Falls notwendig sind auch ergänzende Fragen möglich: Die Themenliste lässt sich bei zu knappen Antworten oft nur vollständig abarbeiten, wenn nachgefragt wird.
(Auch) für Gespräche mit Personen, die auf einem bestimmten Gebiet hohen Expertenstatus (durch Wissen, Rang usw.) besitzen, ist diese Technik der Leitfadeninterviews (Experteninterviews) sehr gut anwendbar (vgl. Gläser/Laudel 2010: 43).
Völlig offene Interviews besitzen keinen Leitfaden mehr, sondern nur noch eine Themenliste. Hier bewegen sich die Interviewenden mit frei formulierten Fragen durch die Details.
Noch offener gestalten sich narrative Interviews: Sie beginnen mit EINER komplexen Frage.
„Erzählen Sie bitte, wo (wie) Sie im letzten halben Jahr mit Klimawandel zu tun hatten.‟
Erst nach einer längeren erzählenden Antwort der interviewten Person ist Nachfragen möglich, was zu weiteren Erzählungen anregt.
In der qualitativen Erhebungspraxis üblich sind auch qualitative Einzelbefragungen. Hier gelangen gewöhnliche qualitative Fragebögen (vgl. Abbildung 32 auf Seite 115) zum Einsatz.
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Diese legen zwar die Reihenfolge der überwiegend offenen Fragen fest, deren genaue Formulierung ist aber nicht vorgegeben.
Alle qualitativen Befragungstechniken versuchen, sehr detaillierte, verbal ausformulierbare und vor allem inhaltliche Auskünfte zu einem Thema zu erhalten. Dabei kann sehr individuell auf die Befragten eingegangen werden: Abhängig von deren Wortschatz fällt das Gesprächsergebnis mehr oder weniger wortreich aus. Die erhebenden Personen stellen sich in Wortwahl und Gesprächsniveau möglichst passend auf das jeweilige Gegenüber ein. Dadurch können oft auch unbewusste Einstellungen oder Verhaltensweisen der Befragten an die Oberfläche geholt werden.
Dieser Aufbau einer vertrauensvollen Gesprächssituation erfordert geschultes Erhebungspersonal. Wegen des hohen Zeitaufwands sind meist nur wenige gute Interviews möglich.
Wie Gruppendiskussionen werden die qualitativen Einzelbefragungen auditiv aufgezeichnet und in geschriebenen Text übertragen (transkribiert). Auch der weitere Auswertungsaufwand ist sehr groß: Gilt es doch, aus vielen subjektiven Einzel-Statements inhaltlich zusammenfassbare Schlüsse zu ziehen, die die Erkenntnisinteressen der Erhebung abdecken.
2.7 | Quantitative Befragung („Umfrage‟)
Wenn im allgemeinen Sprachgebrauch von „Umfragen‟ gesprochen wird, dann ist meist von der quantitativen Befragung die Rede. Sie kommt in der empirischen Sozialforschung wahrscheinlich am häufigsten zum Einsatz.
Abbildung 8 auf Seite 36 gibt einen überblick über häufig vorkommende Arten quantitativer Umfragen.
Es gibt sie mündlich oder schriftlich, in Form von Interviews oder Fragebögen, welche die Befragten selbst ausfüllen, persönlich, telefonisch oder elektronisch, einmalig oder wiederholt. Einmal wird mit einem Fragebogen aus Papier gearbeitet, einmal mit einem OnlineFormular, dann wieder mit Befragungssoftware oder einem Smartphone-Befragungstool.
Quantitative Befragungen erfolgen meist in Form von voll standardisierten Interviews: Alle Fragen sind in ihrem Wortlaut vorformuliert und besitzen eine genau festgelegte Reihenfolge. Es ist genau fixiert, was und wann offen, was und wann geschlossen gefragt wird. Ein Beispiel eines quantitativen Fragebogens zeigen Abbildung 27 und 28 auf Seite 101f.
Bei persönlichen und telefonischen Befragungen müssen die erhebenden Personen möglichst alle über die Befragung hinausgehenden Interaktionen mit den Befragten vermeiden. Dadurch sollen subjektive Einflüsse auf das Antwortverhalten weitestgehend ausgeschaltet – oder zumindest auf ein Mindestmaß reduziert – werden.
Das Befragungspersonal erhält genaue Anweisungen, wie es sich an welcher Stelle des Fragebogens zu verhalten hat (vgl. dazu im Detail die Kapitel „7.3.1 | Regeln für professionelle Fragebögen‟ ab Seite 116 und „7.3.2 | Arten von Fragen: Fragetypen‟ ab Seite 122). Der Reihe nach wird jede Frage im exakten Wortlaut mit den jeweils vorgegebenen Antwortalternativen vorgelesen. Die erhaltenen Antworten müssen kommentarlos angekreuzt, Antworten auf offene Fragen möglichst Wort für Wort notiert werden. Die erhebende Person wird – überspitzt formuliert – zu einem „Befragungsroboter‟. [35]
Abbildung 8: Arten quantitativer Befragungen
Bei einem vollstrukturierten Interview sind ALLE Fragen und Antwortmöglichkeiten fix vorgegeben. Bei einer semistrukturierten Befragung werden zwar die Reihenfolge der Fragen und Formulierungen fixiert, Antwortkategorien (bei bestimmten Fragen) jedoch nur teilweise: Hier gibt es als letzte Antwortalternative dann noch Platz für „Sonstiges, und zwar: ___‟ mit der Möglichkeit, individuelle Antworten zusätzlich zu erfassen (vgl. Frage 15 im Beispielfragebogen in Abbildung 28 auf Seite 102).
Semistrukturierte Interviews besitzen in der quantitativen Sozialforschung große Verbreitung: Hier kommen Befragte nicht in die unbefriedigende Situation, unter den angebotenen Alternativen keine passende Antwort zu finden. „Sonstiges, und zwar:___‟ passt notfalls immer. Es kommt ja durchaus vor, dass bei der Erstellung eines Fragebogens gewisse Antwortoptionen nicht bedacht oder einfach vergessen wurden. Oder individuelle Antworten sind derart einzigartig, dass sie vorab gar nicht berücksichtigt werden hätten können.
In der Praxis werden unterschiedliche Befragungsarten wie in Abbildung 8 auch kombiniert: Ein erster Fragebogenteil wird z.B. durch Erhebungspersonal im jeweiligen Haushalt erhoben, ein Online-Link oder zweiter Fragebogenteil verbleibt bei den Befragten. Diese füllen dann in Ruhe aus24 bzw. senden den komplettierten Fragebogen erst später zurück. Andere Vorhaben gehen primär online vor, befragen die älteren (und „internetferneren‟) Zielgruppen aber telefonisch oder persönlich, weil sie im Internet nicht lückenlos erreichbar sind. Derartige Erhebungen sind sogenannte Hybrid- oder Mixed-Mode-Befragungen. [36]
So gut wie alle großen Marktforschungsinstitute bieten regelmäßig sogenannte Mehrthemenumfragen (MTU's, „Omnibusbefragungen‟)25 an. Diese Umfragen richten sich in der Regel an einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung. Zu fixierten Terminen werden dabei Fragen verschiedener Auftraggeberinnen und Auftraggeber in EINEM Fragebogen zusammengefasst (vgl. „übergangsfragen‟ im Kapitel „7.3.2.1 | Fragen, die den Gesprächsverlauf lenken‟ ab Seite 122). MTU's starten periodisch (wöchentlich, 14-tägig, monatlich) mit unterschiedlicher Methodik (persönlich, telefonisch, online). Durch ihren hohen Standardisierungsgrad stellen sie eine kostengünstige, schnelle und zuverlässige Methode dar, um Bevölkerungsdaten zu erheben.
Oft ist es notwendig, Befragungsergebnisse, die zu mehreren Zeitpunkten gesammelt wurden, miteinander zu vergleichen. Dazu dienen Panels und Trackings.
Ein Panel ist eine spezielle Form quantitativer Umfragen. Es besteht aus definierten Mitgliedern, die eine bestimmte Zielgruppe repräsentieren. Diese Menschen (DIESELBEN Personen) werden wiederholt, in regelmäßigen Abständen, oder auch fortlaufend zum gleichen Thema befragt oder beobachtet.
Ein Panel verfolgt die Veränderung von Verhalten oder Gewohnheiten – z.B. Einkaufsverhalten oder TV-Konsum.
Panels erheben Veränderungen des Marktes. Sie müssen regelmäßig „gewartet‟ werden: Jährlich fallen rund 15% der Panelmitglieder aus der Stichprobe (Panelsterblichkeit, Mortalität). Aufgrund von nachlassendem Interesse, fortschreitendem Lebensalter (das Panel „wird älter‟) oder tatsächlichem Tod verkleinert