Abb. 1.5: Die Isa-Bey-Moschee. Blick vom Atrium der Johanneskirche
Abb. 1.6: Tempel, Moschee und Kirche – das Gelände von Ayasoluk, vom Tempel der Artemis aus gesehen
Irgendwann nach 1350 zerstörte ein Erdbeben das Gebäude und erzwang den Bau einer neuen Moschee.84 Ihr Standort muss wegen seines Symbolwerts ausgewählt worden sein. Baumaterialien aus dem Artemistempel wurden beim Bau der Moschee wiederverwendet (an sich keineswegs ein unübliches Verfahren), darunter zwölf Säulen, die als Arkade in den Gartenhof der Moschee einbezogen wurden, und ein kaiserzeitliches Kompositkapitell im inneren Betsaal. Die Konstruktion der Moschee stand in einer besonderen Beziehung zum Artemistempel wie zur Johanneskirche. Die Qiblawand der Moschee mitsamt ihren Fenstern ist nicht auf Mekka ausgerichtet, sondern blickt zum Tempel. Von den beiden ursprünglichen Minaretten steht nur noch eines, dem die oberen Partien über der Balkonebene fehlen. Sein Pendant stand auf der anderen Hofseite, stürzte aber offensichtlich bei einem Erdbeben in den 1650er-Jahren ein. Heute wirkt der Balkon des erhaltenen Minaretts der Moschee durch die Portale im Narthex der Kirche wie eingerahmt, wenn man genau von jener Stelle im Kirchenschiff aus hinüberblickt, wo in einer Krypta unter dem Altar die Reliquien des Apostels Johannes beigesetzt waren (siehe Abb. 1.7).
Abb. 1.7: Minarett der Isa-Bey-Moschee, eingerahmt von Vorhofportal der Johanneskirche
Auf diese Weise griff die Isa-Bey-Moschee als jüngstes der drei Gebäude an dieser antiken Stätte die chronologische Beziehung zwischen griechischem Heidentum, Christentum und Islam auf. Indem sie Teilaspekte des Tempels und der Kirche einbezog, ließ die Moschee beide als überholt erscheinen, so wie der Islam über dem Christentum und auf den Trümmern des Heidentums errichtet wurde. Der Architekt machte aber auch Anleihen bei der heiligen Aura der Göttin Artemis und des Apostels Johannes und verstärkte diese, wobei er mit den ästhetischen Eigenheiten des Standorts spielte85 und so eine Bildsymmetrie schuf, in der das Gebet auf die Kräfte der Natur und der Zeit ausgerichtet ist. Wenn der Muezzin zum Gebet rief, befand er sich in einer Blickachse, die mitten durch das Schiff der eingestürzten Kirche zu den Reliquien des heiligen Johannes führte, und Betende, die sich niederwarfen, blickten jenseits des Mihrab auf den versunkenen Tempel der Artemis.
Abb. 1.8: Die Moschee von Assos
Ein bescheidenerer Fall ist die osmanische Moschee in Assos an der Südküste der Troas. Der türkische Name für die Stadt, Behram, leitet sich vom mittelalterlichen griechischen Namen Machramion ab. Überwiegend griechisch und christlich blieb die Stadt bis zu den Zwangsmigrationen der Jahre 1919–23. Die antiken Ruinen von Assos säumen die Oberkante eines Steilhangs, von wo aus man eine spektakuläre Sicht auf die blauen Wasser des 200 Meter tiefer gelegenen Ägäischen Meeres genießt. Die Fundstätte war Gegenstand der ersten Grabungen des Archaeological Institute of America in den Jahren 1881–83.86
Abb. 1.9: Inschrift am Türrahmen der Moschee von Assos
An der Nordostecke der Akropolis ragt auf der Landseite wie ein Wachtposten die Moschee auf, die von dort aus kilometerweit zu sehen ist. Je nach Blickwinkel ist sie auch vom Meer her sichtbar. Aus der Nähe zeigt sie sich überraschend schlicht und unscheinbar. Einschließlich der Vorhalle misst das Gebäude nur 17 × 14 Meter und besteht aus einem einzigen überkuppelten quadratischen Raum.87 Es gibt nicht einmal ein Minarett. Ebenso wenig existiert eine Gründungsinschrift, aber osmanische Aufzeichnungen des folgenden Jahrhunderts bestätigen, dass Sultan Murad sie in Auftrag gab,88 wahrscheinlich etwa zur selben Zeit wie Isa Bey die Moschee in Ayasoluk. Die Moschee von Assos wurde aus den Ziegeln und Natursteinen einer verfallenen Kirche, die einst an dieser Stelle gestanden hatte, und des angrenzenden Tempels der Athena erbaut.89
Wie auch in Ayasoluk stand hinter der Wiederverwendung der Materialien mehr als nur funktionelles Denken und Umweltbewusstsein. Selbst den marmornen Türrahmen der ehemaligen Kirche, die dem heiligen Cornelius geweiht war, verwendete man in der Moschee wieder, einschließlich der originalen griechischen Inschrift auf dem Türsturz. Sie ehrt einen anonymen Provinzstatthalter, dessen Mäzenatentum irgendwann in der Vergangenheit die Renovierung der Kirche finanziert hatte.90 Somit wurde der Türrahmen etwas Doppeldeutiges – hier auf der Akropolis von Assos, inmitten der Ruinen vergangener Zeiten, setzte Sultan Murad das Gebäude wieder zusammen. Auch er ließ seinen Namen ungenannt, so wie der vergessene griechische Statthalter, der lange vor ihm die Kirche hatte renovieren lassen.
2. Eine gesegnete Dynastie, 1397–1494
D ie älteste schriftliche Beschreibung der Osmanendynastie in türkischer Sprache bildet das ziemlich kurze Schlusskapitel eines langen Versepos über Alexander aus der Feder des Dichters Ahmeti. Es feierte einst die siegreichen Feldzüge des Sultans Bayezid und seiner Vorfahren.1 Heute riecht es penetrant nach Lobhudelei, doch bei Zuhörern des neunten islamischen Jahrhunderts, jenes Jahrhunderts, das mit Timur anfing und mit Schah Ismail endete, kam es wahrscheinlich anders an. Die Erinnerung an Sultan Bayezid als Yıldırım, Blitz, spielte nicht nur auf seine blitzschnellen Militärschläge an, sondern auch auf die Melancholie des Lebens am türkischen Hof in Kleinasien nach Bayezids katastrophaler Niederlage.2 Verlust und Gewalt waren das Vermächtnis dieses tragischen Helden, der sich nach den Worten der Chronisten durch seinen tollkühnen Ehrgeiz selbst zugrunde richtete. Die eigentliche Schuld sollte man zu gleichen Teilen all den anderen türkischen Feudalherren zuweisen, deren Treuebruch auf dem Schlachtfeld von Ankara 1402 entscheidend zu Bayezids Untergang beitrug. Nur wenige unter ihnen trauerten dem Ende von Bayezids Version herrscherlicher Autorität nach. Doch in die Arbeit des Wiederaufbaus mischte sich ein Verlustgefühl, über dessen mehrdeutigen Sinngehalt die türkischen Geschichtsschreiber grübelten, als wären es Schicksalstafeln.
Gewalt, Thronfolge und Gedächtnis
Bayezids Herrschaft begann mit den Siegen seines Vaters Murad an der Mariza (1371) und auf dem Kosovo (1389), die noch heute in West und Ost nachwirken. Das slawische Königreich von Stefan Dušan zerbrach, als sein Sohn einige Monate nach der Mariza-Schlacht kinderlos starb. Unter den slawischen Fürsten hatte König Sigismund von Ungarn Zuspruch, andere aber traten in osmanische Dienste. Ihre Loyalität belohnte Bayezid, indem er Olivera heiratete, die Tochter von König Lazar, der sein Leben auf dem Kosovo verloren hatte. Die türkischen Emire von Kleinasien, Galatien und Kappadokien fanden sich mit einem Mal hin- und hergerissen zwischen Bayezid im Westen, den Mamluken-Sultanen im Süden und Timur im Osten. Unter diesen Umständen sahen viele ihre beste Hoffnung auf Unabhängigkeit in der Unterstützung für Kadı Burhanettin, den Philosophensultan von Sivas. Er herrschte über ein hoch zivilisiertes Sultanat, ein würdiger Nachfolger der persisch beeinflussten Kultur der seldschukischen Jahrhunderte.3
Osmanische Sultane des neunten islamischen Jahrhunderts
Bayezid I. | 1389–1402 |
Mehmed I. | 1413–1421 |
Murad II. | 1421–1451 |