Noch einmal zurück zu Ihrem erweiterten Wirkungskreis. Sie sind seit kurzem nicht mehr nur in popkulturellen und politischen Kreisen bekannt, sondern auch beim gewöhnlichen Gymnasiallehrer mit Zeit-Abo. Welche Konsequenzen hat das für Sie?
Ich frage mich natürlich schon ein bisschen, ob es mein Job oder Fluch ist, als ein extrem billiger, extrem trashiger, extrem unzulänglicher Gesamt-West-Hacks ab und zu mal auf Umfragen antworten zu dürfen wie: War die DDR vielleicht doch ganz gut? Solche Umfragen erreichen mich schon. Das Schöne ist: »Du bist ja hier der Trash-Hacks!«, das kommt immer nur vom Trash-Heiner-Müller. Ich bekomme diesen Vorwurf nur aus einer sich selbst als links verstehenden Ecke. Die heute Rechten oder die in der Nähe der Zeitung Die Zeit sagen eher so Sachen wie: Ich hab mal kurz auch Marx gelesen … und dann hab ich die Bände alle verkauft, und das war, glaub ich, ein Fehler, die verkauft zu haben und so weiter.
Ich besetze momentan die Stelle von dem Menschen, den man zu den und den Themen anruft. Wenn meine liebe FAZ eine Serie zum Krisenkram macht, werde ich angerufen, wenn das Wort Verstaatlichung vorkommt. So wie ich angerufen werde, weil ein englischer Science-Fiction-Autor gestorben ist. Diese ganze Pressescheiße funktioniert über Zuständigkeiten, die in irgendwelchen Köpfen imaginiert werden. Da bleibt hängen: Der redet in dem Alexander-Kluge-Film Nachrichten aus der ideologischen Antike eine Stunde lang über Marx. Wenn dann eine Glosse zu einem neu aufgetauchten Marx-Foto gebraucht wird, rufen die eher mich an als einen anderen.
Die interessante Frage wäre: Wird man zuständig für das skurrile Wissen des Sozialismus oder darüber hinaus zu so etwas wie Sachfragen vernommen? Der kritische Intellektuelle hat keinen Wert mehr, der über den Exotenwert des scientologischen Schauspielers oder vegetarischen Handballstars hinausgeht. Aber die Rolle des Experten der Rote-Mützen-Sekte im ökumenischen Konzert der komischen Sekten ist okay. Denn selbst da könnte einmal jemand sagen: Dieser Zeuge Jehovas da ist eigentlich ganz vernünftig – das hätte ich gar nicht gedacht von den Zeugen Jehovas.
Haben Sie den Eindruck, dass Ihre politische Resonanz mit dem Bekanntheitsgrad gestiegen ist?
Auf ein Spiegel-Interview hin haben sich Leute bei mir gemeldet, die reale politische Arbeit machen. Das war eine Sternstunde für mich. Wir standen erst einmal relativ hilflos voreinander, weil ich nur sagen konnte: Wenn euch was einfällt, gerne. Sie sagten Sachen wie: Wir haben die Intellektuellen und die Kulturleute nicht auf unserer Seite. Da habe ich geantwortet: Fragt halt.
Es war unglaublich schön, mit diesen Leuten aus politischen Organisationen, die tatsächlich existieren, eine Stunde aneinander vorbeireden zu können und plötzlich zu merken: Die interessiert das. Ich könnte es absolut verstehen, wenn es nicht so wäre. Wenn du zwanzig Jahre lang in der Gewerkschaft bist, bei Lafontaine, irgendwelchen Trotzkisten, der DKP oder in irgendeinem Wahlbündnis gegen eine lokale Schweinerei, dann hast du gewisse Erfahrungen mit den Intellektuellen: Wenn die Fernsehkamera da ist, steht der Intellektuelle dabei, rufst du ihn zwei Wochen später an und die Kamera ist weg, wird es schwierig.
Umgekehrt machen wir Intellektuellen auch so unsere Erfahrungen. Du kommst mit guten Ideen, die zum Teil naiv sein mögen, zu einer Organisation und hörst: Moment, auf unserer Rednerliste stehst du auf Platz 17, aber vorher müssen wir klären, ob hier geraucht werden darf – dann rennst du schreiend davon, weil du denkst: Mein Gott, sind das phantasielose Figuren.
Momentan ist alles sehr zersprengt. Gewerkschaftliche Arbeit, politische Publizistik – das müssen wir alles neu lernen, unter nicht mehr sozialpartnerschaftlichen Bedingungen, sondern wieder antagonistischen. Lange gab es für alles Kanäle, Dialog mit der Jugend und so. Jetzt ist nicht mehr Dialog mit der Jugend, sondern Banlieue. Das muss man alles erst wieder lernen. Ich glaube, der Weg ist relativ weit.
Bücher von Dietmar Dath
Deutschland macht dicht. Roman, 2010
Rosa Luxemburg. Biographie, 2010 (BasisBiographie)
Sämmtliche Gedichte. Roman, 2009
Die Abschaffung der Arten. Roman, 2008
Maschinenwinter. Wissen, Technik, Sozialismus. Eine Streitschrift, 2008
Das versteckte Sternbild. Roman, 2007 (unter dem Pseudonym David Dalek)
Waffenwetter. Roman, 2007
Heute keine Konferenz. Texte für die Zeitung, 2007
Dirac. Roman, 2006
Die salzweißen Augen. Vierzehn Briefe über Drastik und Deutlichkeit. Essays, 2005
Für immer in Honig. Roman, 2005 (Neuauflage 2008)
Höhenrausch. Die Mathematik des XX. Jahrhunderts in zwanzig Gehirnen. Sachbuch, 2003
Nichts legitimiert, dass der Staat zu terroristischen Mitteln greift
Raul Zelik1
Raul Zelik (geb. 1968) lebt nach mehreren Lateinamerika-Aufenthalten seit 1989 als Autor von Romanen, Essays und Reportagen in Berlin. Als Politologe erfüllte er Lehraufträge zur politischen Entwicklung in Bolivien und Venezuela an der FU Berlin und als Gastprofessor an der Nationaluniversität Bogotá in Kolumbien. Zelik verfasste eine Reihe von Beiträgen zur politischen Theorie. Im Baskenland und in Lateinamerika liegen seine publizistischen Arbeitsschwerpunkte. Das Venezuela-Tagebuch »Made in Venezuela« (2004) und der Roman »Berliner Verhältnisse« (2005) sind seine bisher größten Erfolge. Sein Roman »Der bewaffnete Freund« spielt vor dem Hintergrund des baskischen Konflikts auf der Iberischen Halbinsel.
Ein Gespräch über den baskischen Konflikt, politische Gewalt, die Linkspartei in Deutschland und die Entwicklung der Demokratie in Venezuela.
In Ihrem neuen Roman Der bewaffnete Freund ist eine Figur abwesend und zugleich immer präsent: der baskische Autor Joseba Sarrionandia. Was fasziniert Sie an diesem Mann?
Sarrionandia ist ein Schriftsteller, der als Person eine große Ausstrahlung besitzt. Er hatte immer den Drang, politischer Aktivist zu sein. Vor 27 Jahren ist er als ETA-Mitglied ins Gefängnis gekommen, dann geflohen und war eine ganze Weile verschollen. Heute ist er sicher kein aktives Mitglied mehr, er hat sich aber auch nie distanziert, seine politische Haltung nicht aufgegeben. Mit all den Kosten, die das für ihn bedeutet: Er kann deshalb bis heute nicht zurückkehren. Auf der anderen Seite wollte er auch als Aktivist immer schreiben. Das ist eine doppelte Sehnsucht. Petra Elser und ich haben seinen in diesen Tagen im Verlag Blumenbar erscheinenden Roman Der gefrorene Mann übersetzt und dabei gemerkt, auf welch unprätentiöse Weise der Autor ganze Assoziationsuniversen eröffnet. Mich begeistert darüber hinaus, wie er das Baskische als Literatursprache in den sechziger und siebziger Jahren praktisch miterfunden hat. Das literarische Experiment ging einher mit dem politischen. Im Baskenland ist er so etwas wie eine Legende. Er hat als nicht mal Zwanzigjähriger und ETA-Mitglied eine wichtige Literaturzeitung mitbegründet, aus der viele große zeitgenössische Autoren baskischer Sprache hervorgegangen sind.
Was interessiert Sie am baskischen Konflikt?
Man kann im Baskenland sehen, wie in Europa Ausnahmezustände etabliert sind. Man spricht dort davon, dass in den dreißig Jahren seit dem Beginn der Demokratisierung etwa 7000 Menschen gefoltert worden sind. Bei drei Millionen Einwohnern ist das eine wahnsinnig hohe Zahl. Das kann in Europa passieren, ohne dass darüber gesprochen wird. Es darf regelrecht nicht darüber gesprochen werden. Es gibt zwar keine offizielle Zensur, dafür aber andere Ausschlussverfahren. Wenn man versucht, auf diese Dinge hinzuweisen, fällt man aus dem medialen Mainstream raus und hat Veröffentlichungsschwierigkeiten. Diese »Unsagbarkeit« ist auch der Grund, warum das Baskenland im Roman nicht ein einziges Mal beim Namen genannt wird.
Wo nehmen Sie die erschreckenden Zahlen her?
Die Zahlen stammen von Menschenrechtsorganisationen wie der »Torturaren Aurkako Taldea«, der Anti-Folter-Gruppe, aus dem Baskenland. Man kann schon