Monikas Reigen. Urs W. Käser. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Urs W. Käser
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783967525823
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ruhige Wohnquartier für sich entdeckt, und immer mehr Reiheneinfamilienhäuser und sogar Mehrfamilienhäuser ersetzten die grossen Villen. Die Sarasins waren eine der letzten Familien, die immer noch im Gellert ihre Villa bewohnten. Nicht dass etwa die anderen sogenannten besseren Familien verarmt wären! Nein, die Vischers, Staehelins, Merians und Burckhardts hatten sich für eine andere Lösung entschieden: Sie hatten ihre riesigen Grundstücke im Gellert als begehrtes Bauland verkauft und sich mit dem Millionengewinn ein neues, ebenso standesgemässes Domizil erworben, etwas weiter weg vom Stadtzentrum, vorzugsweise auf dem Bruderholz oder in Riehen.

      Der das Wohnhaus der Sarasins umgebende Park wurde gegen Süden hin durch drei mächtige, alte Buchen dominiert, die jetzt im Sommer angenehmen Schatten spendeten. Auf der Nordseite streckten sich vier Birken schlank in die Höhe, auf der Westseite stand eine knorrige alte Eiche. Der Rest des Gartens war ein Mosaik aus Rasen, Blumenrabatten, Wildblumenwiese und einigen niederen Sträuchern. Der hohe metallene Zaun, der das Grundstück umgab, war von aussen kaum zu sehen, da er durch eine dichte Hecke aus verschiedenen Sträuchern verdeckt wurde. Das schmiedeeiserne Eingangstor wirkte wie frisch gestrichen, der Kiesweg dahinter sah aus wie soeben geharkt, und die steinernen Treppenstufen zum Hauseingang glänzten wie frisch poliert. Auch der Garten wurde offensichtlich von einem Fachmann gepflegt. Die Blumenrabatten rund um das Haus waren beinahe unkrautfrei, wenn auch die Pflanzen durch die Hitze etwas gelitten hatten. Bestimmt gibt es hier noch eine ganze Menge an Dienstpersonal, sagte Anna sich, das sieht alles so gepflegt aus hier.

      Auf dem Namensschild am Eingangstor waren, wie bei den besseren Familien üblich, nur die Initialen eingraviert. Man wusste ja schliesslich, wer wo zu Hause war… Aha, las sie, ‘S – V‘, also S für Sarasin und V für den Mädchennamen der Frau. Würde mich gar nicht wundern, wenn sie eine Vischer wäre, und natürlich keine gewöhnliche Fischer, sondern eine mit dem Vögeli-Vau.

      Anna betätigte die aussen am Tor angebrachte Klingel. Der Summer ertönte, sie stiess das Tor auf und ging auf das Haus zu. Die zweistöckige Villa machte einen sehr noblen Eindruck. Vom Stil her musste sie gegen hundert Jahre alt sein, aber sie sah aus wie frisch renoviert. Das Haus war aus massiven, gelblichen Sandsteinquadern gebaut. An jeder Ecke standen zur Zierde zwei starke, weisse Marmor-Säulen mit elegant geschwungenen Kapitellen. Die hohen, eher schmalen Fenster hatten breite, steinerne Simse. Die erste Etage trug auf allen vier Seiten einen langen, ziemlich breiten Balkon mit einer auf weisse Säulchen gestützten steinernen Brüstung. Das Ziegeldach stand etwa einen Meter vor, so dass die Balkone zur Hälfte gedeckt waren.

      Die mächtige, eichene Eingangstür ging auf, und im Türrahmen erschien eine ältere Frau in weisser Schürze.

      »Ja, Sie wünschen?«

      Anna kam sich vor wie im neunzehnten Jahrhundert: Eine Dienstmagd wie im Bilderbuch!

      »Anna Auer, ich habe mich angemeldet.«

      Ein kleines Lächeln erschien auf dem Gesicht der Angestellten. »Oh, wie schön, ich heisse auch Anna. Bitte folgen Sie mir.«

      Die Kommissarin wurde durch die grosse Eingangshalle hindurch in einen Salon geführt. Das Innere des Hauses wirkte genauso gepflegt wie das Äussere. Zweifellos sorgte eine tüchtige Reinigungskraft hier für saubere Verhältnisse. Die drei Fenster im Salon gingen auf den Garten hinaus und hatten innen breite Simse aus Marmor, auf denen Töpfe mit blühenden Orchideen und Lilien aufgereiht waren. An den Wänden hingen grössere und kleinere Ölbilder und Aquarelle, lauter Landschaftsaufnahmen aus der näheren Umgebung. Die Möbel waren ganz im klassischen Stil gehalten und sehr sorgfältig gepflegt.

      In der Mitte des Salons stand eine ältere, sehr bemerkenswerte Frau. Sie musste die sechzig schon lange überschritten haben, sah aber, wie sie schlank und aufrecht dastand, jünger aus. Ihre blond gefärbten, mittellangen Haare hatte sie sorgfältig frisiert, Augen und Lippen waren diskret geschminkt. Sie empfing die Besucherin mit einem charmanten Lächeln, obwohl ihr keinesfalls danach zumute sein konnte.

      »Ich bin Monikas Mutter, Margareta Sarasin, geborene Vischer. Seien Sie willkommen, Frau Auer.«

      Anna musste sich auf ein altes, mit Gobelin-Stickerei verziertes Sofa setzen. Irgendwie fühlte sie sich vollkommen deplatziert hier, trotzdem empfand sie die Atmosphäre im Haus als angenehm und gastfreundlich. Die Tür ging auf, und ein mittelgrosser, schlanker Mann um die siebzig in weissem Hemd und blauer Krawatte betrat den Salon.

      »Darf ich vorstellen, mein Mann Max«, sagte Frau Sarasin.

      Die Kommissarin kondolierte zunächst dem Ehepaar zum Verlust ihrer Tochter.

      Der Vater schüttelte vehement den Kopf. »Das ist ja nicht zu glauben, unsere Monika ist tot? Sie war doch völlig gesund und unternehmungslustig! Was ist denn da passiert?«

      »Es tut mir sehr leid, Ihnen das mitteilen zu müssen, aber es sieht ganz danach aus, als sei Ihre Tochter umgebracht worden.«

      »Was sagen Sie da!« Die Eheleute erstarrten und schauten einander fassungslos an.

      »Das kann ja wohl nicht Ihr Ernst sein! Warum denn um Himmels willen?«, fragte der Vater nach einer Weile.

      »Leider haben wir noch gar keine Anhaltspunkte, die Polizei steht erst am Anfang der Ermittlungen. Aber bitte erzählen Sie mir jetzt einfach etwas über Ihre Tochter.«

      »Zuerst brauche ich aber einen Drink«, sagte Max Sarasin und ging langsam zu einem an der Wand stehenden kleinen Schrank mit gläsernen Türchen. »Nehmen Sie auch einen?«

      Anna Auer schüttelte den Kopf.

      Max Sarasin goss Whisky in zwei Gläser und brachte diese zum Salontisch.

      »Zum Wohl, Margareta, trotz allem«, stiess er mit seiner Frau an.

      Er nahm einen Schluck und liess ihn mit geschlossenen Augen die Kehle hinabrinnen. »Ach, unsere arme Monika. Wissen Sie, wir haben drei Kinder, Sebastian, Monika und Peter, die alle hier im Hause aufgewachsen sind. Wie soll ich das jetzt richtig ausdrücken, aber Monika war immer schon irgendwie anders als ihre Brüder. Etwas rebellisch, unangepasst, fast trotzig, würde ich sagen. Oder nicht, Margareta?«

      Frau Sarasins Augen waren von Tränen verschleiert, alle Augenblicke wischte sie diese mit einem Papiertaschentuch ab. »Ja, das war sie. Ein liebes Mädchen, aber äusserst eigenwillig. Ich hätte mir so sehr gewünscht, dass sie einmal einen guten Mann aus unseren Kreisen heiraten würde. Aber es sollte wohl nicht sein…«

      Margareta Sarasin schlug die Hände vor das Gesicht und begann leise zu schluchzen. Ihr Mann legte einen Arm um ihre Schultern und fuhr fort. »Ja, eigenwillig war sie, aber auch sehr intelligent und zielstrebig. Sie schaffte ohne Probleme ihre Matura und studierte dann mit Enthusiasmus Geschichte und Geografie. Gymnasiallehrerin war immer ihr Ziel gewesen, und ich glaube, sie hatte wirklich ein Talent dazu, die Jugendlichen für ihre Fachgebiete zu begeistern. Nach dem Studium ging sie ein Jahr auf Reisen und fand danach sofort eine Anstellung am Gymnasium am Münsterplatz, der traditionsreichsten Mittelschule der ganzen Schweiz. Ich denke, sie war wirklich glücklich an dieser Schule. Vor sechs oder sieben Jahren hat sie sich dann diese hübsche Wohnung in Riehen gekauft. Aber wir waren leider nur ein einziges Mal dort eingeladen.«

      Oh, das ist allerdings bemerkenswert, dachte Anna Auer für sich. »Das heisst, Sie hatten nur wenig Kontakt zu Ihrer Tochter?«

      Max Sarasin zuckte mit den Schultern. »Sie ging eben ihre eigenen Wege. Man sah sich ab und zu.«

      »Dann wissen Sie wohl auch nicht Bescheid über ihr Privatleben?«

      Margareta Sarasin lachte dünn. »Glauben Sie denn, sie hätte uns etwas erzählt? Nein, wir wissen wenig über sie. Im Tennisclub Smash Basel war sie sehr aktiv, dort hatte sie ihre engsten Freundinnen. Darunter natürlich Patrizia Staehelin, die Partnerin unseres jüngeren Sohnes Peter. Und was Monikas Liebschaften betrifft, erzählte man sich so einiges…«

      Erneut war Frau Sarasin in Tränen ausgebrochen.

      »Dann will ich Sie nicht länger belästigen«, sagte Anna Auer. »Nur eine kleine Bitte hätte ich noch. Leider durfte ich