Dieses viel zu laute Schweigen. Petra Bunte. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Petra Bunte
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783827184061
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Könnte ja immer mal ein Notfall sein, oder nicht?“

      „Sagt die, die selbst den Klempner kaum ohne polizeiliches Führungszeugnis in ihre Wohnung lässt“, erwiderte ich skeptisch.

      „Hallo?!“, gab Nele empört zurück. „Wir reden hier über deinen Lukas und nicht über einen völlig fremden, augenscheinlich notgeilen Testosteron-Strotz im Blaumann.“

      Ich grinste sie kurz an und brütete anschließend weiter schweigend vor mich hin.

      „Hey“, redete Nele beruhigend auf mich ein. „Dem geht’s bestimmt gut. Und wenn er wüsste, was in deinem Köpfchen grad so vor sich geht, wäre er ganz schön blöd, wenn er dich nicht sofort schnappen und dir deine ganzen Grübeleien einfach wegvö… äh … ich meine, wegküssen würde.“

      Ob ich wollte oder nicht, ich musste lachen. „Du hast echt einen Knall.“

      „Ich weiß. Und wenn du mich fragst, gibt es jetzt drei Möglichkeiten. Erstens: Wir gehen ins Old Chap, machen uns keinen Kopf mehr um Dinge, die eh nicht so sind wie du glaubst, und haben einen schönen Abend. Zweitens: Wir fahren zu dir nach Hause, igeln uns ein und erzählen uns gegenseitig Horrorgeschichten, bis Lukas nach Hause kommt und unsere panischen Schreie hört. Oder drittens: Wir fahren zum Berliner Platz und gucken nach, ob es ihm gut geht. Aber dir ist hoffentlich klar, dass eine Nadel im Heuhaufen nichts dagegen ist.“

      Ich schaute sie an und wusste, dass meine Freundin ohne Weiteres auf ihre Chance mit dem Mann vom Postschalter verzichtet hätte, um genau das zu tun. Doch dann stellte ich mir vor, wie wir beim Public Viewing aufkreuzten und Lukas und seine Kollegen sich über meinen Auftritt als seine Babysitterin schlapplachen würden. Ganz abgesehen davon, dass wir ihn erst mal unter Tausenden Leuten finden mussten.

      Innerlich schüttelte ich über mich selbst den Kopf und überlegte, was Lukas sagen würde, wenn er wüsste, was gerade in mir vorging. Auslachen würde er mich sicher nicht, dafür war er viel zu charmant. Aber ich konnte direkt vor mir sehen, wie seine Augen amüsierte Funken sprühten.

      Also gut, rief ich mich selbst zur Ordnung. Mach dir nicht in die Hose, Anna! Der kommt schon klar und hat wahrscheinlich längst das erste Bier intus, während du dich hier von deinen Hirngespinsten veräppeln lässt.

      Ich atmete tief durch und schaute meine Freundin an. „Okay“, sagte ich. „Lass uns ins Old Chap gehen. Ich brauche jetzt dringend einen Schnaps oder so was.“

      Nele grinste zufrieden, hakte sich bei mir ein und dirigierte mich Richtung Ausgang. „So gefällst du mir schon besser.“

      Am Ende wurde der Abend trotz allem unerwartet schön. Nachdem Nele mir gestanden hatte, dass ihr Traumprinz bloß bemerkt hatte, ob es sein könnte, dass er sie neulich im Old Chap gesehen hatte, glaubte ich kaum, dass er deshalb ausgerechnet heute hier auftauchen würde. Aber er kam tatsächlich kurz nach uns in die Kneipe und hatte zudem einen sehr sympathischen Freund mit dabei. Leon war zwar in festen Händen und ohnehin nicht unbedingt mein Typ, aber wir hatten eine Menge Spaß miteinander, während Nele und ihr Postmann baggerten, was das Zeug hielt. Timm schien völlig hingerissen von ihr zu sein und vergaß immer öfter, nebenbei einen Blick auf den Fernseher in der Ecke zu werfen, auf dem das Fußballspiel übertragen wurde.

      Ich grinste vergnügt in mich hinein, als ich feststellte, dass Nele auch keinen Exoten erwischt hatte. Wobei ihm meine Freundin für den Moment wirklich wichtiger zu sein schien als das Spiel. Aber ich glaubte mich zu erinnern, dass es damals bei mir und Jan ebenso gewesen war, bevor ich nach und nach immer weiter ins Abseits abgeschoben wurde und die Sache beendete.

      Um uns herum wurde laut gejubelt, als feststand, dass die deutsche Mannschaft das Spiel gewonnen und den Einzug ins Achtelfinale geschafft hatte. Auch Timm ließ sich davon mitreißen, zog meine verblüffte Freundin übermütig in seine Arme und wirbelte sie einmal in die Runde. Ihr Gesicht war goldwert. Sie strahlte mich glücklich an, und ich versuchte mühsam, mich für sie zu freuen und nicht daran zu denken, wie gerne ich selbst in diesem Moment jemanden an meiner Seite gehabt hätte. Lukas zum Beispiel. Sehnsüchtig nippte ich an meinem Cocktail und fragte mich, wie es ihm wohl gerade ging beim Rudelgucken.

      Gegen ein Uhr verabschiedete ich mich von den anderen und gönnte mir ein Taxi für den Heimweg. Mein Bedarf an Bahnfahrten war für heute mehr als gedeckt. Außerdem war ich müde und angetrunken und wollte so schnell wie möglich ins Bett.

      Draußen vor dem Haus schaute ich an der Fassade hoch zu Lukas‘ Wohnung in der Hoffnung, dass dort Licht brannte. Mein alkoholisiertes, wagemutiges Ich hätte dann vielleicht bei ihm geklingelt, um sich zu vergewissern, dass bei ihm alles in Ordnung war. Doch hinter seinen Fenstern war alles dunkel. Kein Wunder, nachts um halb zwei. Wahrscheinlich schlief er schon. Oder er war nach dem Public Viewing mit seinen Kollegen weiter durch die Stadt gezogen und machte das Nachtleben unsicher, denn Lukas war eigentlich nicht der Typ, den ich mir am Samstagabend alleine zu Hause auf dem Sofa vorstellen konnte.

      Seufzend schloss ich die Haustür auf, stieg die zwei Stockwerke hoch zu meiner Wohnung und fiel von den Cocktails benebelt in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

      Aus diesem wurde ich am nächsten Morgen unsanft herausgerissen, als das Handy klingelte und meine Schwester anrief. Im selben Moment, in dem ich ihren Namen auf dem Display las, fiel mir siedendheiß ein, dass ich etwas vergessen hatte. Kathi und ihr Mann waren heute zur Geburtstagsfeier seines Chefs eingeladen, und ich sollte den kleinen Flo hüten. Schon vor Wochen hatten wir verabredet, dass mein Schwager mich abholen und ich mich bei ihnen zu Hause um mein Patenkind kümmern würde.

      Mist! Nele hatte mich gestern so mit ihrem blöden Old Chap überrumpelt, dass ich es völlig verschwitzt hatte. Also hieß es Beine in die Hand nehmen, denn Mark war bereits unterwegs und würde spätestens in einer halben Stunde bei mir sein.

      Zwischen Dusche, Anziehen und einer schnellen Tasse Kaffee rief auch noch Nele an, die mir unerträglich glücklich jedes einzelne Detail über ihren Timm erzählen wollte. Ich vertröstete sie auf später und wappnete mich innerlich für den anstrengenden Tag mit einem extrem munteren Dreijährigen. Zum Glück hatte ich gestern Abend nicht allzu viel getrunken, sonst hätte ich jetzt ein echtes Problem.

      Ich hatte gerade den letzten Schluck Kaffee runtergeschluckt und räumte meine Tasse in die Spüle, als es bereits an der Tür klingelte.

      „Bin unterwegs!“, rief ich Mark durch die Gegensprechanlage zu, schnappte mir meine Sachen und machte mich auf den Weg.

      Im Hausflur wanderte mein Blick wie von selbst rüber zur Nachbarwohnung, und ich fragte mich, ob Lukas wohl auch schon wach war. Flüchtig tauchte eine Erinnerung an die Szene vom Bahnsteig in meinem Kopf auf. Doch im Großen und Ganzen hatte ich den Vorfall bereits verdrängt und als ein kleines, unbedeutendes Zwischenspiel abgehakt. Stattdessen rief ich mir lieber Lukas‘ strahlendes Lächeln vor Augen, und wie auf Knopfdruck waren auch die Schmetterlinge wach, um mit mir in den Tag zu flattern.

      Felix

      Nach einem geselligen Abend in der Hotelbar, einem unerwartet lehrreichen Rest des Seminars und einer überraschend staufreien Heimreise kam ich am Montagmorgen gut gelaunt zur Arbeit und staunte ein wenig über die verblüffte Reaktion meiner Kollegen. Hatte ich tatsächlich so lange nicht mehr gelacht und Späße gemacht? Wie es aussah, hatte Lukas recht, und ich hatte mich nach der Trennung von Steffi stärker verändert, als ich dachte. Doch den Gedanken an sie verdrängte ich schnell, ehe die schlechte Laune zurückkehrte. Stattdessen machte ich mich mit Schwung an die Arbeit.

      In der Mittagspause setzte ich mich draußen vor der Praxis in die Sonne und checkte auf meinem Smartphone die Nachrichten, die in der Zwischenzeit eingegangen waren. Hauptsächlich waren es Anfragen von Freunden, ob ich am kommenden Wochenende nicht dieses oder jenes mit ihnen unternehmen wollte, wobei ich prompt an Lukas‘ Worte denken musste. Von wegen komischer Einsiedler!

      Mit einem zufriedenen Lächeln antwortete ich meinen Leuten, dass ich diese Woche leider schon verplant war, aber gerne ein anderes Mal darauf zurückkommen würde.

      Als ich schließlich einen Blick in mein E-Mail-Postfach warf, erstarrte