Götterhämmerung & Walkürentritt. Olaf Schulze. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Olaf Schulze
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая фантастика
Год издания: 0
isbn: 9783944180458
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nach wenigen hundert Jahren in den Rändern der Augen ansammelte. Sein Bart war noch halbwegs vorzeigbar, so weit er das auf den ersten Blick beurteilen konnte. Das lange, rote, wallende Haupthaar wollte er am liebsten gar nicht sehen. Sicherlich hatte es wieder hässliche Liegestellen und die Lockenpracht war an seiner Schlafseite ruiniert. Er musste sich also so setzen, dass die ungebetenen Besucher diese Körperhälfte nicht wahrnahmen. Müde klopfte er seinen Bart aus und stäubte sein Gewand oberflächlich ab. Immer noch schlaftrunken erinnerte er sich an die letzten Besucher, die ihn für nichts und wieder nichts geweckt hatten.

      Als Erstes kamen diese abgerissenen Gestalten, die ihn zu einem Kerl namens Thomas Müntzer führen wollten, der einen militärischen Aufstand angezettelt hatte. Es dauerte nicht lange, bis der Rotbart herausgefunden hatte, dass die heroischen Ziele der Besucher Blödsinn waren und undurchführbar obendrein. Leider glaubten ihm die Männer nicht, weshalb er seine Ruhe ernsthaft unterbrechen und nachts mit ihnen ins Feldlager dieses Müntzers schleichen musste. Diesem Herrn und seinem Generalstab hatte er die desaströsen Erfolgsaussichten eines bewaffneten Kampfes aufzeigen wollen. Das Heerlager präsentierte sich in einem erbarmungswürdigen Zustand, die Ausrüstung der unprofessionellen Krieger war katastrophal. Barbarossa teilte Müntzer in dessen Zelt seine Beobachtung unmissverständlich mit.

      „Mit diesem Haufen werdet Ihr nichts ausrichten können, egal wie edel eure Ziele auch sein mögen“, warnte der Kaiser den kleinen Mann. Doch der wischte diese Bedenken rigoros vom Tisch. „Es geht nicht um den Edelmut unserer Ziele“, hatte Müntzer erwidert. „Denn der steht völlig außer Frage. Es geht um den Ausweg, der uns bleibt.“ Barbarossa starrte ihn erwartungsvoll an.

      „Es gibt keinen“, schloss der Feldherr mit einem Anflug von Verzweiflung.

      „Sagt uns, wie wir unsere Kinder ernähren sollen? Wir brechen zusammen unter der Last der Abgaben, wir hatten jahrelang schlechte Ernten. Frauen und Kinder verhungern zu Hause“, schaltete sich einer der Hauptmänner ein.

      „Tut mir leid, aber Ernährungsfragen sind nicht mein Fachgebiet“, wehrte Barbarossa ab. „Ich kann euch nur als Kriegsexperte den dringenden Rat geben: Geht nach Hause und vergesst die Schlacht. Sollten eure Gegner halbwegs ausgebildete Soldaten sein, dann überlebt ihr den morgigen Tag nicht.“

      Die versammelten Hauptleute begannen darauf hin, den Kaiser zu verhöhnen und seine Identität ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Müntzer war sehr nachdenklich geworden und hielt sich in dieser Auseinandersetzung zurück.

      „Auf den weisen Rat eines toten Kaisers scheiße ich“, hatte einer der Heerführer aufgeregt gebrüllt.

      „Ja, er soll sich wieder in seinen Berg legen und sein adliges Maul halten“, pflichtete ihm ein zweiter bei. Kaiser Barbarossa gähnte ausgiebig und blickte von einem zum anderen.

      „Dann hättet ihr mich besser nicht wecken sollen“, sagte er. Seine Arroganz erregte einen der Bauernführer derart, dass er sich wütend auf den Kaiser stürzte. Er kam bis auf Armeslänge an den rotbärtigen Riesen heran, dann riss der plötzlich seinen Hammer hoch und traf den Bauern damit am Kopf. Zum Entsetzen aller Anwesenden brach der Getroffene nicht nur tot zusammen, sondern sein Körper verfiel in rasender Geschwindigkeit zum Skelett. Von diesem betrauernswerten Zustand wiederum verwandelte sich der eben noch so agile Bauernführer im nächsten Augenblick zu einem Häuflein Asche.

      „Der Satan“, kreischte der Hauptmann, der gerade noch seine Därme über dem Kaiser Barbarossa entleeren hatte wollen. „Es ist der Beelzebub persönlich, rettet euch!“

      Der Kaiser begriff, dass weitere Diskussionen hier zwecklos wären, weil sich eine Massenhysterie ausbreiten wollte. Er hatte sich darauf verlegt, den Anwesenden mit gezieltem Einsatz seines Hammers die Erinnerungen an diese Nacht zu nehmen und schickte sie einen nach dem anderen ins Reich der Träume.

      „Lieber sterben wir, als uns dem Teufel oder den Junkern zu ergeben!“, rief einer noch heldenmutig, ehe sich auch um ihn die schwarze Dunkelheit des Vergessens ausbreitete.

      Was das Sterben betraf, da sollte der Mann absolut recht behalten. Nur einen Tag später waren neben den Erinnerungen auch das Leben all derer ausgelöscht, die in dieser Nacht zugegen waren. Einzig Thomas Müntzer, der Anführer des Aufstandes, musste noch zwei weitere Tage leben und die Qualen der Folter ertragen, ehe er mit einer pompösen Hinrichtung vor den Toren Mühlhausens ins Jenseits befördert und von seinem Erdendasein erlöst wurde. Barbarossa hatte sich kaum wieder in seiner Höhle zur Ruhe gelegt, und nach seiner Schätzung konnten höchstens vierhundert Jahre vergangen sein, als die nächsten Verrückten seinen Schlaf störten. Es waren drei junge Männer, die auf ihn einen durchaus gepflegten Eindruck machten, wenn er vom Staub und Dreck der Höhle absah, der sich auf ihre Kleidung gelegt hatte. Sie sprachen sich untereinander mit ‚Genosse’ an und nannten sich stolz Tschekisten. Barbarossa hatte keinen Schimmer, um welche Art von Kisten es sich hierbei handelte. Auch schwadronierten die beiden agilen Wortführer ständig von anderen Genossen, deren Namen slawisch klangen und bei denen sie wohl für alle ihre Unternehmungen Rat einholen mussten. Der dritte, ein riesengroßer Bursche mit weit nach vorn gezogenen Schultern, als wollte er sich für seine Ausmaße entschuldigen und kleiner wirken, sprach überhaupt nicht und grinste nur. Nach einigem Hin und Her erklärten die zwei Redner dem sagenumwobenen Kaiser, dass er eine unerwünschte Person sei und das Land verlassen müsse. Belustigt von diesem Ansinnen fragte Barbarossa nach den Gründen für seine Ausweisung. Er sei ein typischer Vertreter der nun überwundenen Geschichtsphase der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und zudem ein adliger Despot, dessen Herrschaft ein für allemal abgelaufen sei, beschieden ihm die Männer. Zudem wäre es absolut sinnlos, auf eine Wiederauferstehung zur Restauration des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation zu warten, weil Deutschland zu großen Teilen schon von seinesgleichen gesäubert sei und die italienischen Genossen kurz vor einer Übernahme der Macht stünden. Es sei nur eine Frage der Zeit und bei einer der nächsten Wahlen würde der Sozialismus auch in Italien siegen.

      Das aufgeregte Palaver der drei Männer ärgerte Kaiser Barbarossa allmählich und er bat seine Besucher, ihm stichhaltig zu erklären, warum er nicht in seiner Höhle bleiben könne. Die Regierung des Volkes ist angebrochen, schwatzten die Tschekisten weiter, und die würde sich nicht auf einen so lächerlichen Zeitraum wie eintausend Jahre beschränken, sondern die Diktatur des Proletariats würde ewig währen. Barbarossa tappte in finsterster Dunkelheit, was die Identität dieses Diktators namens Proletariat betraf, ließ sich aber nichts anmerken. Außerdem war er müde und wollte keine großartig intellektuellen Gespräche mit diesen aufgeregten Wichten führen. Ihm war bei aller Anstrengung seines enormen Geistes kein Unsterblicher dieses Namens bekannt. Das war jedoch nicht weiter verwunderlich, tröstete er sich schließlich, denn immerhin hatte er das gesamte letzte Jahrtausend verschlafen.

      Die drei Genossen legten ihm Papiere hin, mit denen er sich von nun an legitimieren könne und die ihm eine Passage an die Staatsgrenze des Arbeiter- und Bauernstaates erlauben würden. Sie erwarteten, dass er ein Papier unterschrieb, in dem er versicherte, das Land in den nächsten 48 Stunden zu verlassen und sich eine neue Bleibe zu suchen. Er könne beispielsweise bei den Revanchisten im Teutoburger Wald weiter schnarchen, schlugen sie ihm vor. Barbarossa schien es geraten, wenigstens teilweise auf ihre Forderungen einzugehen und unterschrieb das Papier. Vom Stamm der Revanchisten, die da im Teutoburger Wald hausen sollten, hatte er noch nie zuvor gehört. Barbarossa ahnte, dass während seines kurzen Schlafs da draußen eine rasante Entwicklung vonstatten gegangen sein musste und die Menschen vermutlich immer verrückter wurden. Was sollte es sonst mit der ‚internationalen Solidarität‘ und ‚unverbrüchlichen Freundschaft mit unseren sowjetischen Brüdern‘ auf sich haben? Er beschloss dennoch, die drei Männer zu verschonen, denn er glaubte, es sei seinem eigenen Seelenheil abträglich, wenn er bei jedem Erwachen Menschenwesen tötete oder ihnen den Verstand raubte. Zumal ihm letzteres bei diesen Wirrköpfen ohnehin überflüssig erschien. Dann manipulierte er die Besucher mit Hilfe seines Hammers so, dass sie ihrem Genossen Oberstleutnant berichteten, er sei unverzüglich nach ihrem Besuch in den Teutoburger Wald zu den Revanchisten und Kriegstreibern im Imperialismus aufgebrochen.

      Seitdem war es still geblieben in seiner Höhle und er hatte geschlafen. Nach seinem eigenen Ermessen konnte es nun trotzdem noch nicht Zeit zum Aufstehen