»Nutze Pausen – nicht weil sie magische Kräfte haben, sondern weil du in den Pausen siehst, wie das Gesagte ankommt und erkennst, was vom Publikum zurückkommt.
Informationen bringen mehr als Überredungskünste
Klassische Rhetoriktrainings gehen vom Monolog aus, vom Reden gegen andere. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Überzeugungsrede. Eine Sache wird vertreten und muss gegen andere verteidigt werden. Das ist natürlich in vielen Reden enthalten, aber meistens nicht das Hauptziel – weder in Vorträgen oder Vorlesungen noch in Instruktionsvideos, Berichten oder Reportagen. Hier geht es primär darum, Leuten, die etwas Neues erfahren wollen, dieses neue Wissen zu vermitteln und sie anzuleiten, wie sie es weiter vertiefen können. In vielen Fällen ist dies auch die Haupttätigkeit von Verkäufern, Journalistinnen oder Unternehmenssprechern. Es ist nicht ein Reden gegen andere, sondern ein Reden für andere und mit anderen. Auch wenn die Zuhörer eine Stunde lang stumm bleiben, können sie aktiviert werden, denn sie wollen lernen, unterhalten werden, selbst weiterdenken. Eine konstruktive, dialogische Einstellung nimmt diese Bereitschaft zur Mitarbeit auf.
Gespräch – Vortrag – Online-Präsentation: Drei Beispiele
Welches sind die Stärken des Dialogs und welche davon können in die Präsentation – vor Publikum oder online – übernommen werden? Das ist leicht zu erkennen, wenn man eine Person bei den verschiedenen Aufgaben beobachtet: beim Gespräch, beim Vortrag und bei der Online-Präsentation.
Da ist die erfolgreiche Unternehmensberaterin Olivia Grau.38 Sie hat Managerinnen namhafter Firmen betreut und Weltklassesportler zum Erfolg geführt. Ihre Stärke ist die Motivation einzelner Menschen im persönlichen Kontakt. Wer sie zum privaten Gespräch trifft, erkennt ihre besondere Ausstrahlung, sie wirkt sympathisch und zugewandt. Wer sie im Vortrag hört, spürt bereits eine gewisse Distanz. Und in der Online-Präsentation in ihren Videos hat sie fast alle ihre sympathischen Züge verloren. Die folgenden Abschnitte beschreiben diese Unterschiede und zeigen, wo die Stärken liegen, auf denen sie auch im Vortrag aufbauen kann.
1. Das konstruktive Gespräch
Olivias Stärken werden in der persönlichen Begegnung mit ihren Kunden offenbar. Sie lässt sie erzählen, stellt Fragen, ergänzt das Gehörte mit ihren eigenen Erfahrungen und leitet daraus die Ratschläge für Praxis und Training ab. Dogmen und Regeln stehen nicht am Anfang, sondern folgen erst da, wo sich der Gesprächspartner geöffnet hat. Zwar sind die Rollen klar verteilt, aber es ist ein konstruktives Gespräch unter Gleichberechtigten.
»Raum: gemeinsame Nutzung. Die Trainerin und ihr Gesprächspartner finden ihren Platz gemeinsam. Wie weit sie voneinander entfernt sitzen oder stehen, pendelt sich ein.
»Zeit: gemeinsames Management. Zwar ist die Dauer einer gemeinsamen Sitzung vorher abgesprochen; aber wer wie lange spricht oder schweigt, ergibt sich aus der Dynamik des Gesprächs. Stellt einer eine Frage, bleibt dem anderen Zeit, sie zu verstehen und erst dann zu antworten.
»Zielsetzung: flexibel. Obwohl die Aufgabenteilung klar ist – die eine ist Trainerin, der andere Kunde –, verfügen beide über das gleiche Spektrum an Handlungen. Beide fragen, antworten, stellen Thesen auf, widersprechen usw. Der Schwerpunkt liegt nicht auf Überredung, sondern auf Verständigung.
»Sprachliche Gestaltung: locker. Die sprachliche Formulierung ergibt sich ohne viel Überlegen. Und wenn einem ein Wort nicht gleich einfällt, hilft der andere aus. Wenn etwas unverständlich bleibt, wird wiederholt oder neu formuliert.
»Sprechweise: problemlos. Die Lautstärke, das Tempo, die Betonungen ergeben sich von selbst. Verlangsamung und Pausen entstehen, weil das Gegenüber signalisiert, ob es der Rede folgen kann.
»Körpersprache: organisch. Blickkontakt und Gestik sind kein Problem, weil man sich wohlfühlt und so verhalten kann, wie es einem im Moment entspricht. Ob jemand mit dem Kopf nickt oder mit dem Fuß scharrt, wird im Gespräch direkt aufgenommen. Es gibt keine falsche Mimik oder Gestik.
»Medieneinsatz: dialogisch. Es gibt Dinge, die man sich auf dem Tablet zeigt; Informationen müssen ad hoc im Internet gesucht werden. Das stört das Gespräch nicht, weil man gemeinsam auf das Gerät blickt und es wieder weglegt, wenn es seine Aufgabe getan hat.
2. Der Vortrag vor Publikum
Die Trainerin ist als Rednerin zu einer Veranstaltung eingeladen, zu der sich 250 motivierte Teilnehmerinnen und Teilnehmer eingeschrieben haben, die etwas über ihr Motivationstraining lernen möchten. „Du bist der Schlüssel zu deinem Erfolg “ wird ihre Botschaft sein, und da sie von vielen erfolgreichen Kundinnen und Kunden berichten kann, wird niemand ihre Kompetenz anzweifeln. Aber man spürt auch, dass etwas fehlt. Sie wirkt unpersönlicher, kühler. Ihre Stimme klingt eher eintönig, einige Effekte, die sie sich gut überlegt hat, verpuffen im Saal. Sie bezeichnet das Reden vor Publikum als „Performance“, und das ist auch zu spüren: Sie wirkt, als ob sie unter Erfolgsdruck stünde, als ob es nur um Siegen oder Scheitern ginge.
»Raum: suboptimale Einrichtung: Im Seminarraum ist Platz für 250 Personen. Die Rednerin hat eine sechs Meter breite und drei Meter tiefe Bühne zur Verfügung, die sie mit einem großen Bildschirm teilt. Quer zur Bühne verlaufen die Tische, an denen das Publikum sitzt. Ein großer Teil der Leute sitzt mit dem Rücken zur Bühne, sie müssen sich also umdrehen, um etwas zu sehen.
»Zeit: ohne Beteiligung des Publikums: Die Rednerin spricht zwar nicht besonders schnell, sie macht immer wieder kurze Pausen. Aber diese dienen nicht dazu, das Publikum einzubeziehen. Wenn sie z.B. Fragen stellt, lässt sie diese nicht wirken. So stellt sie in der Einstiegsphase gleich mehrere Fragen:
„Wie sehen Sie sich selbst? Wie sehen Sie Ihr Umfeld? Wie schätzen Sie Ihre Ausgangschancen ein? Welche Bilder steigen in Ihnen auf, wenn Sie an Ihre letzte große Aufgabe denken?“
Niemand kann so viele Fragen verdauen, ohne dafür Zeit zu haben. Zwar sollen sich die Anwesenden nicht sich laut dazu äußern. Aber Fragen bleiben Fragen. Sie lösen eine Antwort aus und benötigen dazu etwas Zeit. Olivia gibt ihnen jeweils nicht einmal eine Sekunde, um die Frage zu verstehen und für sich zu beantworten.
»Zielsetzung: unbeirrtes Festhalten. Mehrere Male wird deutlich, dass die Rednerin ein Programm hat, das sie ohne Rückversicherung beim Publikum durchziehen will. Ein besonders drastisches Beispiel: Kurz vor Schluss will sie ein Buch verschenken und fragt: „Wer von Ihnen hätte gerne dieses Buch?“ – Niemand reagiert. Sie macht eine Pause, muss nochmals fragen. Erst nach qualvollen 15 Sekunden meldet sich jemand und kommt zur Bühne, um es in Empfang zu nehmen. – Sie hat sich während des Vortrags nicht die Zeit genommen, die Reaktionsbereitschaft der Anwesenden zu testen (etwa mit ernst gemeinten Fragen, bei denen erkennbar würde, wie weit das Publikum zu gehen bereit ist). Sie hätte erkannt, ob die Bereitschaft mitzumachen da ist, oder ob sie auf die Geste verzichten sollte.
»Sprachliche Gestaltung: verständlich, aber ohne Verknüpfungen. Der Vortrag ist von seiner Sprache her durchaus verständlich: einfache Sätze, keine unbekannten Ausdrücke. Aber viele Effekte verpuffen. Sie sind nicht eingebettet. Dies hängt mit dem Fehlen moderierender Übergänge zusammen: Einleitungen und Verknüpfungen fehlen; viele Aussagen stehen isoliert da und lassen den Zusammenhang vermissen.
»Sprechweise: monoton. Alle Aussagesätze enden melodisch gleich, Fragesätze sind akustisch fast nicht als solche zu erkennen. Wenn sie sich nicht als plakative Verkünderin, sondern als Gesprächspartnerin sähe (und die Fragen, die sie immer wieder stellt, würden das ermöglichen), ergäbe sich automatisch eine größere melodische Bandbreite.
»Körpersprache: unstet. Der Blickkontakt gelingt; sie sieht ins Publikum, und zwar mal hierhin, mal