Das Osmanische Reich. Douglas Dozier Howard. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Douglas Dozier Howard
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783534747030
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das Privateigentum abgeschafft und jegliche Unterdrückung beendet sein sollten. Von einem Einsiedlermönch in Kreta erfuhr Dukas, dass Derwische, „die nur schlichte Hemden tragen, deren bloße Häupter kahlgeschoren sind und die keine Sandalen an den Füßen haben“, nachts barfuß über das Meer liefen, um sich mit ihm zu unterhalten.18 „Es wird erzählt“, ergänzte ein lokaler muslimischer Autor, „dass sie 4000 Sufis bei sich hatten. Sie alle sprachen: ‚Es gibt keinen Gott außer Gott‘ – aber ‚Muhammad ist der Prophet Gottes‘ sagten sie nicht.“19

      Dukas gestaltete seine Darstellung als seltsame Verkehrung des Gleichnisses Jesu von den bösen Pächtern. Im Evangelium beschließt der Herr, nachdem die Rebellen die Knechte getötet haben, seinen eigenen Sohn auszuschicken, und die Aufrührer töten auch ihn. Dukas ließ stattdessen den Sohn die Aufrührer töten. Sultan Mehmed schickte ein Heer gegen Börklüce Mustafas Stützpunkt auf der Halbinsel Karaburun, dem entlegenen, gebirgigen Westrand des Golfs von Izmir. Als die osmanischen Truppen über den schmalen Küstenpass näherrückten, der den einzigen Zugang vom Festland aus bildet, warfen die Rebellen auf den Anhöhen sie zurück. Einer zweiten osmanischen Streitmacht erging es nicht anders. Nun schickte der Sultan ein Heer unter dem Kommando des obersten Wesirs und seines eigenen jungen Sohnes (des künftigen Sultans Murad II.). Sie bezwangen den Pass und, so Dukas, „hieben gnadenlos jeden nieder, den sie zu Gesicht bekamen, die Alten ebenso wie Kleinkinder, Männer und Frauen; kurzum, sie metzelten jeden nieder, gleich welchen Alters […].“20 Börklüce Mustafa wurde in Ketten nach Ayasoluk gebracht, verhört und gekreuzigt. Seine Leiche wurde auf dem Rücken eines Kamels in den Straßen zur Schau gestellt, eine offenkundige Parodie auf Jesu Einzug in Jerusalem auf einem Esel.21 Das osmanische Heer verfolgte Börklüce Mustafas Anhänger und griff jeden auf, der als barfüßiger Bettler gekleidet war. „Da sie den Tod freudig willkommen hießen“, schrieb Dukas über die Derwische, „hörte man sie murmeln: Dede sultan eriš, das heißt: ‚O Herr Vater, eile uns zu Hilfe.‘“ Dukas’ Übersetzung machte aus dem Gebet eine türkische Version von Psalm 38, der Eingangszeilen des tagtäglichen Stundengebets der christlichen Kirchen.

      Karte 2.1: Timurs Invasion und der osmanische Bürgerkrieg

      Eine zweite Darstellung des Derwischaufstands kommt im Gewand einer Heiligenvita oder Menakıbname daher. Ihr Held ist der andere der beiden Rebellen, Scheich Bedrettin, und verfasst wurde sie von dessen Enkel.22 Sie stellt die Rebellion als riesiges Missverständnis dar. Scheich Bedrettins Mutter war eine zum Islam konvertierte griechische Christin. Sein Großvater väterlicherseits war ein Neffe des letzten Seldschukensultans.23 Die Darstellung legt wenig Wert auf diesen impliziten Thronanspruch und liest sich eher wie eine Verteidigungsschrift. Sie erzählt die Geschichte des Scheichs als Protokoll seiner frommen Wanderungen „hin und wieder zurück“, von seiner Heimat in Edirne auf Pilgerfahrt zu all den bedeutenden Städten der westlichen islamischen Welt. Sämtliche Details dieses politischen Resümees lassen darauf schließen, dass Scheich Bedrettin den Osmanen treu ergeben war, es sich bei ihm um einen hervorragenden Gelehrten und Juristen handelte und er keinerlei politische Ambitionen besaß. Im gleichen Atemzug fasst das Buch die Lehren Scheich Bedrettins als eine Art philosophischen Sufismus zusammen, der im Kontext des osmanischen Islam recht unauffällig gewesen sei. Nach dieser Darstellung wurde Scheich Bedrettin, als Mehmed während des Krieges zwischen den Osmanenbrüdern Edirne einnahm, nach İznik verbannt. Später geriet sein Schiff, als er sich im Auftrag des Emirs von Sinop auf einer diplomatischen Mission zur Krim befand, unglücklicherweise auf dem Schwarzen Meer in die Hände christlicher Piraten, und Scheich Bedrettin fand sich an die walachische Küste gespült wieder. Er machte sich nach Edirne auf, in der unschuldigen Hoffnung, Sultan Mehmed ein Exemplar seines neuesten Buches als Geschenk überreichen zu können, aber der Sultan hielt sein Kommen irrtümlich für einen Aufstand.

      Laut der dritten Darstellung der Revolte war an keinem der beiden Rebellen irgendetwas Unschuldiges. Ihr Autor, Aşıkpaşazade, hatte die Geschehnisse nicht persönlich miterlebt, weil sie sich zutrugen, als er vom osmanischen Heer getrennt war und sich im Hause eines alten Derwischs, „dem Sohn von Sultan Orhans Imam“, von einer Krankheit erholte. Sein Werk Taten und Daten des Osmanenhauses24 ist eine von mehreren zusammenhängenden frühosmanischen Prosachroniken. Aşıkpaşazade stellte Scheich Bedrettin als Kazasker – das einflussreichste zivile Amt im Osmanischen Reich unterhalb des Sultans – in Musas unseligem Regime in Edirne dar, und Börklüce Mustafa sei der Mentor für Scheich Bedrettins Sohn gewesen. Nach dieser Darstellung erlaubte Sultan Mehmed es Scheich Bedrettin gnädig, mit seiner Tochter und einer kleinen Rente nach Iznik zu gehen, doch stattdessen sei Scheich Bedrettin in die Wälder am westlichen Schwarzen Meer geflohen und habe sich zum Kalifen ausgerufen. Börklüce Mustafa, sein Stellvertreter, sei zum Karaburun geflüchtet, „wo es viele Heuchler gab.“ Viele hätten sich zu ihnen gesellt, die zur Amtszeit Scheich Bedrettins in Edirne Lehen von ihm empfangen hätten. In dieser Version wurde Börklüce Mustafa zerstückelt und Scheich Bedrettin vor dem Markt in Serres gehängt. „Diese Sufis“, schrieb Aşıkpaşazade, „behaupteten: ‚Wir sind bloß Derwische‘, aber in Wahrheit waren sie keine Derwische, sie sagten: ‚Unser Scheich ist der König und wir sind seine Fürsten.‘“25

      Der Autor dieser dritten Darstellung, Aşıkpaşazade, ist eine Persönlichkeit von beträchtlicher kultureller Bedeutung. Er kam aus einer langen Reihe von Sufi-Scheichs und Dichtern und stammte in sechster Generation von Baba Ilyas ab, jenem Mystiker, der zwei Jahrhunderte zuvor den Aufstand gegen die Mongolen angeführt hatte.26 Aşıkpaşazade selbst wurde fast 100 Jahre alt. Der Aufstand der Derwische ereignete sich in seiner Jugend, doch Taten und Daten schrieb er Jahrzehnte später als alter Mann nach der Eroberung Konstantinopels, zu einer Zeit, als der Konflikt mit den Safawiden den osmanischen Horizont verdüsterte. Zwei rote Fäden durchziehen das Buch – der eine fragt nach dem Wesen wahrer Frömmigkeit, der andere beschreibt die innige Beziehung der Osmanendynastie zu den heiligen Männern aus Aşıkpaşazades eigener Tradition.27 Er unterschied sorgsam zwischen geistlicher und politischer Autorität. Die Safawiden, einst ein legitimer Sufiorden, hätten sich durch ihren Glauben an den messianischen Auftrag Schah Ismails, wie Aşıkpaşazade es ausdrückte, in „die ungläubige Sekte aus Ardebil“ verwandelt. Und im Voraus abgezeichnet habe sich die safawidische Bewegung im Aufstand der Derwische. Scheich Bedrettin und Börklüce Mustafa seien nichts anderes gewesen als politisch ehrgeizige Betrüger und Scharlatane, genau wie die Safawiden.28 Unter den frühen Anhängern des Safawidenordens, schrieb Aşıkpaşazade unheilverkündend, hätten sich 25 einstige Jünger Scheich Bedrettins befunden.29 Sie „trachteten nicht etwa nach Weisheit, sondern nach der Zerstörung des heiligen Rechts und nach dem Gewinn des Sultanats“.

      Türkische mystische Spiritualität

      Anders als die Safawidenschahs wurden die Osmanensultane niemals mit dem Göttlichen verwechselt. Laut Aşıkpaşazade schrieben sich die osmanischen Sultane erstens eine vornehme Abstammung von den legendären türkischen Kriegerkönigen des Kayi-Clans im zentralen Eurasien zu und behaupteten zweitens, dass sie von dem abbasidischen Kalifen – vertreten durch die Seldschuken – zu Sultanen ernannt worden seien. Nach dem Sturz der Abbasiden durch die Mongolen und nachdem auch die Seldschuken verschwunden seien, verlaufe die Legitimitätslinie über die Osmanen sultane. Jetzt schmückten sie sich mit dem Status als Eroberer und Beschützer der islamischen Tradition. Vorbildliche Gläubige mochten die Osmanensultane zwar gelegentlich sein, bescheidene Gläubige waren sie aber auch. Heilige waren Heilige, Sultane waren Sultane.

      Sultane und Heilige

      Die Beziehung zwischen Heiligen und Sultanen gestaltete sich komplex. Die Epizentren der türkischen Spiritualität lagen anfangs nicht in den osmanischen Ländern, bei denen es sich um das bis in jüngste Zeit christliche Kleinasien und Thrakien handelte. Die von den osmanischen Muslimen am stärksten verehrten Stätten lagen in Galatien und Kappadokien und nutzten, wenn überhaupt, meist rivalisierenden Dynastien, den Akkoyunlus und den Karamaniden. Konya, das geistige Zentrum des türkischen Islam, wo sich sowohl die Schule des