Maja ging zum Küchenfenster und blickte hinaus. »Nichts zu sehen. Aber immerhin, wenn er dann endlich da ist, müssen wir nicht mehr lange warten. Patrick kocht ja seine Menus immer im Rekordtempo.«
Lea kam auch hinzu. »Das ist auch keine Kunst, so schnell zu kochen, wenn das Repertoire nur die allereinfachsten Gerichte umfasst: Spaghetti mit Fertigsauce, Pellkartoffeln mit Käse, Fischstäbchen mit Reis und Erbsen aus der Dose.«
»Du hast die Büchsenravioli vergessen«, spöttelte Maja. »Und vor allem den Salat, den er schon gewaschen und geschnitten einkauft und dann mit der Fertigsauce anmacht. Und das Eis zum Nachtisch, das er nur aus dem Tiefkühlfach holen kann.«
Die jungen Frauen lachten schallend. »Es ist eben nicht jeder gleich begabt«, fuhr Maja fort, »und eigentlich können wir froh sein, dass er überhaupt mithilft und sogar ab und zu den Staubsauger schwingt. Das ist auch heute noch nicht bei allen Männern eine Selbstverständlichkeit.«
Lea blickte ihre Kollegin etwas zerknirscht an. »So, hast du schon so viel Erfahrung im Zusammenleben mit Männern?«
»Sei doch nicht gleich eingeschnappt«, konterte Maja, »das eine Jahr mit Pedro, als wir zusammenwohnten, hat mir vorerst gereicht. Ich plädiere seither für getrennte Wohnungen.«
»Und wenn du mal verheiratet bist?«
»Oh, darüber mache ich mir jetzt noch keine Gedanken. Ich weiss doch nicht, ob es je soweit kommt. Und bei dir, Lea?«
»Bei mir? Oh, ich habe keine Ahnung. Falls mich überhaupt je einer will…«
Maja lachte auf und strich dann Lea sanft über die Haare. »Nun sei doch nicht so pessimistisch. Darf ich dir mal was ganz im Vertrauen sagen? Weisst du, manchmal habe ich den Verdacht, du seist eifersüchtig, wenn ich ab und zu mit Patrick herumalbere.«
Lea hatte sich abgewandt und schaute zum Fenster hinaus.
»Aber da steckt nichts dahinter«, fuhr Maja fort, »das garantiere ich dir, Lea. Patrick ist einfach ein patenter Kerl zum Plaudern, aber als Mann ist er überhaupt nicht mein Typ. Ganz ehrlich!«
Maja fasste Lea bei den Schultern, drehte sie herum und sah ihr direkt in die Augen. Zwei grosse Tränen quollen Lea aus den Augenwinkeln und liefen dem Nasenflügel entlang hinunter. »Ach, Maja«, flüsterte sie und umarmte ihre Kollegin mit einer ungeahnten Heftigkeit.
Vom Gang her hörte man die Türe ins Schloss fallen, und fünf Sekunden später stellte Patrick eine grosse Einkaufstüte auf den Küchentisch.
»Guten Abend, meine Damen. Sorry, ich bin etwas spät dran. Dafür koche ich jetzt wie der Blitz.«
»Das dachten wir uns schon«, erwiderte Maja und gab sich Mühe, nicht allzu kokett zu lächeln.
»Jetzt aber raus aus der Küche«, kommandierte Patrick, »in zwanzig Minuten können wir essen.«
»Das übertrifft wahrscheinlich noch den Rekord von letzter Woche…«, murmelte Maja im Hinausgehen. Dann drückte sie Lea die Hand. »Alles klar, meine Liebe?« Lea nickte stumm.
Vor ihrer Zimmertüre drehte sich Maja nochmal um. »Ehm, Du, Lea, ich habe Probleme, die heute gesammelten Carex-Arten zu bestimmen. Was meinst du, ehm, könntest du mir nicht vielleicht helfen? Ich wäre dir so dankbar.« »Oh, aber bei den Carex bin ich auch keine grosse Heldin.« »Zusammen schaffen wir es, also komm!«
Maja breitete die heute gesammelten Gräser auf ihrem Schreibtisch aus und legte die Bestimmungsbücher bereit. Dann schaltete sie die Binokularlupe ein, ein sehr nützliches Instrument, um kleine Details an Pflanzen zu studieren. Es sieht aus wie ein Mikroskop, vergrössert aber weniger stark, deshalb ist die Tiefenschärfe gross und man kann eine Pflanze direkt, ohne weitere Präparation, studieren. Man blickt mit beiden Augen in die Okulare hinein und hat die Hände frei, um mit zwei Pinzetten die Pflanze zu zerpflücken.
»Welchen Bestimmungsschlüssel nimmst du lieber für Carex, Binz oder Hess/Landolt?«, fragte Maja.
Lea überlegte kurz. »Am besten benützen wir beide, dann sind wir sicherer. Bei welchen Pflanzen bist du denn gestrandet?«
Maja nahm eines der Sauergräser, eine sogenannte Segge, in die Hand und legte den oberen Teil mit den Fruchtständen unter die Binokularlupe.
»Siehst du, bei der bin ich einfach mit dem Schlüssel nicht weitergekommen.«
Lea setzte sich, nahm zwei Pinzetten in die Hände und schaute durch die Okulare. »Aha, die wenigen, kleinen Ährchen stehen dicht beieinander, die Blätter sind schmal und steif, der Stängel ist nicht rau. Da kommen nicht mehr viele Arten in Frage.«
Lea schaute ins Buch, dann wieder durch die Lupe, dann nochmals ins Buch und erneut durch die Lupe. »So, jetzt ist alles klar. Das ist eindeutig Carex lachenalii, die Schneehuhn-Segge.«
»Du bist einfach genial«, sagte Maja und drückte Lea einen Kuss auf die Stirn, »vielen Dank!«
»Essen ist fertig«, klang es laut aus der Küche.
»Danke, wir kommen«, rief Maja zurück und erhob sich. »Was es wohl heute gibt?« Die beiden Frauen betraten die Küche.
»Ich habe ein neues Menu erfunden«, sagte Patrick mit Stolz in der Stimme und stellte eine Pfanne auf den Tisch. »Polenta mit viel Käse und einem Spiegelei, dazu gemischter Salat. Bedient euch schon mit dem Mais, dann gebe ich euch das Ei darüber.« Er holte die Bratpfanne vom Herd. »Immerhin zu zwei Drittel erfolgreich aufgeschlagen«, meinte er grinsend und servierte die zwei schön gebliebenen Spiegeleier seien Kolleginnen, während er selber das dritte mit dem verlaufenen Eigelb nahm.
»Schmeckt sehr gut«, lobte Maja und streute noch etwas Pfeffer auf ihr Ei, während Lea wortlos kaute und Patrick beim Essen zusah.
»Wer möchte noch ein Ei?«, fragte Patrick, als sein Teller leer war. »Komm, ich zeige dir, wie es geht«, erwiderte Lea sofort, erhob sich und führte Patrick vor, wie man zwei Eier ganz in die Bratpfanne brachte. Beim dritten Ei liess sie ihn selber machen, und… es klappte!
Nach dem Essen gingen Maja und Lea wieder an die Arbeit. Eineinhalb Stunden später hatten sie alle heute gesammelten Sauergräser sicher bestimmt, und Maja bedankte sich nochmals überschwänglich. Lea ging ins gemeinsame Badezimmer, um sich die Zähne zu putzen und liess sich dann, ziemlich erschöpft, auf ihr Bett fallen. Ist es wirklich wahr, fragte sie sich, dass Maja kein Interesse an Patrick hat? Eigentlich glaube ich ihr alles, aber trotzdem… Ach, es ist so schwierig, die eigenen Gefühle zu kontrollieren, sie kommen und gehen, wie sie wollen… Immerhin, ein wenig erleichtert bin ich schon… Aber eben, was Patrick wirklich für mich fühlt, weiss ich immer noch nicht! Ich müsste doch unbedingt mit ihm reden. Aber ich traue mich einfach nicht! Natürlich, liebe Lea, es ist die Angst, zurückgewiesen zu werden. Aber irgendwann musst du es einfach wagen! Leas Gedanken bewegten sich immer im Kreis herum, und schliesslich war sie eingeschlafen.
Bruno und Barbara Fuchs hatten im Restaurant Täschhorn zu Abend gegessen. Barbara nahm den letzten Schluck aus ihrer Kaffeetasse und lächelte ihrem Mann zu, der sich zum Abschluss des Abends einen Tessiner Grappa genehmigte.
»Sag mal, Bruno, weisst du unterdessen mehr von dem Toten, den wir gestern gefunden haben?«
Bruno wischte sich den Mund mit seiner Serviette ab und gähnte zufrieden. »Ja, es hat sich einiges geklärt. Ich habe dir ja gestern von meinem Verdacht erzählt, der Mann sei nicht durch den Sturz gestorben, sondern durch einen Schlag auf den Hinterkopf. Genau dies hat der Gerichtsmediziner bestätigt. Es handelt es sich demnach eindeutig um ein Tötungsdelikt.«
»Oh je! Meinst du, wir können etwas zu seiner Auflösung beitragen?«
»Das wäre schön, aber ich habe keine Ahnung, wie wir das anpacken könnten.«
»Sollten wir vielleicht nochmals durch die Gornerschlucht laufen und nach Spuren suchen?«
»Das macht keinen