„Früher oder später würdest du darauf kommen. Ich habe fest darauf vertraut“, antwortete der Rotbart und Stolz schwang in seiner Stimme. „Mein Bruder ist eben kein Dummkopf, auch wenn er sich für die astromysterischen Fragen nicht sonderlich interessiert“, sagte er zufrieden.
„Du willst mir nur schmeicheln, damit ich die Brocken allein weiter schleppe. Daraus wird nichts, Herr Bruder. Du kommst schön mit zum Steinbruch.“ Der Große packte den Stein etwa in der Mitte mit beiden Händen, hob ihn scheinbar mühelos hoch und wuchtete ihn dann auf die Stelle, an die der Kleinere mit seinem Schwert ein Kreuz geritzt hatte.
„Übrigens habe ich am Steinbruch ein bemaltes Schild gefunden“, fügte der große Recke betont beiläufig hinzu.
„Ach!“, sagte der kleinere Bruder erstaunt und als er sich von der Nachricht erholt hatte, säuselte er zuckersüß: „Und das beliebst du mir erst jetzt zu sagen, wo wir den Steinkreis so gut wie fertig haben. Vielleicht könnte uns das Schild ja Auskunft darüber geben, wo und wann wir hier sind. Oder glaubst du, es macht mir Vergnügen, mich an die ganzen komplizierten Anweisungen zu erinnern, wie ich diesen Steinkreis zum Arbeiten bringen kann, Bruder Magni?“
„Ha, jetzt hast du meinen Namen gesagt, Modi. Die Götter werden uns strafen, wenn sie erfahren, dass wir unsere Namen genannt haben. Odin hat ausdrücklich darauf bestanden, dass wir dem Ingo Knito huldigen“, erwiderte der Magni genannte Riese.
„Wem sollen wir huldigen?“, wollte Modi wissen. „Mir ist kein Mann dieses Namens bekannt.“ „Ich weiß auch nicht, wer dieser Ingo Knito ist, aber Odin hat ihn mehrfach erwähnt“, bellte Magni zurück.
„Letzten Endes spielt das auch keine Rolle. Zürnen werden die Götter so oder so, wenn sie erfahren, dass wir unsere Namen genannt haben“, versuchte Modi seinem verwirrten Bruder eine sprachliche Brücke zu bauen.
„Aber bloß dann, wenn sie überhaupt erfahren, wo und vor allem wann wir hier sind“, brummte Magni. Modi rollte mit den Augen und bemerkte, dass sein linkes Augenlid zu zucken begann. Das war ein schlechtes Zeichen, denn er war nervös und konnte sich nur noch schlecht konzentrieren, wenn er dieses Zucken bekam. Er bemühte sich um Fassung und schlug einen freundlichen Ton an, in dem ein gerüttelt Maß an Resignation mitschwang. „Lass uns einfach weitermachen und zusehen, dass wir hier fortkommen. Was steht denn auf dem Schild?“, begehrte er zu wissen.
„Keine Ahnung“, antwortete Magni. „Ich konnte die Runen nicht lesen. Habe nie zuvor so entstellte Schriftzeichen gesehen.“
„Gut, lass uns nachschauen“, schlug Modi vor und beide stiefelten in Richtung Steinbruch, weg von der Lichtung, auf der schon eine beträchtliche Anzahl gigantischer Steine einen soliden Kreis bildeten, der an die weltberühmte Anlage in Stonehenge erinnerte.
Bald waren die beiden Brüder am Steinbruch angelangt und Magni deutete mit der Schwertspitze auf ein verwittertes, halb von Moos bewachsenes Schild.
rztba YR RTT
stand darauf und Modi musste seinem kräftigen Bruder zähneknirschend zustimmen, dass es keinen Sinn ergab. Immerhin erkannte er die Buchstaben, offensichtlich waren sie nicht in China oder Persien gelandet. Die Landschaft deutete allerdings auch nicht darauf hin, sondern eher auf Ausläufer eines kleineren, mitteleuropäischen Gebirges. Während er das Moos von dem rechteckigen Schild kratzte, sinnierte er über die Variante nach, dass sie in China gelandet wären und fand den Gedanken nicht erheiternd. Als er alle Buchstaben freigekratzt hatte las er
Freizeitbad THYRA GROTTE
und war beruhigt. Er stieß einen wohligen Seufzer aus, der einen mittleren Windstoß entfachte und um ein Haar einen Specht aus einem nahestehenden Baum schüttelte. Magni erkundigte sich neugierig: „Na und, was hast du herausgefunden?“
„Wir sind entweder in der Nähe eines Bades oder irgendwer hat das Schild hier weit mit sich herumgeschleppt. Dann sind wir nicht in der Nähe dieses Bades. Ich gehe aber davon aus, dass niemand zum Spaß ein Schild mit sich herumträgt, auf dem steht, wie ein Bad heißt. Das ergibt ja keinen Sinn.“
„Wie heißt denn das Bad?“, wollte Magni wissen.
„Thyra Grotte“, antwortete Modi und nun war es an Magni tief zu seufzen.
„Willst du damit andeuten, es hätte irgendwann Leute gegeben oder würde sie später geben, die nach dem dreimal verfluchten Thrym ein Bad benannt hätten oder noch benennen wollen?“, donnerte er los und weil sich Modi sehr viel Zeit mit der Antwort ließ, fügte er an: „Und es könnte sein, die lebten hier? So wünschte ich ihnen, dass sie schon vor langer Zeit ausgestorben wären, denn andernfalls werde ich das Ende ihres Stammes in kurzer Zeit besiegeln und zwar gründlich!“
Sein lautstarker Zorn hatte den ganzen Waldabschnitt erbeben lassen und rund um den Steinbruch stürzten vereinzelt Steine und tote Vögel zu Boden. Der eine oder andere Hase brach auf, sein Heil in einer mehrtägigen Flucht zu suchen um diese Gewitterstimme nie wieder hören zu müssen. Ein verzweifelter Maulwurf stellte einen neuen Tiefen- und Geschwindigkeitsrekord im senkrechten Buddeln nach unten auf und stieß, als er sich so weit unten wähnte wie vor ihm noch kein Tier gewesen wäre, auf mehrere verängstigte Mäuse und Hamster, die sich aneinander klammerten.
„Was du dich nur so aufregst“, beschwichtigte Modi nun Magni. „Wir wissen doch überhaupt nicht, ob der Eisriese damit gemeint ist. Und außerdem: Thrym hat längst sein armseliges Leben unter Vaters Hammer ausgehaucht. Erinnerst du dich nicht mehr daran?“
„An die Geschichte, wie unser Vater Thor sich mit einer List den von Thrym gestohlenen Hammer zurückgeholt hat, erinnere ich mich sehr wohl. Ich weiß nur nicht, woher du die Sicherheit nimmst, dass dieses Ereignis in der Vergangenheit liegt, denn wir wissen ja nicht, wann wir gerade sind“, fauchte Magni seinen Bruder an.
„Das ist wirklich ein Problem“, erwiderte Modi geduldig und bemerkte, dass es äußerst langweilig war, immer wieder auf dieses eine Thema zurückkommen zu müssen.
„Jedoch besagt das Schild eindeutig, dass wir auf germanischem Boden stehen und diese Gewissheit erfreut mich ungemein. Wenn wir den Steinkreis benutzen können, werden wir auch wissen, wann wir sind. Dann können wir geeignete Schritte einleiten und entweder die hier lebende Bevölkerung massakrieren, weil sie Thrym anbetet oder, was wesentlich wahrscheinlicher ist, in die Zeit gehen, in welche Odin uns geschickt hat. Im Übrigen sollten wir uns beeilen fertig zu werden ehe die Sterne aufgehen, sonst sitzen wir morgen immer noch hier und fragen uns, wann wir sind.“
Magni hievte sich wortlos einen riesigen, langen Stein auf den Rücken, der glänzend als Querstein geeignet war, und stapfte zurück zur Lichtung. Modi nahm sich ein ähnliches Exemplar vor und folgte keuchend seinem Bruder. Als sie wenig später den Bau vollendet hatten, begann Modi mit den Feinabstimmungen und kramte nach seinen Erinnerungen an die geheimen Worte, indem er mit den einfacheren Dingen begann. Er murmelte unablässig Sprüche und Reime, die ihre Existenz der Beschäftigung von Göttern und Menschen mit der Astronomie und verwandten Wissenschaften verdankten:
„Eber, Riese, Himmelskuh zählen wir dem Winter zu.
Hase, Wolf und Menschenpaar stellen uns den Frühling dar.
In Hahn und Hengst und Ährenfrau
die Sommersonne steht genau.
Schwalbe, Hirsch und Bogenschütze
sind des Herbstes feste Stütze.“
war nur ein Beispiel der großen Gelehrsamkeit, die Modi nun an den Tag legte.
Magni hatte ein Feuer entfacht und suchte nach den passenden und für die Rituale geeigneten Holzscheiten. Beziehungsweise half er einigen jungen Bäumchen dabei, sich mittels seines gigantischen Schwertes in bestens geeignete Holzscheite zu verwandeln. Modi brabbelte immer noch vor sich hin und vervollkommnete die Ausrichtung des Kreises. Er peilte mit Daumen und zugekniffenem Auge die oberen Spitzen der Felsbrocken an. Hin und wieder nickte er zufrieden oder