Mühlviertler Kreuz. Eva Reichl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eva Reichl
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839269602
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S’! Ich zeig Ihnen was.« Brandtner steuerte auf eine alte Mauer zu, die in den Ausstellungsraum hereinragte. »Sehen S’ das? Das sind die Reste einer für diese Gegend ungewöhnlich großen Renaissanceanlage, die man bei archäologischen Ausgrabungen g’funden hat. Außerdem hat man diese Badegrotte entdeckt.« Brandtner führte Stern zu einer weiteren Anhäufung von Steinen. »Man weiß es net genau, aber man vermutet, dass diese Badegrotte in der Barockzeit dazugebaut worden ist. Aber eines weiß man …« Brandtner beugte sich ein wenig nach vorne und machte eine Pause, die der folgenden Information genügend Raum zum Wirken verschaffen sollte. »So, wie sie jetzt von uns präsentiert wird, ist die Badegrotte einzigartig in Österreich. Ein richtiges Unikat!« Der Museumsführer strahlte Stern an. Anscheinend hatte er längst vergessen, weswegen der Chefinspektor bei ihm war und dass auf seiner geliebten Burg womöglich ein Mord passiert war, deshalb wollte Stern ihn daran erinnern.

      »Danke, Herr Brandtner, für diese Informationen, allerdings …«

      »Und noch was ist ganz wichtig«, unterbrach Brandtner den Chefinspektor.

      »Ja?« Stern horchte auf. Wenn etwas wichtig war, wollte er es natürlich schon erfahren.

      »Das Museum steht quasi auf den Überresten der alten Burg, und wir hab’n die Mauerreste und die Badegrotte voll schön ins Museum integriert, damit alle was davon hab’n. Wie finden S’ das?« Erwartungsvoll blickte Brandtner den Chefinspektor an.

      »Ist eigentlich eh ganz toll geworden«, druckste Stern herum, da er einerseits nicht unhöflich sein wollte, andererseits diese Information als nicht so wichtig erachtete. Zumindest nicht für die Aufklärung des Falls. Das enttäuschte Gesicht des Mannes ließ ihn aber hinzufügen: »Wenn ich mal etwas mehr Zeit hab, schau ich mir das Museum an, versprochen!«

      Der Mann lächelte wieder. »Sie dürf’n kostenlos rein, das versprech ich Ihnen.«

      »Dann … auf Wiedersehen«, verabschiedete sich Stern von dem diensteifrigen Museumsführer.

      »Auf Wiederseh’n!«, rief Nikolaus Brandtner ihm hinterher.

      Draußen vor dem Museum und den Weg hinab zur Straße dachte Stern über das eben geführte Gespräch nach. Der Museumsführer war ein komischer Kauz, doch er hatte eine große Leidenschaft für die Überreste der Burg an den Tag gelegt, die Stern beeindruckend fand. Der Chefinspektor war sich sicher, dass es nichts über die Burgruine Reichenstein gab, was Nikolaus Brandtner ihm nicht hätte beantworten können. Menschen mit einer derartigen Begeisterung für eine Sache trugen dazu bei, dass Kulturschätze wie die Burgruine erhalten blieben. Sollte er diesbezüglich noch Fragen haben, würde er sich direkt an ihn wenden.

      »Kannst du uns schon etwas zu Todesursache und Zeitpunkt sagen?«, fragte er Weber, als er unten neben der Straße anlangte, wo dieser neben der toten Braut kniete und deren Haut massierte. Stern wusste, dass der Gerichtsmediziner daraus unter anderem schließen konnte, wann das Opfer gestorben war.

      »Die Totenflecken lassen sich noch wegdrücken, das deutet darauf hin, dass die Frau nicht länger als zehn bis zwölf Stunden tot ist. Aber die Augen kann ich ihr nicht mehr schließen, und die Gelenke sind steif. Das wiederum heißt, dass der Tod vor mindestens acht Stunden eingetreten sein muss. Genügt dir das als Zeitfenster für die Tat?«

      Stern brummte und blickte auf sein Handgelenk. Es war jetzt 11 Uhr vormittags, demnach musste das Opfer zwischen 23 Uhr gestern Abend und 3 Uhr morgens gestorben sein, also während oder unmittelbar nach der Hochzeitsfeier. Ein genauerer Todeszeitpunkt würde sich erst durch die Befragungen der Gäste ergeben, wann die Braut zuletzt gesehen worden war.

      »Ja, das reicht vorerst. Was ist mit der Todesursache? Hast du da schon etwas für mich?«

      »Ich tippe auf Genickbruch«, antwortete Weber. Mit beiden Händen bewegte er den Kopf der Leiche hin und her, um seine Vermutung zu untermauern. »Ja, ich bin mir ziemlich sicher.«

      »Hat sie sich bei dem Sturz das Genick gebrochen?« Stern sah wieder nach oben zum Burgfenster, aus dem die Braut gefallen war.

      »Das kann ich dir nicht sagen, aber möglich wäre es. Außerdem hat sie jede Menge Abschürfungen, die von den Ästen herrühren könnten, in denen sie gelandet ist. Um das endgültig zu bestätigen, muss ich noch ein paar Untersuchungen anstellen.« Der Gerichtsmediziner packte seine Utensilien in den Koffer zurück und ließ ihn geräuschvoll zuschnappen. Seine Arbeit vor Ort war getan. Weitere Informationen würde er der Leiche entlocken, wenn er sie obduzierte.

      »Danke dir, Weber«, antwortete Stern und wandte sich von dem Gerichtsmediziner und der Toten ab. In dem Getümmel von Einsatzkräften und Schaulustigen, die sich mittlerweile eingefunden hatten und die den Ort wie bei einer öffentlichen Kundgebung bevölkerten, suchte er nach Mara Grünbrecht. Er kniff die Augen zusammen und erinnerte sich, dass er nach dem letzten Mordfall zu einem Augenarzt hatte gehen wollen. Seine Sehkraft ließ zunehmend zu wünschen übrig. In die Ferne und in der Nähe. Er brauchte unbedingt eine Brille.

      Als er gerade zurück zur Burg gehen wollte, um dort nach Grünbrecht zu suchen, sah er sie den schmalen Weg zur Straße herunterkommen. Hoffentlich würde ihre und Edwin Mirschers Hochzeit keinen Polizeieinsatz wie diesen nach sich ziehen, schoss es ihm durch den Kopf. Diesen grauenvollen Gedanken schob er sofort beiseite.

      Der Termin für die Vermählung stand längst fest, es war der 21. Juni, die Sommersonnenwende. Stern hatte bereits eine Einladung erhalten und sollte außerdem Mirschers Trauzeuge sein. Mit Monatsende würde der Kollege dann aus dem Team der Mordgruppe im Landeskriminalamt Oberösterreich ausscheiden, er hatte sich zum Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung versetzen lassen. Bormann, der Dienststellenleiter, hatte darauf gedrängt. Er hieß es nicht gut, wenn Eheleute in einer Abteilung zusammenarbeiteten. Das sorge für Komplikationen und Unstimmigkeiten, war er der Meinung und hatte damit nicht ganz unrecht. Dennoch schmerzte es Stern, Edwin Mirscher ziehen lassen zu müssen. Schließlich arbeiteten sie seit vielen Jahren zusammen, und auch wenn er nicht immer auf einer Linie mit ihm lag, schätzte er ihn. Vor allem Mirschers Menschlichkeit und sein kindliches Wesen, das er sich trotz des oft harten Jobs erhalten hatte, waren eine Bereicherung für das Team.

      Ein Kollege vom Landeskriminalamt Wien würde Mirscher ersetzen. Dieser hatte in Wien noch einen Fall abzuschließen und würde anschließend zu ihnen stoßen, hatte Bormann Stern kürzlich mitgeteilt.

      »Und? Haben wir die Adresse vom Bräutigam?«, fragte er Mara Grünbrecht, als sie bei ihm anlangte. Die Gruppeninspektorin hatte dieses Mal ungewöhnlich lange für das Herausfinden der Information benötigt.

      »Ja, die habe ich auch«, antwortete die Gruppeninspektorin mystisch.

      »Was heißt hier auch? Welche hast du denn noch?«, hakte Stern nach.

      »Die der Schwiegereltern.«

      Stern sah seine Kollegin irritiert an. »Dort wollten doch Mirscher und Kolanski hinfahren«, glaubte er sich zu erinnern, was sie vorhin ausgemacht hatten. »Die beiden sollen sich die Informationen, die sie brauchen, selber beschaffen. Ich hab gehört, dass es da für ältere Leute so einen Kurs gibt, in dem man lernt, wie man das macht. Wie man treffsicher im Internet surft und was weiß ich dort alles recherchieren kann.«

      Grünbrecht lachte. »Du kannst das den beiden ja mal vorschlagen. Ich bin mir sicher, sie werden es begeistert aufnehmen.«

      »Ich meine es ernst«, erwiderte Stern.

      »Ich auch.«

      »Dann sag mir, warum du die Adresse der Schwiegereltern recherchiert hast, wenn doch Kolanski und Mirscher dort hinfahren sollen.«

      Grünbrecht räusperte sich und antwortete: »Jetzt nicht mehr. Der Ehemann unserer Toten wohnt nämlich noch zu Hause bei den Eltern.«

      »Okay, in diesem Fall übernehmen wir das natürlich«, erwiderte Stern, der nicht wusste, was er davon halten sollte. Er hatte als Jugendlicher so schnell wie möglich von zu Hause ausziehen wollen, kaum dass er die Polizeischule abgeschlossen gehabt hatte. »Jetzt bin ich aber gespannt, was uns erwartet.«

      4.