Dieses viel zu laute Schweigen. Petra Bunte. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Petra Bunte
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783827184061
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Und jetzt war dem werten Herrn angeblich etwas dazwischengekommen, und er fragte, ob wir uns nicht doch schon am Freitagabend treffen konnten. Er wäre auch zu einem späten Termin außerhalb der normalen Zeiten bereit. Na, wie gnädig!

      Ich stieß geräuschvoll die Luft aus und überlegte, ob Lukas in dieser Woche Früh- oder Spätschicht hatte. Wenn er Frühschicht hätte, könnte es funktionieren. Wenn nicht, dann würde sich der Verkauf des Hauses weiter verzögern.

      Ziemlich angepisst wechselte ich zu WhatsApp und schrieb Lukas: Ruf mich bitte mal an, sobald du kannst! Dringend!

      Doch ich wartete vergeblich. Bis nachmittags um vier hatte er meine Nachricht nicht einmal gelesen, obwohl er entweder um diese Zeit längst zu Hause war oder sie vor der Arbeit noch gesehen haben musste.

      Weitere zwei Stunden später, als ich selbst Feierabend machte, hatte ich die Faxen dicke und rief ihn an, auch auf die Gefahr hin, ihn mitten in der Schicht zu erwischen.

      „Der angerufene Teilnehmer ist momentan nicht erreichbar“, teilte mir eine Frauenstimme vom Band mit. „Wenn Sie eine Rückrufbenachrichtigung per SMS senden wollen, drücken Sie …“

      Shit! Frustriert unterbrach ich die Ansage und schickte Lukas selbst eine Nachricht. Aber den Rest des Abends wartete ich weiterhin vergeblich auf eine Antwort.

      Im Stillen verfluchte ich meinen unzuverlässigen Bruder, der sich wahrscheinlich gerade irgendwo vergnügte und bloß keinen Bock auf mich und diesen langweiligen Organisationskram hatte. Ärgerlich scrollte ich unsere letzten Chats bei WhatsApp durch, bis ich einen Hinweis darauf gefunden hatte, dass er in seiner zweiten Woche in der neuen Firma Spätschicht gearbeitet hatte. Demnach hatte er diese Woche Frühschicht, und wenn er sich bis morgen früh nicht gemeldet hatte, würde ich dem Makler für Freitagabend zusagen. Dann musste Lukas sehen, dass er herkam, egal, was er sonst geplant hatte.

      Punkt! Aus! Ende der Durchsage!

      Anna

      Als ich am Montagabend von der Arbeit nach Hause kam, stand vor unserer Haustür ein junger Mann, der an der Fassade hochblickte und etwas ratlos wirkte. Ich hatte ihn nie zuvor hier gesehen, aber er machte einen recht harmlosen Eindruck, deshalb trat ich ohne zu zögern neben ihn, zog meinen Schlüssel aus der Tasche und sagte: „Hallo.“

      „Hallo“, erwiderte er automatisch und drehte sich zu mir um.

      Wir musterten uns schweigend, und ich fragte mich, ob er eventuell Hilfe brauchte. Vermutlich wollte er zu einem der Studenten aus der WG im Dachgeschoss, bei der so oft die Bewohner wechselten, dass sich längst keiner mehr die Mühe machte, die Namensschilder an der Klingel auszutauschen. Kein Wunder, dass man da als Besucher überfordert war.

      „Suchst du jemanden?“, erkundigte ich mich freundlich.

      Der junge Mann runzelte nachdenklich die Stirn und antwortete etwas zerstreut: „Ja … das heißt, nein. Ich wollte eigentlich zu Lukas Engelhardt, aber er scheint nicht da zu sein.“

      „Ach so“, gab ich möglichst neutral zurück, während mein Herz alleine bei der Erwähnung seines Namens einen kleinen Hüpfer außer der Reihe machte. „Wart ihr denn verabredet?“

      „Nein.“

      „Tja, dann hast du wohl einfach Pech gehabt.“ Ich steckte meinen Schlüssel ins Schloss und erwartete, dass er sich daraufhin verabschieden und gehen würde. Doch er rührte sich nicht von der Stelle, und ich spürte, dass er noch etwas loswerden wollte.

      „Kennst du Lukas?“, fragte er, ehe ich die Tür aufschließen und im Haus verschwinden konnte. „Also, wenigstens vom Sehen, meine ich? Er ist erst vor ein paar Wochen hierhergezogen.“

      „Ja“, sagte ich und drehte mich wieder zu ihm um. „Er wohnt direkt neben mir. Wieso?“

      Er zögerte kurz. „Hast du ihn zufällig seit dem Wochenende mal gesehen?“

      Ich sah ihn überrascht an: „Warum willst du das wissen?“

      Ich hatte schließlich keine Ahnung, wer er war, und da konnte ja jeder daherkommen, um die Nachbarn auszuhorchen. Andererseits … Jetzt, wo er danach fragte, fiel mir auf, dass ich tatsächlich nicht wusste, ob Lukas seit unserer letzten Begegnung am Samstagabend noch einmal hier gewesen war. Und das, obwohl ich ihn dank seines polternden Hais eigentlich immer hörte, wenn er nach Hause kam. Allerdings war ich selbst ebenfalls unterwegs gewesen, überlegte ich im Stillen. Gestern bei Flo, der mir wirklich alles abverlangt und bloß eine erschöpfte Hülle von mir übrig gelassen hatte, und heute bei der Arbeit. Aber mich beschlich plötzlich ein dumpfes Gefühl, dass hier etwas nicht stimmte.

      „Ich bin ein Kollege von Lukas“, erklärte der Fremde, der meine Unsicherheit zu spüren schien. „Wir waren Samstagabend mit ein paar anderen aus unserem Team zum Public Viewing verabredet und …“

      „Ja, ich weiß“, unterbrach ich ihn auf einmal seltsam angespannt. „Und da wollte er auch hin. Wir haben uns direkt vorher zufällig getroffen und darüber geredet.“

      Der junge Mann lächelte nachsichtig. „Er war auch bei uns, und wir hatten einen coolen Abend miteinander“, meinte er. „Aber seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört. Dabei hatten wir uns eigentlich für Sonntag bei mir verabredet, weil die Jungs Lukas von meiner Plattensammlung erzählt haben und er sie unbedingt mal sehen wollte. Aber er ist nicht gekommen und hat sich auch nicht gemeldet. Ich habe erst gedacht, er hat es verpennt, weil wir am Samstag schon ziemlich was gebechert hatten. Aber nachdem er heute bei der Arbeit auch nicht aufgetaucht ist und keiner was von ihm gehört hat, dachte ich, ich gucke mal lieber, ob bei ihm alles in Ordnung ist.“

      „Oh“, machte ich überrascht und zermarterte mir das Hirn darüber, ob ich Lukas nicht doch gehört und es nur vergessen hatte. Er konnte ja nicht spurlos verschwunden sein.

      „Hast du mal versucht, ihn anzurufen?“, fragte ich und fühlte mich ziemlich dumm und naiv, als er antwortete: „Ja, klar. Aber er ist nicht zu erreichen, sondern es geht sofort eine Bandansage ran.“

      Merkwürdig, dachte ich, während in meinem Hinterkopf eine Erinnerung an die Pöbelszene von der S-Bahn-Haltestelle aufblitzte. Vor mir sah ich das Bild, wie der Anführer der Truppe Lukas mit der Hand vor die Brust stieß, doch ich verdrängte es schnell wieder. Was sollte diese Szene damit zu tun haben, dass Lukas nicht zu erreichen war? Er war am Samstag schließlich vollkommen unversehrt bei seinen Kollegen angekommen, selbst wenn diese Halbstarken an derselben Haltestelle wie er ausgestiegen waren.

      „Ich kenne Lukas ja noch nicht lange, aber das passt nicht zu ihm“, fügte der junge Mann hinzu. „Er ist eigentlich eher so ein Kumpeltyp, mit dem man Pferde stehlen kann, und keiner, der sich plötzlich wieder vom Acker macht.“

      „Hmhmm“, murmelte ich nachdenklich. „Den Eindruck hatte ich auch. Aber als er bei euch war, war alles normal? Oder ist dir etwas Komisches aufgefallen?“

      Er musterte mich neugierig, und ich fürchtete, mich damit etwas zu weit aus dem Fenster gelehnt zu haben. Natürlich hätte ich ihm von dem Vorfall an der S-Bahn-Haltestelle erzählen können. Aber das tat hier doch gar nichts zur Sache, oder? Außerdem schämte ich mich dafür, dass ich an dem Abend nicht anders reagiert hatte.

      Doch zu meiner Erleichterung schüttelte er gleich darauf entschieden den Kopf. „Nein. Im Gegenteil. Lukas war wie immer total gut drauf. Der Scherzkeks hat sogar behauptet, dass ihm Fußball komplett am Arsch vorbeigeht. Kannst du dir das vorstellen?“, feixte er, und ich konnte mir nur mühsam das Kichern verkneifen.

      „Was du nicht sagst!“

      „Ja. Schräg, oder? Jedenfalls haben wir das Spiel geguckt und danach etwas den Sieg gefeiert. Anschließend wollten ein paar von uns in der Innenstadt durch die Kneipen ziehen, aber Lukas hatte was mit einer Frau am Gange und ist geblieben. So wie die ihn angehimmelt hat, ging es wahrscheinlich bloß noch um das Zu-mir-oder-zu-dir, nachdem wir weg waren.“ Er verzog den Mund zu einem verunglückten Grinsen, in dem eindeutig etwas Neid lag.

      Ich lachte leise und versuchte dabei, dieses