Totenstille am See. Heribert Weishaupt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heribert Weishaupt
Издательство: Bookwire
Серия: Troisdorf-Krimi
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783939829997
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vorbei, um die Fundstelle der Leiche in Augenschein zu nehmen, vergaß dabei aber nicht, ihn höflich anzulächeln.

      Nun stand er zwischen den hohen Stängeln des Springkrautes. Inzwischen war eine größere Anzahl der Pflanzen niedergetrampelt und der Zugang zur Angelstelle war dadurch erheblich breiter als ursprünglich.

      Durch seine schnelle Auffassungsgabe, und aus der Erfahrung der vielen Dienstjahre bei der Polizei, registrierte Eisenstein in wenigen Augenblicken alle Details am Fundort der Leiche. Ein umgekippter Stuhl, der ebenfalls umgekippte Angelkoffer und die herausgefallenen Kleinteile, unter anderem ein Totschläger zur Betäubung der gefangenen Fische, lagen in der Nähe des Wassers. Ein Klappmesser und eine Taschenlampe, die nicht mehr leuchtete, lagen dagegen am oberen Rand der Lichtung. Direkt am Wasser waren zwei eiserne Rutenhalter in die Erde gesteckt, auf denen je eine Angelrute abgelegt war. Die Angelschnüre beider Angeln verschwanden bereits nach kurzer Entfernung vom Ufer im trüben Wasser des Sees. Einen Bissanzeiger konnte Eisenstein auf der Wasseroberfläche nicht erblicken. Mehrere leere Flaschen Bier lagen verstreut am Angelplatz. Eine noch ungeöffnete Bierflasche ragte aus einer Angeltasche heraus, die neben dem umgefallenen Stuhl lag. Eisenstein zog die Stirn in Falten. Irgendetwas fehlte hier. Nur was?

      In seiner Jugend hatte er einen Vorbereitungskurs zur Fischerprüfung besucht und danach auch die Fischerprüfung abgelegt. Tatsächlich hatte er in der Folgezeit nur wenige Male geangelt. Andere Interessen drängten sich in den Vordergrund und fesselten ihn mehr. Dies hatte sich bis heute nicht geändert.

      Wenn er wieder den Kopf freihatte, würde er sich sicher erinnern, was hier fehlte.

      Er schob den Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf die Leiche, die noch immer im Wasser lag. Davor kauerte eine Person in einem weißen Overall und weißer Kopfhaube. Ihre Beine steckten in Stiefeln, die bis über ihre Knie reichten.

      Zwei Mitarbeiter der Spurensicherung knieten auf dem Boden und erledigten ihre Arbeit, indem sie alle Gegenstände auf Fingerabdrücke überprüften. Als sie Eisenstein sahen, erhob sich einer von ihnen und meinte zu Eisenstein:

      „Sie können bis zu der Leiche gehen. Wir sind noch nicht ganz fertig mit unserer Arbeit. Verwertbare Fußabdrücke haben wir nur in der Nähe des Wassers sichergestellt.“

      Eisenstein ging konzentriert und behutsam bis direkt ans Wasser und stellte sich neben die Person im weißen Overall.

      „Guten Morgen, Frank. Was machst du denn hier?“

      Mit diesen Worten erhob sich die in weiß gekleidete Person. Zwei rehbraune Augen sahen Eisenstein an und er erkannte Susanne Ohlrogge. Ihre langen schwarzen Haare hatte sie geschickt unter der weißen Haube versteckt.

      „Hm, ja. Hallo … Susanne. Und was machst du hier?“, stotterte Eisenstein und schluckte mehrmals.

      Er war mehr als überrascht. Diese Konfrontation hatte er nicht erwartet, und es war ihm mehr als unangenehm.

      Vor vier Jahren, gerade als seine zweite Frau ihn verlassen hatte, lernte er Susanne auf einer mehrtägigen Fortbildungsveranstaltung der Polizeigewerkschaft kennen. Beide wollten dem stressigen Polizeialltag entrinnen und hatten das Seminar im Rahmen des Bildungsurlaubs gebucht.

      Bereits am ersten Abend an der Bar funkte es zwischen ihnen. Am Anfang plätscherte ihr Gespräch nur auf beruflicher Basis dahin. Im Laufe des Abends kamen sie sich näher und die Themen wurden persönlicher und intensiver. Es war nicht der Alkohol dafür verantwortlich, dass beide noch am gleichen Abend in Susannes Bett landeten. Eisenstein hatte tatsächlich Feuer gefangen und auch Susanne war verliebt. Es wurde für beide das schönste Seminar, das sie je besucht hatten. Die Beziehung dauerte nur zwei Monate. Als Eisenstein merkte, dass er und Susanne das Gesprächsthema bei fast allen Kolleginnen und Kollegen war, beendete er die Beziehung. Aus Feigheit vor dem Gerede der Kollegen, und weil er Angst vor einer neuen Beziehung hatte. Nicht aus fehlender Liebe, wie er sich nachher eingestand. Er selbst haderte lange mit seiner Entscheidung, die er aber nicht zurücknehmen wollte. Susanne war wütend und enttäuscht. Sie ließ sich sogar nach Stuttgart versetzen, um jede mögliche Begegnung mit ihm für die Zukunft auszuschließen. Und dann heute diese unerwartete Begegnung.

      „Wieso bist du hier an diesem Tatort in Troisdorf?“, frage Susanne, nachdem auch sie ihre Überraschung überwunden hatte.

      „Das ist eine lange Geschichte. Ich bin vor zwei Monaten nach Bonn versetzt worden. Und du? Du warst doch in Stuttgart?“

      „Ach ja, auch das ist eine lange Geschichte. Ich bin seit fast einem halben Jahr hier in Bonn in der Rechtsmedizin und es gefällt mir recht gut – viel besser als in Stuttgart.“

      Es entstand eine peinliche Pause. Eisenstein fühlte sich unwohl, in der Situation. Nicht nur um die Pause zu überbrücken, sondern auch aus wirklichem Interesse, meinte er spontan: „Wir können ja mal ein Bier zusammen trinken.“

      Fast hätte er hinzugefügt: „So wie früher.“

      „Dann hätten wir Zeit, auch für lange Geschichten“, fuhr er stattdessen fort.

      Irgendwie brachen alte, verdrängte Gefühle bei Eisenstein wieder auf. Wahrscheinlich hatte Susanne die damalige Trennung gut verkraftet und hegte keinen Groll mehr gegen ihn. Er war sich seiner Sache, oder besser gesagt, seiner Gefühle nicht so sicher.

      „Okay. Machen wir. Ich ruf dich an“, entgegnete Susanne ebenso spontan.

      Eisenstein war überrascht – und erfreut über diese Zusage. Doch wie sagte man hier im Rheinland? „Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps.“

      Und jetzt war er im Dienst.

      „Prima. Doch jetzt zu unserem Toten hier. Kannst du bereits etwas sagen?“

      „Nein. Ich kann nicht viel sagen. Wir müssen den Mann erst einmal an Land ziehen. Ich schlage vor, du wartest noch die Obduktion ab. Im Augenblick kann ich nur sagen, dass der Tod in der letzten Nacht, vielleicht so gegen Mitternacht eingetreten ist. Mord oder Unfall kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Wenn ich das alles hier so sehe, die leeren Bierflaschen, würde ich fast auf einen Unfall tippen.“

      „Okay, ich verstehe. Es sieht tatsächlich so aus, als ob er zu viel getrunken hat, stolperte und in den See fiel“, stimmte Eisenstein zu.

      „Konntest du feststellen, wer der Tote ist?“, fragte Eisenstein.

      „Ja, ich bin ein, zwei Meter ins Wasser hineingegangen. Der See ist hier am Ufer sehr flach. Dort konnte ich immer noch stehen. In der Innentasche seiner Jacke habe ich seine Angelpapiere gefunden. Sein Name ist Franz Bertram. Vierundfünfzig Jahre alt. Hier die Papiere. Die Anschrift kannst du daraus entnehmen. Er wohnt drüben in Troisdorf-Müllekoven“, gab Susanne als Auskunft und reichte ihm die Angelpapiere, die durch das Wasser aufgequollen waren. Zum Glück war die Schrift noch lesbar.

      „Ich würde sagen, wir sehen uns morgen bei der Obduktion. Solltest du heute noch neue Erkenntnisse gewinnen oder den Termin der Obduktion für Montag konkret festgemacht haben, ruf mich an“, entgegnete Eisenstein, der im Stillen hoffte, dass sie mit dem Anruf bis morgen warten würde. Er wollte sich heute noch mit Inka um die Wohnung kümmern. Zumindest wollten sie sich eingehend besprechen. Vor allem aber musste er diese Begegnung verdauen und sich über seine Gefühle klar werden.

      Eisenstein drehte sich abrupt um und verließ den Leichenfundort. Susanne schüttelte leicht ungläubig ihren Kopf. Charmant, wie sie ihn kannte, hatte Eisenstein ihr zu verstehen gegeben, dass er Ergebnisse wollte, und die möglichst schnell. Sie würde wohl Montag die Obduktion der Leiche vornehmen. Geplante andere Termine musste sie verschieben, denn Eisenstein konnte grantig werden, wenn er auf wichtige Ergebnisse warten musste.

      Im Grunde ihres Herzens freute sich Susanne, dass sie Frank getroffen hatte. Wahrscheinlich würden sie in Zukunft öfter miteinander arbeiten. Damals war sie enttäuscht und hasste ihn, da sie seine Gründe für die Trennung nicht verstand und nicht akzeptieren konnte. In den vier Jahren hatte sie viel erlebt. Die eine oder andere Beziehung war zerbrochen und sie konnte heute verstehen, warum Eisenstein damals kurz nach seiner zweiten Scheidung keine Beziehung mehr wollte. Die Angst vor