„Lass ihnen doch ihre Unbekümmertheit, ihre Freude über die gewonnene Freiheit. Sieh doch, hier sind keine ägyptischen Beamten, keine Steuereintreiber. Niemand kommt, die Männer zur Fertigung der Nilschlammziegel zu holen. Da verlangst du, sie sollen lernen in Reih und Glied zu fechten? Die Kinder müssen sich vor keinem Krokodil und keinem Nilpferd fürchten. Was soll ihnen da schon geschehen?“ widersprachen ihm einige der Ältesten.
Moses ließ nicht locker. „Das versprochene Land wird euch nicht in den Schoß fallen. Ich sage es euch noch einmal, ihr werdet darum kämpfen müssen. Doch vielleicht müsst ihr euch schon zuvor wehren, wenn euch feindliche Stämme den Durchzug durch ihr Gebiet verweigern und eure Herden rauben wollen.“
Die Sippenchefs wurden bei diesen Vorhaltungen nachdenklich. Als sie gingen, bat Moses zwei hoch angesehene Männer, Jefunne und Nun, zu bleiben. „Ja Herr, hier stehen wir vor dir. Wie können wir dir zu Diensten sein?“, sagte Jefunne.
„Zuallererst, indem ihr die Anrede Herr weglasst. In meinen Adern fließt genauso das Blut der Stammväter Abraham, Isaak und Jakob. Meine leibliche Mutter war Jokebed, die Tochter Levis. Mein Vater Amram war ein Sohn Kehats. Mirjam ist meine Schwester und Aaron mein Bruder. Also nennt mich nur Moses, auch wenn das der Name ist, den mir meine Stiefmutter, die Königin Tian gegeben hat“, erklärte er ihnen.
„Aber du wurdest bei den Ägyptern aufgezogen, warst ein ägyptischer Prinz? Die Ägypter haben uns immer sehr bedrückt. Wir beide mussten sogar in ihrer Armee dienen, als du deren General warst. Du hast den Krieg gegen den Fürsten der Nordländer gewonnen“, erinnerte sich Nun.
„Du hast recht. Ich war ein ägyptischer Feldherr, der Stiefsohn des mächtigen Pharao Chaneferre Sobekhotep. Doch glaubt mir, die einfachen ägyptischen Leute sind nicht unsere Feinde. Es waren die Beamten der Pharaonen die unsere Leute zur Fronarbeit gerufen haben. Doch neben euch haben auch Ägypter, Nubier und Libyer geschuftet, und viele Vornehme waren frei von Vorurteilen. Meine Stiefmutter, die Königin Tian, war eine ganz liebe Frau. Sie hat nie schlecht oder hochmütig über unsere Landsleute geredet. Als kleiner Junge durfte ich mit den Kindern unseres Dorfes spielen. Damals wusste ich noch nicht, dass Aaron mein Bruder ist. Meine leibliche Mutter Jokebed war meine Amme. Sie hatte zur Königin ein inniges Verhältnis und wurde von ihr hochgeschätzt. Ihr habt als Fremde bei den Ägyptern gelebt und musstet ihnen gehorchen, so wie ein Diener seinem Herrn zu Diensten sein muss. Das ist nun vorbei, der Gott unserer Väter hat uns aus Ägypten geführt und wird uns in das gelobte Land bringen. Ihr habt gesehen, dass sich kein Pharao seinem Willen widersetzen kann. Es war der Wille Jahwes, dass ich bei den Ägyptern erzogen wurde. So habe ich alle die Fähigkeiten erlernt, die man braucht, um ein großes Volk zu führen, damit es in einer unwirtlichen Landschaft bestehen kann. An euch beide kann ich mich noch gut erinnern. Ihr wart dabei, als wir auf dem Golan im Krieg dem Fürsten der Nordländer gegenüber standen. Du Jefunne, du standest in der Vorhut, welche die Angreifer in die Falle gelockt hat und hast dich rechtzeitig vor deren Streitwagen in Sicherheit bringen können. Du Nun, du warst ein geschickter Speerkämpfer und hast am Ausgang des Hohlweges gefochten, um den eingekreisten Feinden den Durchbruch nach Kanaan zu verwehren“, sagte Moses.
„Wir haben damals nicht wahrgenommen, dass du uns beachtet hast. Du warst ja der hochmütige, unnahbare Feldherr, dem eine riesige Armee gehorchen musste“, warf Jefunne ein.
Moses antwortete ihm: „Ich bedauere es sehr, dass es euch so vorkam. Ihr könnt mir glauben, Hochmut war mir nie zu Eigen. Genauso wie ihr hatte ich Angst, die Armee könnte untergehen. Ich hatte schlaflose Nächte, habe gegrübelt, wie man so eine Streitmacht, deren Kampfwagen unbesiegbar schienen, bezwingen könnte. Seht mich genau an. Nicht nur ihr beide seid alt geworden, auch ich bin ein alter Mann. Meine Ausdauer hat nachgelassen. Ihr sollt mir dabei helfen, die vielen Menschen anzuführen. Wir wollen aus den ungeübten jungen Männern unseres Volkes eine schlagkräftige Truppe formen. Frühmorgens, bevor wir aufbrechen und abends, wenn wir ein neues Lager errichtet haben, sollen sie den Umgang mit den Waffen üben. Sie müssen lernen, in geschlossener Formation einem Feind standzuhalten. Sie sollen die Wachen stellen, wenn wir einen Lagerplatz errichtet haben. Bei Gefahr müssen sie das Widderhorn blasen. Ihr beide kennt euch in militärischer Disziplin gut aus. Jeder soll eine Einheit dirigieren. Euren Kommandos werden die Männer bereitwillig Folge leisten, während viele in mir noch den Ägypter sehen.“
Die beiden sahen sich an, bevor Nun einwarf: „Moses, dein Vertrauen ehrt uns, doch sieh, wir sind ebenfalls alte Männer. Du verlangst sehr viel von uns.“
„Macht euch keine Sorgen. Es muss einen Anfang geben. Ich denke, wir können bald jüngere Anführer aussuchen, die im Kampf dem Heerbann vorstehen werden. Wir wollen zu Beginn die Männer nach ihrer Ausrüstung aufstellen, zuvorderst die Speerkämpfer mit Schild, Dolch und Spieß. Danach die Bogenschützen, und die ganz jungen sollen den Umgang mit der Steinschleuder erlernen.“
Jefunne und Nun waren gute Ausbilder. Zunächst murrten die Männer noch, da ihnen Disziplin etwas ganz Ungewohntes war. Aber mit der Zeit fanden sie Spaß daran, den Umgang mit ihren Waffen zu üben. Moses beobachtete alles ganz genau. Ihm fielen zwei junge Männer auf, die sich durch besonderes taktisches Geschick auszeichneten. Er fand, diese beiden könnten die Anführer der Krieger werden. Moses beschloss sich darüber mit Nun und Jefunne abzustimmen. Er erklärte ihnen: „Ich bin mit dem, was ihr bewirkt habt, sehr zufrieden. Ihr habt aus den widerspenstigen Lümmeln eine gute Armee geformt. Ich glaube, dass ihr zwei zukünftig nicht mehr bei den Kämpfern sein müsst, wenn sie ihre Übungen ausführen. Mir sind zwei junge Männer aufgefallen, die ich für fähig erachte, unsere Streitmacht anführen zu können.“
„Dein Lob tut uns gut. Wer sind die beiden? Zeige sie uns, damit auch wir unser Urteil abgeben können“, forderte Jefunne Moses auf.
„Seht dort drüben! Das sind sie, die beiden, die vor den anderen Männern stehen und ihnen zeigen, wie man geschickt die Vorteile des Geländes ausnutzt. Ich kenne nicht ihre Namen. Vielleicht könnt ihr mir sagen, wie sie heißen und wer ihre Väter sind?“
Nun war erstaunt. „Der vordere ist Kaleb, der Sohn Jefunnes, und der andere ist mein Sohn. Ist es Zufall, dass du gerade die beiden ausgewählt hast?“
Moses schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht an Zufälle. Dann würden wir noch in Ägypten festsitzen, und ihr müsstet immer noch aus dem glitschigen Nilschlamm Ziegel formen. Geht, schickt die beiden Männer zu mir, noch bevor wir zum nächsten Tagesmarsch aufbrechen. Ich will sie fragen, ob sie es sich zutrauen, die Streitmacht unseres Volkes anzuführen.“
In Begleitung Nuns und Jefunnes kamen die beiden Krieger zu Moses, der ihnen ihre zukünftige Aufgabe nannte. Ganz ohne Bedenkzeit erklärten sie sich bereit, den Auftrag zu übernehmen. Moses war von ihrem forschen Auftreten und Ehrgeiz beeindruckt. „Dann soll es so sein. Du bist der Sohn Nuns, ach ich nenne dich Josua, und deinen Namen weiß ich schon, du bist Kaleb, dein Vater ist Jefunne. Die Sippenältesten sollen gleich erfahren, wer zukünftig unsere Krieger anführen wird. Ich denke ihr werdet viel Zustimmung erhalten, schon eurer Väter wegen, die hohes Ansehen genießen.“
Josua und Kaleb erfüllten alle in sie gesetzten Erwartungen. Die wehrfähigen Männer waren unter ihrer Führung sehr bald eine flexible und kampfstarke Truppe geworden. Die ortsansässigen Sippen des bevölkerungsarmen Sinai wagten es nicht mit den durchziehenden Stämmen Streit zu suchen, und die vermieden es ihrerseits, die Einheimischen zu Bedrängen. Man war darauf angewiesen, die immer knapper werdenden Lebensmittelvorräte durch Tauschhandel mit den ansässigen Clans aufzufrischen und kam so auch an wichtige Informationen, die für einen gefahrlosen Weitermarsch sehr nützlich waren.
Aber Moses war mit der erreichten Organisation der Stämme noch nicht zufrieden. Eines Abends rief er die Stammesältesten zu sich. „Wie wird die Geschichte unseres Volkes bewahrt und weitergegeben? Ich weiß, ihr kennt die Namen unserer Vorväter und alle ihre Taten. Von Generation zu Generation wurden sie an den Lagerfeuern weitererzählt, und an manche