Obwohl das Beobachten des Atems zum größten Teil nach innen gewandt ist, kann die nach außen gerichtete körperbezogene Achtsamkeit zum Beispiel hilfreich sein, wenn bei einem Retreat der Atem eines anderen Menschen laut ist und uns stört. Dann können wir es zu einem Teil unseres eigenen Weges zur Erleuchtung machen, auf den Atem eines anderen zu achten – ob er einatmet oder ausatmet, ob der Atem lang oder kurz ist.
Die nach außen gerichtete körperbezogene Achtsamkeit hat einen weiteren Vorteil: Haben Sie schon einmal bemerkt, dass Ihre Achtsamkeit auf vorsichtige, konzentrierte Bewegungen eines anderen Menschen auch bei Ihnen zu mehr Konzentration führt? Dies ist einer der Gründe, weshalb der Buddha empfahl, uns jenen anzuschließen, die achtsam und konzentriert sind: Es ist ansteckend. Auf diese Weise wird unsere eigene Praxis zu einem echten Geschenk für unsere Mitpraktizierenden.
Im letzten Teil der Anweisung geht es darum, den Gegenstand der Aufmerksamkeit sowohl innerlich als auch äußerlich zu betrachten. Anālayo vermutet, dass es sich hierbei nicht einfach um eine Wiederholung handelt, sondern dass dahinter das tiefere Verständnis steht, eine objektive Erfahrung an und für sich zu kontemplieren, ohne darauf zu achten, ob es um die eigene Erfahrung geht oder um die eines anderen. Die Aufforderung, innerlich, äußerlich und in Bezug auf beides achtsam zu sein, erinnert uns an das umfassende Wesen der Achtsamkeitspraxis – uns dessen bewusst zu sein, was da ist, ob es in uns oder außerhalb von uns ist. Und dann letztlich über diese Unterteilung hinauszugehen.
ENTSTEHEN UND VERGEHEN
Der zweite Teil des Refrains ruft uns auf, bei jedem Objekt unserer Aufmerksamkeit in der Betrachtung der Natur des Entstehens, der Natur des Vergehens und der Natur von beidem zu verweilen. Der große burmesische Meditationsmeister Ledi Sayadaw sagte: Entstehen und Vergehen nicht zu sehen, sei Verblendung, während das Erkennen der Unbeständigkeit aller Phänomene das Tor zu allen Stufen der Einsicht und des Erwachens sei. Der Buddha betonte die Wichtigkeit dieser Erkenntnis auf vielfältige Weise:
»Die Vorstellung der Vergänglichkeit, ihr Mönche, wird sie entfaltet und häufig geübt, bezwingt alle Sinnlichkeits-Gier, sie bezwingt alle Körper-Gier, bezwingt alle Daseins-Gier, bezwingt alles Nichtwissen und vernichtet alle Unwissenheit und Verblendung.«1
»Und lebt man hundert Jahre auch,
Doch merkt nicht das Entstehn-Vergehn,
Besser ein Lebenstag des Manns,
Der das Entstehn-Vergehn erkennt.«2
Was bedeutet das hinsichtlich dessen, was wir in unserem Leben schätzen und wofür wir arbeiten, und was bedeutet das im Hinblick auf die befreiende Wirkung, die Wahrheit der Veränderung unmittelbar zu sehen – im jeweiligen Augenblick und in Bezug auf uns selbst?
Ānanda war ein Cousin des Buddha und stand ihm viele Jahre lang als Begleiter zur Seite. Als er einmal die vielen wundervollen Eigenschaften des Buddha aufzählte, antwortete der Buddha, indem er sich selbst als den Tathāgata (»der so Gegangene«) bezeichnete:
»Nachdem das so ist, Ānanda, behalte auch dies als eine wunderbare und erstaunliche Eigenschaft des Tathāgata im Gedächtnis: Ānanda, da sind dem Tathāgata Gefühle bekannt, wie sie erscheinen, wie sie gegenwärtig sind, wie sie verschwinden; Wahrnehmungen sind ihm bekannt, wie sie erscheinen, wie sie gegenwärtig sind, wie sie verschwinden; Gedanken sind ihm bekannt, wie sie erscheinen, wie sie gegenwärtig sind, wie sie verschwinden. Ānanda, behalte auch dies als eine wunderbare und erstaunliche Eigenschaft des Tathāgata im Gedächtnis.«3
Ein tiefes Verständnis der Wahrheit der Unbeständigkeit – nicht als Konzept, sondern als direkte Erfahrung – eröffnet den Zugang zu noch tieferen Einsichten. In seiner ersten Unterweisung über Selbstlosigkeit an die fünf Asketen spricht er über jede der fünf Daseinsgruppen – materielle Formen, Gefühle, Wahrnehmungen, geistige Formationen und Bewusstsein –, verweist auf deren Unbeständigkeit und erklärt, wie das Unbeständige unweigerlich unzuverlässig und unbefriedigend ist und wie das Unzuverlässige und Unbefriedigende nicht wirklich als »ich« oder »mein« betrachtet werden kann. Als sie diese Lehre hörten, wurden alle fünf Asketen erleuchtet.
Wie geschieht das? Worin liegt die befreiende Kraft dieser Lehre? Wenn wir tief erkennen, dass alles, was dem Entstehen unterliegt, auch aufhören wird, dass, was immer erscheint, auch vergeht, dann wird der Geist ernüchtert, wir werden desillusioniert. Sind wir desillusioniert, werden wir leidenschaftslos. Durch Leidenschaftslosigkeit wird der Geist befreit.
Die Wörter ernüchtert, desillusioniert und leidenschaftslos haben alle einen negativen Beigeschmack. Doch bei näherer Betrachtung steckt in ihrer Bedeutung eine Verbindung zu Freiheit. Wenn wir ernüchtert werden, wird ein Bann gebrochen und wir erwachen zu einer größeren, reichhaltigeren Wirklichkeit. Die Ernüchterung ist das glückliche Ende vieler Märchen. Desillusioniert zu sein ist nicht dasselbe wie entmutigt oder enttäuscht zu sein. Es entspricht vielmehr einer Rückverbindung mit dem, was wahr und frei von Illusionen ist. Und leidenschaftslos zu sein ist nicht gleichbedeutend mit Gleichgültigkeit oder Apathie, sondern verweist auf eine große geistige Weite und Gelassenheit.
BETRACHTUNG DER UNBESTÄNDIGKEIT
Wenn wir uns anhaltend der Unbeständigkeit bewusst sind, verändert sich die Art und Weise, wie wir die Wirklichkeit wahrnehmen. Wir durchschauen die Illusionen der stabilen Existenz sowohl in dem Wahrgenommenen als auch in dem Wahrnehmenden. Das führt zu einer radikalen Umformung unseres Selbstverständnisses und unseres Weltbildes. Wie können wir das üben?
Wir können uns der Unbeständigkeit auf vielen Ebenen bewusst sein. Weisheit entsteht, wenn wir auf Aspekte der Unbeständigkeit achten, die wir zwar kennen, jedoch meistens übersehen. Da sind zum Beispiel die offensichtlichen Veränderungen in der Natur: Klimawandel, Wetterwechsel, Evolution und das Aussterben von Arten. Auf kollektiver Ebene gibt es große gesellschaftliche Veränderungen wie den Aufstieg und Zerfall von Zivilisationen und Kulturen. Auf der persönlichen Ebene werden Menschen geboren und sterben. In den Wäldern Neuenglands kann man meilenweit an alten Steinmauern und Fundamenten entlangwandern, aus denen jetzt Bäume wachsen. Welche Geschichten fanden dort statt? Welche Leben, die so lebhaft waren wie unser eigenes? Was ist geblieben? Wir können auch die Wechselhaftigkeit unserer Beziehungen oder unserer Arbeitsumstände oder der Vorgänge in unserem Körper und Geist betrachten.
Angesichts all dieser Beispiele, die wir ständig vor Augen haben, ist es erstaunlich, wie oft wir uns doch über Veränderungen in unserem Leben wundern. Irgendwie gehen wir davon aus, dass die Dinge so bleiben oder, wenn sie sich schon verändern, dies zumindest auf eine uns angenehme Weise tun.
Bei genauerem Hinschauen erkennen wir, dass nicht nur jeden Tag oder jede Stunde, sondern in jedem Augenblick alles verschwindet und Neues auftaucht. Können wir, während wir aus dem Haus treten oder einfach von einem Zimmer in ein anderes gehen, diesen Fluss der sich wandelnden Erfahrung bemerken – den Strom der visuellen Formen, der verschiedenen Geräusche, Körperempfindungen, flüchtigen Gedanken und inneren Bilder entlang unseres Wegs? Was geschieht mit jeder dieser Erfahrungen? Bleiben sie? Die Wahrheit ihrer wechselhaften Natur ist so gewöhnlich, dass wir in der Regel aufgehört haben, sie überhaupt zu bemerken.
Wenn die Achtsamkeit und die Konzentration zunehmen, erkennen wir die Unbeständigkeit klarer und tiefer, bis auf mikroskopische Ebene. Wir erleben, wie das, was fest und stabil erscheint, tatsächlich substanzlos ist und sich in ständigem Wandel befindet. Die Wahrnehmung der Veränderung wird so schnell,