„Du hast mich sehr erhöht. Ich werde dich nicht enttäuschen und deine Soldaten an vorderster Front in den Kampf führen. Kein Feind soll es jemals wieder wagen sich deiner Herrlichkeit zu widersetzen“, sagte General Sobekhotep.
Der begnadigte Gefangene witterte seine Chance. „Herr, ich habe die große Herrlichkeit deiner Majestät zu sehen bekommen und werde darüber noch meinen Enkeln erzählen können. Ich stamme von hier und kenne einen Weg, auf dem es möglich ist, die Sperren des falschen Gottes unbemerkt zu umgehen. Man kann ihn sogar in der Nacht gehen. Gib mir die Ehre, die Soldaten führen zu dürfen“, wandte er sich an General Sobekhotep.
„Nehmt dem Gefangenen seine Fesseln ab. Er wird den Soldaten den Weg zeigen. Eine Kompanie Bogenschützen und eine Kompanie Speerträger sollen sofort losgehen. Morgen in aller Frühe sollen sie wie ein Sturmwind den Aufrührern in den Rücken fallen. Führe die Truppe gut, denn noch einmal wird dir seine Majestät einen Verrat nicht vergeben“, entschied der General.
Pharao Neferhoteps Hauptheer griff zwei Tage später die Verteidigungslinie des Senaaib, der ebenfalls den Titel Pharao beanspruchte, an. Dessen Soldaten fühlten sich hinter ihren Schanzen sicher und dachten nicht daran zu weichen. Senaaib erschien auf einem Lehmziegelturm im Königsornat, um die Angreifer zu verhöhnen. Plötzlich schwirrten Pfeile auf die Soldaten hernieder, die seine äußere Flanke bildeten. Die so unvermittelt angegriffenen räumten ihre Stellung und wandten sich zur Flucht. Die Angreifer rückten weiter vor, und einzelne Pfeile trafen die Lehmwand des Turmes, auf dem sich Pharao Menchaure Senaaib eben noch so stolz gezeigt hatte. Er verließ den Turm und wandte sich zur Flucht, obwohl der Kampf noch nicht entschieden war. Seine Soldaten taten es ihm gleich oder ließen sich gefangen setzen, als sie mitbekamen, wie ihr Herr Reißaus nahm.
Pharao Neferhotep hatte einen entscheidenden Sieg errungen und konnte seinen Marsch auf Theben unbehelligt fortführen. Der Hohepriester des Amun im Karnaktempel und die ganze weitere Priesterschaft huldigten ihm als Herrn der beiden Ufer des Nil, der die beiden Länder befriedet hatte.
Pharao beschloss eine Weile in Theben zu bleiben und eine ihm ergebene Verwaltung in Ägypten aufzubauen. Sein Arbeitstag begann früh am Morgen und dauerte bis in die Abendstunden. Da war der Besuch der Tempel, und die Bevölkerung verlangte die Majestät bei verschiedenen Götterprozessionen zu sehen. Aber noch wichtiger war das Einsammeln von Informationen bezüglich der angespannten Lage an den Grenzen und in den verschiedenen Landesteilen. Dazu hörte er täglich die Berichte, die ihm Beamte, Priester und Händler zutrugen. So erfuhr er von dem Vorrücken der Nubier ganz im Süden des Landes.
Pharao Neferhotep übertrug seinem Cousin Sobekhotep das Wesirat Oberägyptens. „Du hast bewiesen, dass du meine tapferen Soldaten gut führen kannst. Um die Feinde an unserer südlichen Grenze zurückzudrängen, sind Diplomatie und militärische Stärke notwendig. Vermeide risikoreiche Schlachten. Meine Armee muss ihre Kampfkraft behalten. Ich traue nicht allen Gaufürsten. Falls es zu einem Aufruhr kommt, muss ich ihn schnell beenden können. Beherzige meine Worte gut“, trug ihm die Majestät auf.
„Das Amt ist mir Ehre und Bürde zugleich. Ich will es immer zu deiner Zufriedenheit ausüben. Ich bitte dich, führe mir noch mehr Soldaten zu, denn die Feinde aus Nubien sind sehr hartnäckig. Bisher hatten sie große Furcht vor den ägyptischen Streitwagen. Aber dieses Streitwagenheer gibt es nicht mehr. Da sind nur noch drei Gespanne im Amuntempel. Und ich weiß von noch einer weiteren Gefahr. Informanten haben mir berichtet, unser Feind Senaaib, den deine Stärke besiegt hat, hält sich weiterhin in Theben versteckt“, erklärte ihm der Wesir.
„Den elenden Senaaib fürchte ich nicht. Viel wichtiger ist die Sicherung der Grenze im Süden. Du sollst für den Feldzug gegen die frechen Nubier gut gerüstet sein. Wir holen die Streitwagen des Tempels. Die Priester werden verstehen, dass wir auch ihren Reichtum verteidigen. Lasse die Streitwagen voranfahren, um den Feind zu schrecken. Nutze den Überraschungseffekt“, sagte Pharao.
Wesir Sobekhotep benötigte nur wenige Tage Vorbereitung, um mit seiner Armee den Vorstoß zur südlichen Landesgrenze anzutreten. Er hatte einige Kundschafter vorangeschickt, die den Aufenthaltsort und die Stärke der nubischen Krieger ausspähen sollten. So bekam er sichere Informationen über deren Vormarsch bis vor die Königsstadt Nechen. Die Ägypter rückten in Eilmärschen vor. Der Wesir wusste, ein Gegner, der mit Plündern beschäftigt ist, kann einem plötzlichen Angriff keinen organisierten Widerstand entgegenbringen. Die Überraschung gelang. Ein Trupp nubischer Krieger, die dabei waren, ein Gut zu plündern, konnte überrumpelt werden, und am Abend standen Pharaos Soldaten vor Nechen.
Der Anführer der Invasoren war sehr erschrocken. Er hatte wohl nicht mit so vielen ägyptischen Soldaten gerechnet. Nun versuchte er durch Verhandeln Zeit zu gewinnen. Dem Wesir Sobekhotep kam das sehr gelegen. Die Ägypter waren schon immer Meister der Täuschung. Der Wesir schlug einen Ort vor, der ihm passend erschien, um persönlich mit dem nubischen Fürsten zu sprechen.
„Wir wissen, wie schwach Ägypten ist. Pharao Dedumose ist tot, und Ägypten ist verwaist. Lass uns hier Frieden schließen. Ohne eure schnellen Streitwagen könnt ihr uns nicht mehr schrecken. Rückt nicht weiter vor, und wir werden auch nicht tiefer in Ägypten eindringen“, schlug der Nubier vor.
Auf ein geheimes Zeichen Sobekhoteps fuhren drei Streitwagen vorbei. „Seine Majestät, Pharao Sechem Re Seanchtaui Neferhotep, der Herr der beiden Länder folgt mit seinem Streitwagenheer nach. Ich brauche nicht abwarten, bis er eintrifft. Mein Heer ist gut gerüstet. Die Soldaten sind kampferprobt. Ihr werdet morgen früh sehen, wie stark Ägypten ist. Dann werden auch die mykenischen schwergerüsteten Söldner eingetroffen sein“, bluffte er.
Der nubische Fürst lächelte, um Stärke zu zeigen. Doch Sobekhotep erkannte an seinen unruhigen Augen, wie verunsichert er war. Eine Weile saßen sich die beiden Männer schweigend gegenüber. Der Nubier brach als erster das Schweigen. „Wir waren immer treue Verbündete Ägyptens und wollen es auch weiterhin bleiben. Gib uns drei Tage, dann werden wir zurück nach Nubien gehen.“
„Ihr habt keine drei Tage. Morgen früh werden wir kommen und viele Gefangene machen. Ihr seid als Arbeiter auf den Feldern Ägyptens sehr willkommen. Die vielen Gefangenen werden mir Ruhm und Reichtum bringen. Ich lasse dir noch eine Chance, straffrei umzukehren. Wenn ihr mir morgen in aller Frühe, sobald der Sonnengott aus der Unterwelt emporgestiegen ist, all euer Gold abliefert, gebe ich euch einen Tag, um ungestraft zu euren Dörfern zurückzukehren. Ich werde mit meiner Armee nachrücken, und diejenigen, die ich einhole, werden als Gefangene nach Ägypten gehen. Und glaube mir, das ist nicht nur eine Drohung!“, erklärte der Wesir. Er tat so, als wollte er noch etwas sagen, als ein Hauptmann erschien und ihm etwas ins Ohr flüsterte.
„Herr, ich soll dir melden, Pharaos Armee ist nicht mehr weit. Die Majestät kommt mit vielen Soldaten“, der Offizier tat so, als solle die Meldung nur der Wesir hören, gab aber acht, dass ihn auch der fremde Fürst gut verstehen konnte.
Der nubische Fürst flüsterte einen seiner Diener ebenfalls etwas ins Ohr und schickte ihn weg. Dann sagte er: „Du sollst sehen, wie ernst es uns ist, mit dem starken Ägypten in Frieden zu leben. Sieh doch, wir haben seit Generationen immer Männer gestellt, die als gute Soldaten in Pharaos Armee gedient haben. Und es erfüllt uns mit Stolz, Freunde seiner Majestät, des großen Pharao Neferhotep, sein zu dürfen. Morgen früh, bevor wir zurück in unsere Dörfer gehen, werden wir kommen, um dem Herrn der beiden Länder das Gold Nubiens zu bringen.“
So wurde zum Vorteil beider Völker ein großer Krieg verhindert. Die Ägypter rückten den sich zurückweichenden Nubiern nach, ohne ihnen zu nahezukommen. Der Wesir beschloss, mit den Soldaten noch ein paar Tage vor dem zweiten Katarakt zu lagern, um den Aggressoren eine nicht vorhandene Stärke Ägyptens vorzugaukeln. Bis zur Festung Buhen vorzurücken und ihre Mauern wieder zu bemannen, wagte er nicht.
Pharao Sechem Re Seanchtaui Neferhotep hielt weiterhin Hof in Theben. Er besetzte wichtige Positionen im Land mit vertrauten Leuten aus seiner Umgebung. Er ließ den Königspalast erweitern und nicht nur das, auch der königliche Harem wurde größer, was seiner Königin missfiel.
„Was sollen all diese Mädchen? Du kränkst mich, bin ich dir nicht genug!“,