»Das wissen wir noch nicht«, erwiderte er.
»Wie meinen Sie das?« Viktor Hallsteiner richtete sich auf, und die Gesichter der übrigen Familienmitglieder schwenkten ebenfalls in Sterns Richtung.
»Wie ich sagte: Wir wissen nicht, ob es tatsächlich ein Unfall war oder nicht. Zum jetzigen Zeitpunkt gehen wir von Mord aus. Die Indizien sprechen dafür.« Gespannt blickte Stern die Anwesenden der Reihe nach an. Die Schwester fing an zu weinen, die Mutter reichte ihr ein Taschentuch. Fabian wurde kreidebleich. Stern konnte erkennen, dass er das Gehörte erst verarbeiten musste.
»Das ist doch ein ausgemachter Schwachsinn!«, erwiderte Viktor Hallsteiner aufgebracht. Er wollte aufstehen, doch sichtlich hinderten ihn seine Kopfschmerzen daran. »Stefanie, bring mir eine Schmerztablette!«, forderte er von seiner Frau.
Stefanie Hallsteiner stand auf und verschwand aus dem Raum. Jetzt war für die Kriminalbeamten klar, wer hier das Kommando führte.
»Herr Hallsteiner«, richtete Stern das Wort an Fabian. »Warum haben Sie Ihre Frau nicht als vermisst gemeldet? Hätten Sie nicht bemerken müssen, dass sie nach Ihrer Hochzeit nicht neben Ihnen im Bett liegt?«
»Nein, hat er nicht«, antwortete Viktor Hallsteiner anstelle seines Sohnes. »Und zwar wegen …«
»Ich rede nicht mit Ihnen, sondern mit Ihrem Sohn«, ließ Stern ihn nicht ausreden. »Wenn Sie sich bitte zurückhalten!«
»Was denken Sie, wen Sie vor sich haben?«, brauste der Vater auf und erhob sich. Wieder verzog er vor Schmerzen das Gesicht, blieb aber stehen.
»Ich weiß, wen ich vor mir habe. Und Sie halten sich jetzt aus der Befragung raus, sonst …«
»Ich werde mich bei Ihrem Vorgesetzten über Sie beschweren!«
»Tun Sie das, aber draußen. Mara, würdest du bitte Herrn Hallsteiner vor die Tür begleiten und einen Arzt rufen? Ich glaube, dass er sich bei dem Sturz eine Gehirnerschütterung zugezogen hat«, sagte Stern und wandte sich Fabian zu. Ein klares Zeichen, dass er nicht beabsichtigte, mit dem Oberhaupt der Familie weiterzureden, solange das sich nicht unter Kontrolle hatte und Sterns Anweisungen Folge leistete.
Die Gruppeninspektorin stellte sich vor Viktor Hallsteiner und sah ihn auffordernd an.
»Das werden Sie bereuen!«, zischte er und schritt Grünbrecht voran. In diesem Augenblick kehrte Stefanie Hallsteiner zurück, in der einen Hand ein Glas Wasser und in der anderen zwei Schmerztabletten.
»Was ist hier los?«, fragte sie verwundert und blickte ihrem entschwindenden Gatten hinterher. Anschließend wandte sie sich Stern zu und hoffte auf Aufklärung.
»Ihr Mann hat sich entschieden, der Befragung nicht beizuwohnen«, erläuterte Stern knapp. Im Eingangsbereich konnte er den Hausherren zetern hören. Wahrscheinlich rief der jetzt den Landespolizeidirektor an und dieser daraufhin Bormann, Sterns Chef. Doch ein paar Minuten blieben Stern noch, bis Bormann versuchen würde, ihn zu erreichen.
»Herr Hallsteiner, bitte beantworten Sie meine Frage«, kam er auf das ursprüngliche Thema zurück. »Warum haben Sie Ihre Frau nicht als vermisst gemeldet? Oder haben Sie etwa gar nicht gewusst, dass sie nicht zu Hause war?«
Fabian Hallsteiner rückte nervös auf dem Sofa hin und her. Er rieb sich die Hände und sah zu Boden. Es war unschwer zu erkennen, dass ihm die Situation stark zusetzte.
»Ich war letzte Nacht ziemlich weggetreten, ich weiß nicht einmal, wie ich nach Hause gekommen bin«, sagte er leise.
»Heißt das, Sie haben auf Ihrer Hochzeit so viel Alkohol getrunken, dass Sie sich an nichts erinnern?«, hakte Stern nach.
»Ich hab nicht alles vergessen, was gestern passiert ist, aber es gibt schon ein paar Lücken. Vor allem, was zum Schluss passiert ist, liegt unter einem dicken Nebel verborgen«, stellte Fabian klar.
»Dann erzählen Sie mir von der Hochzeit, soweit Sie es noch wissen«, forderte Stern den jungen Witwer auf.
»Von der ganzen Hochzeit?« Fabians Stimme klang unsicher.
Stern nickte.
»Ja, wo fange ich da an? Also, wir haben auf der Burg Reichenstein geheiratet, anschließend fand dort die Hochzeitsfeier statt. Es waren viele Gäste da, Verwandte, Bekannte, Freunde, Geschäftspartner meines Vaters. Marion war unglücklich …« Fabian brach ab und schien sich mit Augenkontakt beim Chefinspektor rückversichern zu wollen, ob seine Erzählung dessen Erwartungen entsprach.
»Weshalb war sie unglücklich? Es war doch ihre Hochzeit?«, fragte Stern. War eine Hochzeit nicht der Traum der meisten Frauen? Warum also war Marion an diesem Tag nicht überglücklich gewesen?
Fabian warf einen Blick zu seiner Mutter hinüber, die sich mittlerweile gesetzt hatte, nach wie vor das Glas Wasser und die Tabletten in Händen. Sie nickte ihrem Sohn aufmunternd zu.
»Sie müssen wissen, dass wir nicht aus Liebe geheiratet haben«, erzählte Fabian stockend.
»Weswegen dann?« Stern konnte sich nicht vorstellen, dass es heutzutage für junge Leute noch andere Gründe gab, den Bund der Ehe einzugehen. Die Zeiten der arrangierten Verehelichungen von Kindern waren längst vorüber. Natürlich wusste er, dass es in anderen Kulturen und auf anderen Kontinenten durchaus bis heute üblich war, junge Mädchen mit Männern zu vermählen, aus den unterschiedlichsten Gründen. Oder weil es schlicht und einfach Tradition war. Aber in Österreich dürfte das seiner Meinung nach eigentlich nicht mehr vorkommen.
»Unsere Eltern haben uns verkauft!«, stieß Fabian verächtlich aus. Sein Gesicht verzog sich zu einer leidenden Fratze.
Stern glaubte sich verhört zu haben, doch Stefanie Hallsteiner liefen plötzlich Tränen über die Wangen. Die Worte ihres Sohnes schmerzten sie, das sah Stern deutlich. Der Vorwurf war schwerwiegend, und Stern wollte ihn näher erklärt haben, was für die Mutter bedeutete, den verletzenden Worten des Sohnes weiterhin ausgesetzt sein zu müssen.
»Was heißt verkauft?«, hakte er nach.
»Weil ich Marion geheiratet habe, bekommt ihr Vater einen Haufen Geld von meiner Familie, um seine Firma zu retten. Dadurch steht Marions Vater für immer und ewig in unserer Schuld. So ist es doch, oder, Mutter?« Fabians Lippen bebten, als er sie um Bestätigung bat.
Die Angesprochene schluchzte laut auf. »Ich hab es nicht verhindern können«, gestand sie unter Tränen. »Ich hab Viktor angefleht, es nicht zu tun. Dass er unseren Sohn nicht an diesen Gewürzhändler verkauft wie eine Ladung frischer Senfkörner. Aber er hat nicht auf mich gehört. Er hat gemeint, dass Fabian etwas dafür tun müsse, wenn er irgendwann einmal unser Vermögen erben will. Und Fabians Beitrag ist eben, jemanden zu heiraten, der in Viktors Pläne passt.« Die Mutter ließ erschöpft die Schultern hängen. Das Versagen, dass sie ihren Sohn nicht vor dieser Heirat hatte beschützen können und dies dann auch noch zugeben musste, kostete sie ihre ganze Kraft.
»Was hat Marion zu diesem Plan gesagt?«, wollte Stern wissen.
»Sie war nicht begeistert«, erwiderte Fabian. »Und sie hat mich dafür gehasst.«
»Und ich hasse deswegen meinen Mann. Soll er doch verrecken!« Stefanie Hallsteiner stand auf und schüttete das Wasser in den Topf einer Zimmerpflanze, die Schmerztabletten steckte sie in die Schublade einer Kommode. Das war ihre kleine Revolte, wenngleich sich Stern sicher war, dass sie ihrem Mann wieder gehorchen würde, sobald dieser zur Tür hereinmarschierte.
»Wie war das gestern Abend? An was können Sie sich erinnern und wann haben Sie Marion das letzte Mal gesehen?«, machte Stern mit der Befragung des Bräutigams weiter.
»Nach dem Brautstehlen. Wir haben zusammen getanzt, und Marion war eigentlich nicht so schlecht drauf. Sie hat sogar gemeint, dass das, was ich zu ihr gesagt