»Marion hat gestern mit vielen Männern geflirtet«, meldete sich Fabians Schwester Christine zu Wort. »Es war offensichtlich, dass sie nicht mit dir verheiratet sein wollte.« Bislang hatte die junge Frau geschwiegen und dem Gespräch aufmerksam gelauscht. Stern konnte nicht einschätzen, auf welcher Seite sie stand. Auf Marions? Oder auf der ihrer Familie, die ja erst das Leid über Marion gebracht hatte? Stern würde es herausfinden, ebenso, warum Marion und Fabian der Heirat überhaupt zugestimmt hatten.
»Ich hab’s gesehen«, antwortete Fabian, den Blick zu Boden gerichtet, als schämte er sich für das Verhalten seiner nun toten Ehefrau.
»Die Leute werden sich über uns das Maul zerreißen«, redete Christine weiter. Sie hatte die Beine angezogen und hielt einen kuscheligen Fell-Polster von der Couch dicht an ihren Bauch.
Stern beobachtete sie und ihm fiel auf, dass sie lächelte. »Und das freut Sie?«
»Das ist voll cool!«, sagte Christine. »Endlich kriegt Papa das, was er verdient. Sonst kuschen immer alle vor ihm. Ich finde es übrigens toll, dass Sie ihn rausgeworfen haben. Sie haben echt Eier, Mann! Aber Sie wissen, was jetzt auf Sie zukommt?«
»Ich kann es mir vorstellen …«
»Verdoppeln Sie Ihre Vorstellung! Er wird Ihnen den Arsch aufreißen, bis Sie vor ihm in die Knie gehen, genau wie wir.« Christine deutete in die Runde und drückte mit der anderen Hand den Fell-Polster noch fester an sich, als könnte der sie vor den zukünftigen Angriffen des Vaters schützen.
»Das wäre ja noch schöner«, murmelte Stern. »Also, Sie haben Marion das letzte Mal nach dem Brautstehlen beim Tanzen gesehen. Wie spät war es da?«, richtete er die nächste Frage an den jungen Witwer.
»So gegen halb eins, würde ich meinen.« Fabian versuchte sich zu erinnern. »Ich hatte so viel intus, dass ich nicht länger tanzen konnte. Beim Brautstehlen haben wir Schnaps getrunken, immer wieder. Die Wirkung setzte aber erst später ein, und danach … Ich glaub, ich hab auf Marions Kleid gekotzt.«
Christine kicherte. »Ja, das hast du. Und das hat sie wirklich sauer gemacht!«
»Dann weiß ich nichts mehr. Ich hab auch nicht den blassesten Schimmer, wie ich nach Hause gekommen bin.«
»Mit uns«, sagte die Mutter, die sich mittlerweile gefangen hatte. Die Tränen waren versiegt, die Nase geputzt, und das verschmierte Make-up unter den Augen mit einem Taschentuch weggewischt. Sie saß aufrecht auf der Ledercouch und massierte ihre Hände. »Viktor hat dich aufgelesen und von ein paar kräftigen Männern auf die Rücksitzbank seines Wagens verfrachten lassen. Die Reinigung wird deinen Vater eine Stange Geld kosten.«
»Ja, du hast nämlich auch in Papas BMW gekotzt«, sagte Christine mit sichtlicher Genugtuung.
»Wann haben Sie Marion das letzte Mal gesehen?«, wollte Stern von Frau Hallsteiner wissen.
»Ich hab Marion gefragt, ob sie mit uns nach Hause fahren will, aber sie hat gemeint, da mit Fabian heute ohnehin nichts mehr ginge, weil der so viel getrunken habe, könne sie noch bleiben und ein wenig Spaß haben. Ich hab ihr den Spaß gegönnt.« Stefanie Hallsteiner betrachtete den Chefinspektor unsicher. Sie schien sich zu fragen, ob der verstünde, was sie damit ausdrücken wollte. »Ich hatte irgendwie Mitleid mit ihr, obwohl mir nicht gefallen hat, wie sie sich bei der Hochzeit aufgeführt und unsere Familie bloßgestellt hat«, erklärte sie.
»Das hört sich an, als wären Sie selbst nicht glücklich in Ihrer Ehe«, schloss Stern aus ihrer Antwort.
»Ich habe zwei wundervolle Kinder. Das ist mehr, als ich mir jemals zu erträumen gewagt habe.« Sie lächelte Fabian und Christine an. »Doch gegen meinen Mann habe ich keine Chance. Der bekommt immer, was er will. Ohne Rücksicht auf andere. Ohne Rücksicht auf mich.« Ihre Stimme war leise geworden, und während sie das sagte, hatte sie wieder begonnen, ihre Hände zu massieren.
»Und wann haben Sie Marion das letzte Mal gesehen?«, stellte Stern erneut diese Frage, nun an Fabians Schwester gerichtet.
»Als sie mit dem Sänger der Band gevögelt hat«, antwortete Christine.
5. KAPITEL
Die Gruppeninspektoren Hermann Kolanski und Edwin Mirscher fuhren zu den Eltern der Braut. Durch den Umstand, dass Stern und Grünbrecht neben dem Bräutigam auch dessen Eltern befragten, fiel Kolanski und Mirscher nun doch eine der schwierigsten Aufgaben der Mordermittlung zu: den Eltern sagen zu müssen, dass ihr Kind tot war.
»Wenn ich mir denke, dass Mara und ich auch bald heiraten, wird mir ganz flau im Magen«, ließ Mirscher während der Fahrt seinen Kollegen wissen.
»Du bekommst doch nicht etwa kalte Füße?«, fragte Kolanski überrascht.
»Ich? Nein! Im Gegenteil! Ich kann es kaum erwarten, dass Mara meine Frau wird.« Mirscher strahlte bei dem Gedanken, was ihn wie einen kleinen Jungen aussehen ließ. Er fuhr sich mit der Hand mehrmals durch seine Stoppelhaare und lachte. An die kurze Pracht musste er sich erst gewöhnen, genau wie Kolanski, der seinem Kollegen, seit dieser eine neue Frisur hatte, bei jeder passenden Gelegenheit wie einem Lausbuben durch die Haare rubbelte. Die Neckerei würde Kolanski vermissen, wenn Mirscher nicht mehr bei der Mordgruppe, sondern beim Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung arbeitete. Schon bald sollte der Wechsel vollzogen werden. Wahrscheinlich war dies Mirschers letzter Fall im Team, was Kolanski betrübte. Er mochte den Kollegen, arbeitete gerne mit ihm zusammen. Doch irgendwie vermieden sie es alle, dieses Thema anzusprechen. Es ließ sie sentimental werden, obwohl der eigentliche Grund für Mirschers Wechsel ein durchaus schöner war.
»Wie geht’s mit den Hochzeitsvorbereitungen voran?«, wollte Kolanski wissen. »Recht viel Zeit habt ihr ja nicht mehr, der 21. Juni ist bald da.«
»Das Aufgebot ist bestellt, der Priester informiert, und die Familie und die engsten Freunde sind eingeladen.«
»Was? Keine Tante Pepi und kein Onkel Horst?« Kolanski wusste, dass die Gästeliste bei Maras und Edwins Hochzeit ein besonders heikles Thema war. Mirscher wollte eine große Hochzeit – Kolanski vermutete allerdings, dass hinter diesem Wunsch wohl eher Mirschers Mutter steckte –, aber Grünbrecht zog es vor, im kleinen Kreis zu heiraten. Die selbstbewusste Gruppeninspektorin hatte sich durchgesetzt. Kolanski schmunzelte.
»Du weißt ja, wie überzeugend Mara sein kann«, erwiderte Mirscher.
»Und deine Mutter? Was sagt sie dazu?«
»Sie ist nicht begeistert, wie du dir vorstellen kannst. Sie hat gemeint, dass ich das meinen Tanten und Onkeln selber erklären muss. Sie will damit nichts zu tun haben.« Mirscher ahmte die Stimme seiner Mutter nach.
Kolanski lachte.
»Das ist nicht lustig!«, fuhr Mirscher ihn an. »Du kennst Tante Pepi nicht.«
»Nein, da hast du recht. Und so, wie du von ihr sprichst, will ich sie auch nicht kennenlernen«, erwiderte Kolanski immer noch amüsiert.
Nach weiteren zehn Minuten erreichten sie das im Zentrum von Pregarten liegende Haus der Balduins. Die Gruppeninspektoren stiegen aus und sahen sich um. Der Stadtplatz mit der etwa fünf Meter hohen Mariensäule wirkte wie ausgestorben, nur ein paar Jugendliche saßen in dem Grünflächenoval in der Sonne und blickten auf die Displays ihrer Handys, anstatt sich zu unterhalten. Ein mittlerweile gewohntes Bild, nicht nur in dieser Altersgruppe.
»Sind wir hier richtig?«, fragte Kolanski, der die Adresse prüfte. Ein Großteil der Pregartner Bevölkerung befand sich zu dieser Zeit wahrscheinlich in der Stadtpfarrkirche St. Anna zur heiligen Messe. Immerhin war Sonntag, der Tag des Herrn. Wie zur Bestätigung läuteten die Glocken der Kirche.
»Ja, sind wir«, war sich Mirscher nach einem Blick auf sein Smartphone sicher und schritt auf das Stadthaus zu. Auf dem Türschild stand kein Name, dennoch betätigte er die Klingel.
Nach einigen Augenblicken knackte