Wenn man mit so einer Frage reingrätschen kann und viele Leute erreicht, lohnt sich das. Immer mit dem kompletten Programm im Hinterkopf. Das Powerplay fängt mit dem ersten Doppelfehler des Gegners an. Je mehr Analysen man kennt, je mehr historische Beispiele man weiß, wie sie das und das gekauft und absorbiert haben, desto mehr ist man im Vorteil, wenn die anderen straucheln. Ich sehe die Bruchstellen überall dort, wo Marxisten sitzen.
Den schönsten Selbstmord von links begehen Leute, die sagen: Das sieht marxistisch aus, aber das kann es ja nicht sein, sonst wäre es nicht in der FAZ. Wenn man so weit ist, sollte man aufhören, weil man damit im Grunde die Position vertritt: Wir können nicht gewinnen, wollen nicht gewinnen. Es kann auch keinen Zufall geben, der uns in die Hände spielt, sondern unsere Analyse vom Reich des Bösen, in dem wir leben, ist so vollständig, so detailliert und so richtig, dass wir mit nichts anderem rechnen als damit, lebenslang in den Hintern getreten zu werden. Fakt ist, die Gegner schlafen auch mal.
Wurden Texte von Ihnen in der FAZ nicht gedruckt?
Ein einziger von ungefähr 600 Artikeln ist aus inhaltlichen Gründen nicht erschienen. Das liegt daran, dass diese Zeitung konservativ ist. Das Angenehme an Leuten mit konservativen Hintergründen ist, dass sie sich an Regeln halten, die sie aufgestellt haben – im Unterschied zu Sozialdemokraten und Grünen. Ein Sozialdemokrat stellt Regeln auf, weil sie nützlich sind für die Funktion, die er im Moment hat. Nächste Woche sind sie wieder weg. Die noch schlimmere Variante, die man in den letzten dreißig Jahren kennengelernt hat, ist: ökologisch, basisdemokratisch und gewaltfrei. Diese Kombination kommt an die Regierung und die Deutschen führen den ersten Krieg nach 1945, dann wird Hartz IV eingeführt. Das nennen die sozial. Basisdemokratisch? Ich lach mich tot. Was hatten wir noch? Ökologisch. Na ja, da wird in Dosenpfand investiert.
Der Konservative dagegen ist verbindlich, pünktlich und was es sonst noch alles für einen Scheiß gibt. Der hat diese komischen Regeln, und wenn du ihn dabei erwischst, dass er sie bricht, gibt es einen Skandal. Die Kirche kriegt Skandale für Dinge, über die eine SPD nur lachen würde. Wenn man nachweisen könnte, dass der SPD-Vorsitzende säuft, hurt und überhaupt keine Prinzipien hat, würde es heißen: Ja, aber er ist charismatisch, und die Leute verbinden den Aufbruch mit ihm. Ein Papst kann sich so etwas nicht erlauben.
Die von der FAZ sagen: Wir sind kosmopolitisch und liberal – man kann hier eigentlich alles schreiben, vorausgesetzt, man erfüllt die und die Standards. Fakt ist: Viele linke Autoren, mit denen ich zu tun hatte, erfüllen diese Standards nicht. Sie müssen unter Existenzbedingungen vor sich hin krebsen, in denen man bestimmte Professionalitäten nicht entwickeln kann. Wann denn? Wie denn?
Als ich zur FAZ kam, war es von Vorteil, dass ich einigermaßen manisch bin. Also, wenn es hieß: Bis 15 Uhr müssen die und die Formalitäten erledigt sein, waren sie es. Ich kann schnell sein und gründlich im Sinne von relativ fehlerfrei. Solche formalen Requirements kann ich ganz gut erfüllen.
Ihre Texte sind in den Jahren bei der FAZ verständlicher geworden, die Sätze kürzer, die Argumente klarer.
In formalen Geschichten verbirgt sich auch inhaltliche Zensur. Wenn gesagt wird: Schreibe klar, kann das heißen: Äußere keinen neuen Gedanken. Klar ist immer, was alle schon kennen. Die Herausforderung ist dann: Wie klar kann ich den neuen Gedanken machen?
Es gibt den klassischen Vorwurf, dass die Linken unverständlich sind. Das kommt aus der Natur ihrer Position. Was sich total verständlich sagen lässt, ist: Alles in Ordnung, weitergehen, es gibt nichts zu sehen. Aber es klingt kompliziert, wenn man sagen muss: Das Vokabular ist noch nicht entwickelt, aber hier … – Kritisiere mal ein System mit der Sprache, die dieses System erfunden hat! Eine andere ist nicht da. Du wirst komisch klingen, stammeln und das Bedürfnis haben, durchs Zitieren akademischer Autoritäten überzukompensieren. Linke Sprache hat diese Laster, weil sie nach etwas tastet, das kein gebrüllter Befehl ist.
So ist das zumindest bei mir. Ich möchte nicht mein ganzes Leben damit verbringen, für Dinge zu agitieren, die ich von meiner Herkunft her selbstverständlich finde. Ständig nur: Kommunismus viel gutt mit zwei t – davon würde ich gaga werden.
Sie haben in der Öffentlichkeit sehr an Bedeutung gewonnen. Bei der FAZ waren Sie noch ein Geheimtipp aus der Subkultur. Heute gelten Sie als engagierter Intellektueller, dessen Stimme Gewicht hat. Wie reflektieren Sie diese Rolle?
Diese Planstelle hat sich sehr verändert. Das schmutzige kleine Geheimnis aller kritischen Intellektuellen, die ich aus den Achtzigern kenne, ist: Sie machten alle möglichen Unterschriftenlisten, waren aber auf jeden Fall gegen den Ostblock. Dieses Kontingent von nachdenklichen Menschen war damals wichtig. Sie mussten irgendwie links sein, also das Gute im Menschen wollen, etwas gegen Franz Josef Strauß und bestimmte Unternehmer sagen, aber auf jeden Fall nicht für die bösen Russen sein. Dafür gab es eine Menge Geld, Aufmerksamkeit und Mikrofone, die man nicht den ganzen Tag vollbrüllen konnte mit: Fresst! Kauft! Arbeitet! Die Streitigkeiten, die heute noch übrig sind, sind weniger große Ideenstreitigkeiten. Es ist nicht mehr so, dass der militärische Gegner des Westens gleichzeitig sein Ideengegner ist. Die Auseinandersetzung mit dem Islam ist ein erkennbar dürftiger Ersatz für all die Debatten um einen Dritten Weg. Niemand sagt heute, es müsse zwischen westlichem Hedonismus und mittelalterlichem Islam einen Dritten Weg geben. Aber von nichts anderem wurde damals geredet als von einem Dritten Weg zwischen dem bösen Ostblock und dem liberalen, aber kalten und unmenschlichen Westen. Diese kritischen Intellektuellen, das war die Abteilung Dritter Weg.
Hedonismus oder Islam – so wird ja gerne auch der Nahostkonflikt diskutiert. Haben Sie zu dem eine Position?
Das musste ja kommen. Palästina, hurra! ist natürlich das große Erbe des Ostblocks. Nirgendwo sitze ich gelangweilter als zwischen allen Stühlen, aber ich sage: Es muss einen Staat geben, der dem Argument entgegensteht, die Juden seien ein staatenloses Volk von Nationenzersetzern. Ich bin also etwas radikaler als Leute, die sagen: Jetzt gibt es das, lasst sie doch leben. In den sogenannten Nullerjahren war ich mehrfach in Israel, habe dort relativ wenige Palästinenser kennengelernt, aber linke Zionisten, linke Postzionisten, whatever. Gelernt habe ich: Gerade, wenn man meint, dass der Staat wichtige Errungenschaften in die Region gebracht hat, sollte man die aufeinanderfolgenden israelischen Regierungen nicht bedingungslos unterstützen. Diese extreme Position ist ein Erbe der Blockkonkurrenz. Da war egal, was ein Deutscher sagte, Ost oder West. Das war nur ein Annex. Heute geht es schnell darum, ob UN-Truppen geschickt werden, mit Bundeswehrkontingent. Positionen wie: Israel bedingungslos unterstützen versus was immer es auf der anderen Seite für einen Wahnsinn gibt, sind da extrem unangemessen.
Das Hinfahren hat die Sache kompliziert gemacht.
Da erzählt eine Frau, die man sehr mag und die bei ihrem Militärdienst in der israelischen Armee ein Peace-Zeichen um den Hals hatte, was sie da so erlebt hat. Und man sagt sich: Okay, die ganzen Debatten, die in Deutschland so stattfinden, bilden nicht ab, was die da gerade erzählt. Es klingt quietistisch, aber die Schnelligkeit, mit der Antideutsche und andere Deutsche zu einer Position kommen, die sie dann relativ faktendicht halten können, ist mir verdächtig.
Geht es am Ende nicht darum, dass Juden überall auf der Welt so wenig was Besonderes sind wie heute in New York?
Die pragmatische Frage ist damit nicht geklärt. Ich spreche mal in einem Gleichnis: Eine schnelle Kritik an der DDR ist die Kritik an der Stasi. Die teile ich. Warum? Die einzige Rechtfertigung für die Stasi ist: Die brauchen wir, sonst bricht das Ding zusammen. Es ist trotzdem zusammengebrochen, also entfällt leider die Rechtfertigung. Wenn mir jemand dartun kann: Die Leute müssen beschnüffelt werden, sonst bricht der Sozialismus zusammen, leuchtet mir das in gewissen Grenzen ein. Warum sollen immer nur die anderen eine Werkspolizei haben? Ich habe kein Problem mit Repression, die ihren Zweck erfüllt. Wenn sie den nicht erfüllt, müssen wir anders nachdenken. Für Maßnahmen der DDR gilt ähnlich wie für Maßnahmen einer israelischen Regierung: Wenn sie das Land schützen, bin ich dafür; wenn nicht, dagegen. Daraus folgt auch: nicht um jeden Preis. Wenn jemand sagt: Einer geht jetzt im Auftrag von Ulbricht nach Washington und zündet dort eine Atombombe, damit die DDR erst mal eine Atempause hat, bin ich nicht dafür. Es geht eben auch um angemessene Mittel. Ich meine: Stasi-Kritik bitte