Claire seufzte. »Ok, komm rein.« Sie gab ihm den Weg frei.
Lilu schlich wie ein getretener Hund ins Wohnzimmer und kauerte mit runterhängenden Schultern auf der Couch. Den Rosenstrauch legte er neben Claires Tasche auf den Beistelltisch. »Ich habe nie gewusst, wie sehr Liebe schmerzen kann.« Seine Stimme brach. »Was für ein Arsch ich doch gewesen bin. Ich wollte dir echt nicht weh tun. Bisher habe ich mir da nie wirklich Gedanken drum gemacht. Das waren halt immer kurze Momente der Leidenschaft gewesen und dann war es schon wieder vorbei. Da habe ich nie etwas empfunden. Nicht so wie bei dir.« Lilu bemerkte, wie mit jedem Wort Claire bleicher wurde. Seine Kehle fühlte sich mit einem Mal trocken wie Saharastaub an und er verstummte. Das ist wohl der falsche Ansatz.
»Bist du einer dieser PickUp-Artists, für die es einen Sport darstellt, Frauen zu verführen?«
»Verführen? Nein, ich komme in der Nacht, wenn sie schlafen, und liege auf ihnen.«
Claire schluckte. »Du tust was?«
Scheiße, wieder falsch. Das hier lief nicht so wie erwartet. »Nein, du missverstehst mich. Ich mache das nur, weil das meine Aufgabe ist. So war es auch, als ich mich in deine Wohnung geschlichen habe. Aber dann habe ich dich gesehen und plötzlich war da dieses Ziehen hier.« Lilu deutete auf sein Herz, ließ die Hand aber sinken, als er Claire sah.
Drei tiefe Falten hatten sich zwischen ihren Brauen gebildet und ihre Augen waren zu schmalen Schlitzen verengt. »Du warst schon vor unserem ersten Treffen hier bei mir?« Ihre Hand näherte sich dem Beistelltisch.
»Eigentlich insgesamt vierzehn Mal. Aber ich habe nie auf dir gelegen«, sprudelte es aus Lilu. Verdammt. Warum habe ich das gesagt? Selbst in seinen Ohren hörte sich das unheimlich an.
Claire griff in die Tasche, riss etwas Rohrförmiges daraus hervor und sprühte den gesamten Inhalt in Lilus Gesicht. Der Geruch erinnerte ihn an den beißenden Odem des stygischen Sumpfes im fünften Kreis der Hölle – ein Hauch von Heimat.
Besorgt sah Lilu, wie Claire anfing, nach Luft zu schnappen. Jedem Japsen folgte ein Husten. Ihr Antlitz nahm die Farbe einer überreifen Tomate an. Was hat sie bloß? Warum hat sie mich mit Parfüm eingesprüht? Ob sie sich verschluckt hat? »Soll ich dir ein Glas Wasser holen?«
Statt einer Antwort drang aus ihrer Kehle ein Krächzen, gleich einer rostigen Türangel. Sie deutete auf das Fenster.
Lilu stand auf und ließ frische Luft in den Raum. Er blickte zu Claire und stutzte. Warum weint sie? Warum sind ihre Augen derart gerötet? Vielleicht hat sie erkannt, was ich für sie empfinde. Es war Zeit nachzulegen. »Weißt du, ich bringe normalerweise den Frauen erotische Träume und sauge ihnen ihre Lebensenergie aus. Aber bei dir habe ich das Gefühl, dass du mir meine Energie raubst, wenn ich fern von dir bin.« Lilu ging zur Küche. »Ist schon seltsam, wie sich plötzlich die Sicht auf etwas ändert, wenn man selbst davon betroffen ist.«
Mit einem Wasserglas in der Hand kehrte er zurück ins Wohnzimmer. Claire stand am Fenster, lehnte sich hinaus in die kühle Abendbrise und rieb sich die tränenden Augen. »Du saugst Frauen ihre Energie aus? Bist du pervers?«, krächzte sie.
Lilu lächelte. »Nein, Incubus.«
Oh Gott, das ist ein Spinner. Gestern Abend im ›Coffee Fellows‹ ist er so süß gewesen und jetzt stellt sich heraus, dass er nicht mehr alle Tassen im Schrank hat. »Du bist also ein Nachtdämon? Ich dachte, die sehen anders aus.«
Lilu zuckte mit den Schultern. »Du meinst so?« Er breitete zwei schwarze Fledermausschwingen aus. Seine Augen schimmerten plötzlich in allen Farben des Regenbogens.
Das Wasserglas entglitt Claires Händen und zerbarst mit einem hellen Klirren auf dem Boden. Sie schnappte wie ein an Land geworfener Karpfen nach Luft.
»Ich kann meine Gestalt beliebig verändern und sie den Wünschen meines Gegenübers anpassen. So wusste ich auch, dass du diesen Schauspieler attraktiv findest. Doch funktioniert das bei mir als Nachtdämon nur bis zum Sonnenaufgang. Daher bin ich heute Morgen auch verschwunden. Ich wollte nicht, dass du mich so neben dir liegen siehst. Seit der Abend angebrochen ist, kann ich aber wieder all das sein, was du dir wünschst.«
An der Tür klingelte es. Noch immer spürte Claire das Brennen des Reizgases in ihrer Kehle. Ihr Blick irrlichterte zwischen dem Eingang und Lilu hin und her.
Dieser lächelte. »Ich kümmere mich darum. Komm du erstmal wieder zu Atem.« Lilu hielt, ohne zu zögern, auf den Wohnungseingang zu.
Claire wollte schreien. Doch ihre Brust fühlte sich an, als habe man sie in einen Schraubstock gespannt. Da schritt ein geflügelter Dämon mitten durch ihre Wohnung. Gleich hatte er die Tür erreicht.
Mit weit aufgerissenen Augen beobachtete sie, wie Lilu die Eingangstür öffnete. Lautes Kinderkreischen erscholl.
»Wow, das ist ja ein cooles Kostüm.« »Hey, die Schwingen sehen total echt aus.« »Quatsch, du Baby, man sieht voll, dass die aus Latex sind.« Mehrere Kinder plapperten durcheinander.
»Wollt ihr ein paar Süßigkeiten? Nehmt euch was.« Lilus Stimme war sanft wie eine Daunenfeder.
»Danke.« Die Kinder johlten vor Freude.
Claire wurde schwindlig. Alles um sie herum schien sich zu drehen. Da stand ein Nachtdämon mit Fledermausschwingen in ihrem Treppenhaus und schenkte Kindern Süßigkeiten.
Sie schleppte sich zur Couch, ließ sich darauf nieder und runzelte die Stirn, als sie die leere Dose Pfefferspray auf dem Boden sah. Wahrscheinlich ist der solche Gerüche gewohnt. Eine Sprühflasche mit Weihwasser wäre wohl effektiver und für mich weniger schmerzvoll gewesen.
Draußen alberte Lilu mit den Kindern herum. Er ließ sie seine scheinbare Verkleidung bewundern, sprang mit ihnen über den Flur und knurrte. Die Kleinen antworteten mit schaurigem Geheul. »Ein solch markerschütterndes Gekreisch habe ich selbst im vierten Kreis der Hölle nie vernommen. Jetzt aber ab mit euch«, lachte er. »Ich muss wieder zurück zu meiner Liebsten.«
Die Kleinen verabschiedeten sich überschwänglich und wollten kaum von ihm lassen. Minuten vergingen, bis sie endlich im Treppenhaus verschwanden.
Als Lilu zu ihr zurückkehrte, ließ er sich vor ihr auf dem Boden nieder und umfasste ihre Hand. »Ich wollte dich wirklich nicht verletzen. Wenn du willst, werde ich gehen und dich für immer in Ruhe lassen.«
»Du würdest echt verschwinden, wenn ich dich darum bitte?«
»Obwohl es mich innerlich zerreißen würde. Aber wie schon ›Nazareth‹ sang – ›Love hurts, Love scars.‹«
Claire atmete tief ein. »Wie soll unser Zusammenleben überhaupt klappen? Du bist ein Dämon! Was soll ich meinen Bekannten sagen, warum mein Freund nur nachts anzutreffen ist? Oder wie sollte ich ihnen erklären, dass er tagsüber Flügel hat?«
»Dein Freund?« Lilu lächelte. »Wir könnten das bei einem ›Dark Forest Kiss‹ besprechen.« Gewandt wie eine Katze stand er auf und zwinkerte ihr zu. »Bereit für ein zweites Date?«
»Aber du bist noch immer in deiner Dämonengestalt.«
Sein Kuss brachte sie zum Verstummen. Claire fühlte ein warmes Prickeln in ihrem Bauch. Da war wieder dieses schelmische Grinsen auf seinen Lippen, das ihr Herz schneller schlagen ließ. Ein sanfter Zug seiner Hand und sie stand auf.
»Das macht nichts. Heute ist Halloween«, sagte er und zwinkerte ihr zu.
Lilu lächelte, als sich ihre Hand um die seine schloss. Es war, als ob Elmsfeuer seinen Arm emporkroch. Das hier fühlte sich richtig an. Er genoss es, mit ihr an der Seite durch Trier zu wandern. Vor ihm entfaltete sich eine Zukunft voller Möglichkeiten, während