»Nix, liebe Dörte, das Wort Sadist weise ich weit von mir. Du hast Kleid und Gürtel ausgesucht.«
»Bist du eigentlich immer im Dienst?«
»Du meinst, weil ich meinen scharfen Blick nicht an der Garderobe abgebe?«
»Himmel hilf!«, stöhnte sie laut auf; am Nebentisch drehte sich ein Paar beunruhigt um. »Was zum Teufel willst du eigentlich von mir?«
»Was soll ein Mann von einer schönen Frau schon wollen?«
»Im Moment stelle ich die Fragen, Angeklagter.«
»Aber ich sitze auf dem Zeugenstuhl, Frau Staatsanwältin.«
»Nicht mehr lange.«
»Richtig. Ich sitze nicht mehr lange still. Wenn du dich nicht entscheiden kannst, laufe ich zum Bahnhof. Da gibt’s fantastische Reibekuchen, so richtig schön kross in Fett gebraten ...«
»Kein Wort weiter!«
Nach dem Vorgeplänkel bestellte sie und Rogge amüsierte sich über ihre Zungenspitze, die voller Vorfreude über ihre Lippen huschte. Dörte liebte gute Restaurants und aufmerksame Bedienung, viele kleine Gänge und französische Rotweine, und die innere Wärme stimmte sie heiter, so vergnügt, dass sie beim Kaffee und Cognac seine Attentatspläne auf die geheiligten Prinzipien der Staatsanwaltschaft gelassen, sogar mit einer Spur Wohlwollen ertrug,
»Ich versuche, Jens, aber große Hoffnungen kann ich dir nicht machen.«
»Simon verschweigt mir einiges ... Ja, kein Einwand, du hast mich vor ihm gewarnt, aber wenn er angewiesen worden ist, Grem von dem Fall zurückzuziehen, muss es einer deiner Kollegen angeordnet haben.«
»Nein, muss nicht. Es kann auch über euren Präsidenten gelaufen sein.«
»Ja, möglich. Aber nicht sehr wahrscheinlich. Denn das würde heißen, dass sich irgendjemand - eine Behörde, ein Amt - außerhalb unseres Gerichtsbezirks für den Fall Inge Weber interessiert.«
»Kommt dir das ganz ausgeschlossen vor?«
Dass Dörte mit ihren blind gefeuerten Schüssen so oft ins Schwarze treffen musste! Die Logik sagte ihm, dass es unwahrscheinlich war, aber sein Gefühl piesackte ihn, eben das zu vermuten. Wer sollte denn diese Typen geschickt haben, die ihn verfolgt hatten, die er beinahe vor Schönborns Villa gestellt hatte - aber eben nur beinahe? Wer hatte ihn in der Weber-Wohnung so fachmännisch außer Gefecht gesetzt?
Sein unglückliches Gesicht verriet ihn, Dörte lachte auf und streichelte seine Hand: »Jens, ich hör mich im Amt um, das ist versprochen, aber zu mehr kannst du mich nicht überreden.«
XV.
»Ja?«
»Hier ist Kuckuck. Wir haben seit zweiundsiebzig Stunden keine Nester mehr gefunden. Sollen wir weitermachen?«
Seit drei Tagen keinen Kontakt mehr. Das hieß, die anderen hatten sich zurückgezogen. Höchstwahrscheinlich.
»Wie viele brütende Paare waren es zum Schluss?«, erkundigte Jockel Pertz sich vorsichtshalber,
»Drei.«
Sechs Leute. Ein teurer Spaß, um die 50 Mille pro Monat. Mal zwölf, rund eine halbe Million. Das ging ins Geld. Jeder vernünftige Kaufmann setzte sich ein Limit und eine halbe Million klang nach einem kalkulierbaren Einsatz, einer Summe, die man aufwenden konnte, vielleicht sogar riskieren musste.
Sie hatte ein Taschentuch herausgeholt und wischte Pertz den Lippenstift ab. Dass sie schweigen musste, wenn er diesen haften Blick bekam und seine Backenmuskeln spielten, hatte sie gelernt. Und noch einiges mehr, von dem er hoffentlich nichts ahnte. Deswegen versuchte sie gar nicht erst zu lauschen, sondern glitt von seinem Schoß und tappte lautlos zur Tür, wo sie wartete, die Hand auf der Klinke.
»Okay, wir machen Schluss.«
»Verstanden, Ende.«
Pertz legte auf und sie huschte durch die Tür.
Nach dem Telefongespräch hatte Pertz den Apparat umgestellt und sein Arbeitszimmer abgeschlossen, um ungestört Akten zu lesen. Wie immer bei solchen Aktionen war viel Papier zusammengekommen, aber die Aussagekraft verhielt sich umgekehrt proportional zur Menge. Deshalb hatte er sich angewöhnt, bei der ersten Lektüre die wirklich wichtigen Passagen rot zu unterstreichen, und mit diesen Stellen wäre er in zwanzig Minuten fertig gewesen.
Für die Existenz dieser Liga gab es nur drei dürftige, halbwegs sichere Beweise: die Auswertung der mitgeschnittenen Telefongespräche, die Berichte ihres V-Mannes, die Aussage eines Mitarbeiters, der zufällig Zeuge einer Auseinandersetzung in einem Drei-Sterne-Restaurant geworden war. Die V-Mann-Rapporte legte er vorerst zur Seite. Nach den Transkripten der vom BND aufgezeichneten Telefongespräche existierte eine Gruppe, ein loser Zirkel, der sich den Namen Liga gegeben hatte, aber abgesehen von der Tatsache, dass seine Mitglieder etwas mit Import und Export, Wirtschaft und Finanzen, Industrie und Forschung zu tun hatten, waren Größe, Organisation und Zielsetzung völlig vage geblieben. Für die sieben namentlich identifizierten Mitglieder hatten sie eine vergleichende Recherche nach Gemeinsamkeiten angestellt: Schule, Universität, studentische Verbindungen, Ausbildung, Sportclubs, Hobbys, Vereine. Das Ergebnis fiel negativ aus. Auch die so genannten Lebenskreise überschnitten sich nicht so, dass wie bei der Mengenlehre eine allen gemeinsame Schnittmenge übrig blieb.
Genauso unergiebig war die Literaturrecherche ausgefallen. Aus den unendlichen Mengen von Artikeln, Broschüren, Flugblättern, Zirkularen, die mit Fleiß und hohem Aufwand gesammelt wurden, ließ sich keine Organisation extrahieren. Das musste nichts zu bedeuten haben, vorsichtige Menschen mieden schriftliche Aussagen, erst recht, wenn sie zwar gemeinsame Interessen verfolgten, aber keine einheitliche ideologische Basis besaßen. Ihr Ohrenzeuge hatte, wenn man kritisch las, nur einen wichtigen Satz beigesteuert, den erregten Vorwurf eines Unternehmers: »Wenn ich gewusst hätte, auf was ich mich da einlasse, hätte ich nie einen Finger für diese verdammte Liga gerührt.«
Den Sprecher hatten sie ausfindig gemacht und nach allen Regeln der Kunst durchleuchtet. Er hatte Schulden, er betrog das Finanzamt und seine Frau, er zahlte Schmiergelder an das Wasserwirtschaftsamt. Alles in allem hässliche Flecken auf der weißen Weste, aber weder größer noch schwärzer als bei vielen anderen auch, die nicht unter dem Verdacht standen, einer verfassungsfeindlichen Organisation anzugehören und gezielt gegen das Waffenkontroll- und das Außenwirtschaftsgesetz zu verstoßen.
Blieb also nur der V-Mann. Wenn man seinen Berichten Vertrauen schenken konnte, hatte er sich unter Berufung auf die Liga in einen Kreis eingeschlichen, dem tatsächlich ungesetzliche Aktivitäten nachzuweisen war, wobei offen blieb, welches Ziel die Mitglieder wirklich verfolgten: Füllten sie sich nur die eigenen Taschen oder finanzierten sie eine politische Idee?
Jockel Pertz lehnte sich zurück. Mehr als einmal hatte er sich den ketzerischen Gedanken verboten: Gab es die Liga überhaupt? Die Tonbänder hatte er nie gehört, sondern nur die Abschriften gelesen. Mit dem Mitarbeiter war er nie zusammengetroffen, um sich selbst einen Eindruck von seiner Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Blieb der V-Mann, dessen Tipps lange Zeit zu etwa neunzig Prozent gestimmt hatten - in diesem Gewerbe eine ungewöhnlich hohe Trefferrate. Vielleicht zu hoch, um nicht vorsichtig zu werden. Der Trick war beliebt: Ein Doppelagent festigte seinen Ruf durch anfänglich hervorragende Informationen; im Laufe der Zeit nahm die Zahl der richtigen Informationen ab, die der gezielten Falschinformationen zu. Was hier allerdings nicht zutraf. Die Zahl der Informationen war bei konstanter Trefferquote kontinuierlich gesunken. Zu dieser Aussage hatte Pertz das Trio Ellwein, Gönter und Weinert regelrecht zwingen müssen und selbst jetzt war Pertz sich nicht sicher, ob sie ihn nicht belogen hatten, und zwar aus einem allen gemeinsamen, wenn auch voreinander verschwiegenen Motiv: Sie ahnten das Ende der Aktion und hatten die Kooperation in Gedanken bereits aufgekündigt, behielten deshalb all jene Erkenntnisse für sich, die in Zukunft für ihre »Mutter«-Dienststellen wichtig werden konnten.
Wie