc.) (Wieg 2009, Chiemgauer Regiogeld UG o. J.).
Das Beispiel verdeutlicht anschaulich, wie private Akteure aktiv in der Regionalentwicklung agieren und diese beeinflussen können.
Weitere Informationen: www.chiemgauer.info
Abb. 12 Der Chiemgauer (Quelle: Chiemgauer Regiogeld UG)
Auf der Schnittstelle zwischen unternehmerischem und regionalem Handeln ist das Schaffen von Infrastrukturen zu sehen. Waren früher Werkssiedlungen fester Bestandteil vieler Industriestädte, so werden heute Städte und Stadtteile häufig im umfassenden Sinne von einzelnen Unternehmen geprägt. In Deutschland ist dies vor allem in den kleinen Großstädten mit wichtigen Arbeitgebern sichtbar: Wolfsburg hat mit seiner gläsernen Fabrik von Volkswagen de facto ein zweites Stadtzentrum bekommen, in Erlangen entsteht derzeit mit dem Siemens-Campus in unmittelbarer Nähe zur Altstadt ein neuer Stadtteil, und in Ingolstadt nimmt der Audi-Konzern aktiv Stellung in der lokalen Verkehrspolitik.
Auch die Bevölkerung ist mitnichten nur als Adressat von regionaler Entwicklung anzusehen, sondern als wesentlicher Akteur. Wohnstandortwahl, Mobilitäts- und Einkaufsverhalten, aber auch ehrenamtliches Engagement auf individueller Ebene sind ganz wesentliche Parameter für regionale Entwicklung. Und auch in diesem Bereich sind eine ganze Reihe Ansätze explizit aus der Regionalentwicklung zu erkennen: Dies umfasst zu einem erheblichen Anteil Gegen- und Protestbewegungen (gegen Atom- oder Windkraft, für oder gegen Umgehungsstraßen etc., s. Kap. 3.3). Hinzu kommen zahlreiche Initiativen der alternativen Regionalentwicklung – z. B. Genossenschaften der Windenergie zur regionalen Verankerung der Wertschöpfung oder Etablierung von regionalen Währungen.
Wenn von Akteuren der Regionalentwicklung die Rede ist, so meint dies letztlich individuelles Handeln durch Einzelpersonen, sei es der Beamte des Bauamtes, der eine Genehmigung erteilt, oder die Fachkraft, die eine Mobilitätsentscheidung trifft. In der Reflexion und in der Steuerung von Regionalentwicklung ist diese Mikroperspektive aber selten hilfreich, da es in aller Regel um Akteursgruppen und auch um Strukturen geht. So war soeben die Rede von staatlichen Akteuren, solchen der Privatwirtschaft und der