Vater und Sohn Euler sowie Niklaus Fuss, der als Gatte der Euler-Tochter beziehungsweise -Enkelin zu diesem familiären Netzwerk gezählt werden muss, bestimmten über ein Jahrhundert lang die Entwicklung der Petersburger Akademie mit und stiegen in Russland bis in höchste Staatsämter auf. Die temporäre oder dauerhafte Auswanderung schweizerischer Gelehrter brach nach diesen ersten Pioniergenerationen keinesfalls ab, sondern setzte sich im 19. Jahrhundert verstärkt fort und war damit Teil einer insgesamt beachtlichen Wanderung von Schweizerinnen und Schweizern nach Russland, die mit der Russischen Revolution 1917 abrupt abbrach.
Die Aufenthalte Albrecht Hallers in Göttingen und der Basler Mathematiker in Russland stellen die Spitze eines breiteren Phänomens dar. Als diese Gelehrten mit ihren Forschungen Wissenschaftsgeschichte schrieben, waren zahlreiche gut ausgebildete Schweizerinnen und Schweizer als Erzieher, Hauslehrer und Gouvernanten im Ausland tätig. Erzieher und Hauslehrer sind eine charakteristische Erscheinung der europäischen Schul- und Bildungsgeschichte des 17. bis 19. Jahrhunderts. Adelige und wohlhabende Bürger, die es sich leisten konnten, stellten Privatlehrer für die individuelle schulische Bildung und Erziehung ihrer Kinder an. Die Pädagogen hielten sich für eine vertraglich vereinbarte Zeit im Haushalt ihres Dienstherrn auf und schulten die ihnen anvertrauten Kinder im Einzelunterricht. Zu ihren Aufgaben als Erzieher konnte es auch gehören, die ihnen anvertrauten Zöglinge im fortgeschrittenen Alter auf Bildungsreisen durch Europa oder beim Studium an die Universität zu begleiten. Viele Schweizer Abgänger von Universitäten und Hohen Schulen überbrückten im 18. Jahrhundert die Wartezeit bis zur Anstellung als Pfarrer oder in einem anderen Amt mit der zeitweiligen Beschäftigung als Erzieher und Hauslehrer im Ausland. In der zweiten Jahrhunderthälfte war das Überangebot an Theologen in der reformierten Schweiz so gross, dass viele unter ihnen lange – mitunter vergeblich – auf die Wahl auf eine vakante Pfründe warteten. Für ledige Frauen bot die Anstellung als Erzieherinnen in adeligen und grossbürgerlichen Familien des Auslands im späten 18. und 19. Jahrhundert eine attraktive, ihren geistigen und kulturellen Fähigkeiten entsprechende Erwerbsmöglichkeit, die für sie in der Schweiz erst mit dem starken Ausbau der Volksschule im Verlauf des 19. Jahrhunderts entstehen sollte.
Besonders Männer und Frauen aus der reformierten französischsprachigen Schweiz empfahlen sich mit einer guten Ausbildung für Anstellungen als Pädagoginnen und Pädagogen im Ausland. Sie beherrschten die französische Sprache und hatten den richtigen, protestantischen Glauben. Französischkenntnisse waren im 18. Jahrhundert eine unabdingbare Voraussetzung nicht nur für eine berufliche Karriere in Politik und Diplomatie, sondern auch für die Gesellschaftsfähigkeit von Angehörigen der Oberschicht. Gleichzeitig kam der religiös-moralischen Erziehung von Kindern und Jugendlichen ein hoher Stellenwert zu, weshalb protestantische Fürsten, Adelige und Bürgerfamilien in Deutschland, den Niederlanden, Skandinavien und Russland ihre Zöglinge lieber Pädagogen und Gouvernanten aus Neuchâtel, der Waadt und Genf anvertrauten als katholischen Franzosen.
Ein Gesamtbild dieser Pädagogenmigration zu vermitteln, ist schwierig, doch schätzt man, dass Hunderte von Schweizerinnen und Schweizern im 18. und 19. Jahrhundert im Ausland tätig waren. Wiederum ragen einzelne Figuren heraus, die nach ihrer Tätigkeit als Hauslehrer und Erzieher beziehungsweise Erzieherinnen in anderen Positionen Berühmtheit erlangten. Stellvertretend für zahlreiche andere kann hier Frédéric-César de la Harpe (1754–1838) genannt werden, der Waadtländer Revolutionär und Mitglied des Helvetischen Direktoriums 1798–1800. Zwischen 1783 und 1795 war er für die Erziehung von Alexander und Konstantin Romanow, der beiden Enkel von Zarin Katharina II. von Russland, verantwortlich gewesen und hatte damit die Basis für eine lebenslange, enge Beziehung zur russischen Zarenfamilie gelegt. Dies gilt ebenso für Jeanne Huc-Mazelet (1756–1852) aus Morges, die von 1790 bis 1794 für die Erziehung von Alexanders jüngerer Halbschwester Maria Pawlowna (1786–1859) zuständig war. Beide Waadtländer nutzten ihre Beziehungen zu Zar Alexander I. (1777–1825, Zar ab 1801) beziehungsweise zu dessen Schwester, als es nach dem Zusammensturz der Herrschaft Napoleons 1813– 1815 für die Waadtländer Politik darum ging, die Diplomatie der Grossmächte gegen Berns Ansprüche auf die Restauration der Herrschaft über die Waadt zu mobilisieren und die Souveränität des jungen Westschweizer Kantonalstaats abzusichern.
Schweizer Erzieherinnen bzw. Erzieher und Hauslehrer im Ausland (Auswahl, 17.–19. Jahrhundert)18
Die Beobachtungen zur Auswanderung und Rückwanderung von Gelehrten, Erziehern und Hauslehrern geben Anlass zu einigen allgemeinen Feststellungen zur Bildungs- und Wissenschaftsgeschichte der Schweiz. Im Vergleich zum Ausland, wo Wissenschaftsakademien und Reformuniversitäten das höhere Bildungswesen und die Dynamik der Forschung in Medizin und Naturwissenschaften bestimmten, fällt die Rückständigkeit der höheren Bildungseinrichtungen in der Schweiz des Ancien Régime auf. Hier richteten erst die liberalen Regierungen im 19. Jahrhundert Universitäten als zeitgemässe Forschungs- und Bildungsanstalten ein. Die alte Schweiz hingegen bot ihren Gelehrten keine deren Fähigkeiten entsprechenden Beschäftigungsmöglichkeiten. Ihre Forschung betrieben die Schweizer Gelehrten in ihrer Freizeit und als Mitglieder zahlreicher privater gelehrter Gesellschaften, sicherten sich daneben aber ihre Existenz in einem Brotberuf als Pfarrer oder Magistraten, sofern sie nicht