Die Ältesten waren mit so einer Entscheidung zufrieden. Alle Streitigkeiten waren vorerst beigelegt. Die tägliche Suche, ausreichend zu essen und zu trinken zu finden, bekam wieder oberste Priorität. Der Tross wanderte auf den Wegen weiter, die schon seit undenklichen Zeiten von Händlern und ägyptischen Expeditionstruppen genutzt wurden. Moses rief alle Führer der kampffähigen Männer zusammen, um ihnen für die nächste Wegstrecke Instruktionen zu geben. „Wir werden sehr bald zum Serabit el Chadim kommen. Das ist der Ort, zu dem die Pharaonen seit alters her Expeditionen schicken, um das wertvolle Kupfergestein abzubauen. Es kann sein, dass dort noch ägyptische Soldaten stationiert sind. Josua, bestimme einige Krieger, die als Beobachtertrupp vorangehen sollen, um auszukundschaften, ob Transporte mit dem wertvollen Gut oder ägyptische Patrouillen unterwegs sind. Es bleiben noch fünf Tage, dann werden wir die Kupferminen des Serabit el Chadim erreicht haben.“
„Wieso betreibst du diesen Aufwand? Sobald wir bei dem ägyptischen Stützpunkt angelangt sind, marschieren wir ein. Niemand wird uns daran hindern können“, warf Aaron ein.
„Ich ziehe es vor, die Überraschung auf meiner Seite zu haben. Ich will vermeiden, dass ein übereifriger ägyptischer Offizier eine Situation falsch einschätzt und womöglich glaubt, uns mit Gewalt aufhalten zu können“, erklärte ihm Moses.
Diese Argumentation überzeugte die Sippenältesten. Ihnen war ein gesundes Maß an Vorsicht allemal lieber als ein unbedachtes Losstürmen. Sie gaben Moses freie Hand, damit er seinen Plan zur unblutigen Einnahme des ägyptischen Stützpunktes umsetzen konnte. Josua und Kaleb wechselten sich täglich in der Führung des Spähtrupps ab. Dann trug Moses Josua auf: „Du wirst noch heute, bevor die Sonne am Höchsten steht, zu den Kupferminen kommen. Dann begib dich mit zwei Begleitern zum Kommandanten des Stützpunktes und bitte ihn, zu einem Treffen mit mir zu erscheinen. Lasse dich nicht provozieren, die ägyptischen Beamten sind hochnäsig und überheblich. Bleibe ganz ruhig, und wiederhole dein Verlangen. Hinter ihrem arroganten Getue verbergen sich meistens nur Angst und Unsicherheit.“
Es geschah, wie es Moses vermutet hatte. Der Ägypter blies sich vor den israelitischen Abgesandten auf, machte sich wichtig, betonte sein hohes Amt und forderte, die Stämme sollten einen großen Bogen um das Bergbaugebiet machen. Da Josua hartnäckig blieb, begleitete er ihn schließlich mit einem Zug Soldaten zum Rand der Siedlung, dem sich Moses an der Spitze der wehrfähigen Männer näherte. Als er einige Schritte vor dem ägyptischen Statthalter stehen blieb, rief dieser: „Wie könnt ihr es wagen diesen heiligen Ort der Hathor zu entweihen. Dieser Ort ist Eigentum seiner Majestät, dem Herrn der beiden Länder, des mächtigen Pharao Djedhotepre Dedumose, er lebe, sei heil und gesund. Ich stehe hier im Auftrag des Herrn der beiden Ufer des Nil, der die Kronen der beiden Länder trägt und verbiete euch diesen Ort zu betreten. Ich befehle dir, kehrt um! Pharao selbst hat mir den Auftrag gegeben, diesen Ort zu behüten. Seiner Weisung werde ich bis in den Tod Folge leisten.“
„Ich achte deinen hohen Rang und dein Pflichtbewusstsein. Jedoch erkenne ich aus deiner Drohung, dass du lange Zeit keine zuverlässigen Nachrichten aus Ägypten bekommen hast. So scheinst du noch nicht zu wissen, dass du vom Treueschwur, den du Pharao Dedumose geleistet hast, entbunden bist. Seine Majestät weilt nicht mehr unter den Lebenden. Auch seine beiden Söhne sind ihm in das Reich der Finsternis nachgefolgt. Ich weiß nicht, wer Ägypten nun regiert, ob es vielleicht im Delta und dem Niltal mehrere Männer gibt, die sich Pharao nennen oder ob sich die Gaufürsten untereinander raufen. Wir kommen nicht als Bittsteller. Versuchst du uns den Weg zu versperren, werden wir mit Gewalt kommen. Aus Ägypten wirst du keine Hilfe erhalten“, entgegnete ihm Moses.
„Ihr seid Räuber, gekommen um alle Diener der Majestät zu töten! Ich werde um mein Leben kämpfen, und mit mir wird die ganze Garnison fechten, also kehrt um!“, versuchte der Gouverneur hart zu erscheinen.
Moses sah die Furcht im Gesicht des Mannes. „Wir sind nicht eure Feinde. Du hast mein Wort, es wird dir und deinen Untergebenen kein Leid geschehen. Aber wir werden uns nehmen, was wir benötigen. Deine Garnison ist unterbesetzt. Ich habe erkannt, wie schlecht die Soldaten ausgebildet sind. Sieh hinter mir. Meine Krieger sind euch zahlenmäßig deutlich überlegen und sehr diszipliniert. Sie stehen tief gestaffelt. Wir werden nehmen, wonach uns verlangt, Ausrüstung und Nahrung. Denke auch an die Frauen, Kinder und Männer, die dir anvertraut sind. Ihr dürft alle zurück nach Ägypten gehen. Euer persönliches Eigentum soll unangetastet bleiben. Ich weiß auch, wie sehr du dich davor fürchtest in der Fremde zu sterben.“
„Was soll dein Gerede? Es ist egal, ob ihr uns mordet, oder ob wir ohne Nahrung auf dem Weg nach Ägypten verhungern müssen!“, rief der Oberst.
„Ich habe dir bereits zugesichert, es wird keinem deiner Untergebenen ein Leid zugefügt werden. Wir sind keine Feinde. Ich habe Achtung vor der schweren Arbeit, die ihr hier verrichtet. Wir werden euch für zehn Tage Verpflegung lassen, wenn ihr den Landweg nehmen müsst. Der Schiffsverkehr wurde sicherlich schon eingestellt. Niemand soll auf dem Weg nach Ägypten verhungern. Nun liegt es an dir, du kannst mir vertrauen. Entscheide mit Verstand, was dir besser erscheint, die Rückkehr nach Ägypten oder ein sinnloser Tod in der Fremde“, sagte Moses.
Der Kommandant stand verunsichert vor seinen Untergebenen. Man sah ihm an, dass er auf einen Ratschlag aus ihrer Mitte wartete. Doch die standen reglos, wandten verängstigt den Blick von ihrem Herrn ab. Nur ein älterer Unteroffizier trat zu ihm heran. „Herr, du stehst vor Prinz Moses, dem Sohn des guten Gottes Chaneferre Sobekhotep. Moses war einstmals der Heerführer der ägyptischen Armee. Ich bin stolz, unter ihm gedient zu haben. Jede Schlacht haben wir siegreich gewonnen. Ich weiß, du kannst seinem Wort vertrauen, wenn er dir verspricht, dass wir Verpflegung für zehn Tage behalten dürfen. Aber sei dir auch bewusst, du kannst keiner von ihm angeführten Streitmacht widerstehen. Darum tue, was er von dir fordert“, riet ihm der Mann.
Für den Gouverneur war so eine neue Situation entstanden. Er vollzog eine Kehrtwende und verneigte sich tief vor Moses. „Edler Prinz, ich habe dich nicht erkannt. Hier steht dein ergebenster Diener vor dir. Dein freundliches Angebot ehrt mich. Ich bin froh, dir zu Diensten sein zu dürfen.“
Moses entgegnete ihm: „Ich bin nicht mehr der Prinz Ägyptens, der ich einstmals war, und du bist nicht mein Diener. Ich respektiere dich als verantwortungsvollen Offizier, du hast dich gegen Blutvergießen entschieden. Meine Krieger haben Befehl, nicht bei den einfachen Leuten zu plündern. Aber wir werden in die Magazine gehen und nehmen die Dinge, die uns von Nutzen sind, auch Waffen und Werkzeuge. Und schon morgen werden wir diese Gegend verlassen.“
Moses rief Kaleb, Josua, Mirjam und noch weitere der angesehensten Frauen und Männer zu sich. Sie sollten die Beschlagnahme der Lebensmittelvorräte und Ausrüstung des ägyptischen Stützpunktes überwachen und Ausschreitungen unterbinden, denn er wusste nur zu gut, dass seine Landsleute nicht über die Disziplin einer ägyptischen Armee verfügten. Die Älteren schickte er weiter, einen sicheren Lagerplatz zu errichten.
Die von Josua und Kaleb angeführten Gruppen begannen alsbald damit die Magazine des Stützpunktes auszuräumen. Moses hatte sich im Schatten des Hathortempels an eine Säule gelehnt. In den Händen hielt er seinen knorrigen Stab. Jefunne, Nun und Mirjam kamen hinzu. „Ich bin sehr erstaunt, wie diszipliniert unsere Krieger sind. Es hat keine Zwischenfälle gegeben. Wir haben alle Dinge gefunden, die wir benötigen und können uns mit alledem zurück in unser festes Lager begeben. Ja, wir wollen zufrieden sein. Seht nur, die vielen Schätze des Tempels, das Korn aus den Vorratshäusern und auch die Waffen aus den Arsenalen. Das alles hat uns der Gott unserer Väter in die Hände gegeben“, sagte Nun.