Kālī Kaula. Jan Fries. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jan Fries
Издательство: Автор
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Жанр произведения: Эзотерика
Год издания: 0
isbn: 9783944180649
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haben. Dasselbe gilt für das Nichttun: Was immer Du tust oder zu tun vermeidest, beeinflusst die Welt. Wenn Wesen durch das Leben gehen, erzeugen sie Karman. Karman bedeutet Handeln, Tun, Wirken und die Ergebnisse von Taten. Diese einfache Beobachtung hatte einen radikalen Charakter. In der frühen vedischen Epoche hielt man das menschliche Schicksal für abhängig von angemessenen Ritualen, Opferungen, Zaubersprüchen und dem guten Verhältnis zu Göttern und Priestern. Die Menschen konnten etwas tun, um ein böses Schicksal abzuwenden, sie konnten von Unglück und Sünden der Vergangenheit durch die richtigen Rituale erlöst werden. Selbst ein grausiges Schicksal nach dem Tod, den drohenden zweiten Tod (Punarmṛtyu), konnte durch die richtigen Opferungen abgewendet werden. Karman setzte all dem ein Ende. Die erste Erkenntnis der karmischen Philosophie besagt, dass die Menschen für sich selbst verantwortlich sind. Was nach dem Tod geschieht, hängt vom richtigen Verhalten im Leben ab. Karman wurde jetzt als subtiler Einfluss betrachtet, der sich der individuellen Seele (Ātman) im Laufe des Lebens anfügt und die nächste Geburt beeinflusst. So kann einen Karman Leben um Leben verfolgen. Wenn Du jetzt ein gutes Leben genießt, dann kommt das von dem Karman, das Du in den letzten Leben entwickelt hast, abhängig von deinem Verhalten in diesen. Karman war nicht nur eine abstrakte Qualität, ein Kausalitätsgesetz, sondern es wurde manchmal auch zu einem moralischen Prinzip. Hier waren sich die Seher alles andere als einig. Manche hielten Ethik für ein bedeutendes Prinzip, und andere wollten sie so weit wie möglich ignorieren. Schauen wir uns beide Möglichkeiten an: gute und böse Taten (was auch immer das sein soll) erzeugen gleichermaßen Karman, und Karman, egal ob gut oder schlecht, impliziert Bindung an die Welt der Dinge und Illusionen. Die war natürlich ein Hindernis, wenn man sich gerne ins Brahman auflösen wollte. Nach Ansicht mancher Seher galt es also, sowohl gute wie böse Taten zu vermeiden. Das ist nicht ganz das, was moderne Hindus, ganz zu schweigen von New-Age-Anhängern oder Theosophen, unter Karman verstehen. Im Denken vieler Leute ist Karman so etwas wie ein Bankkonto. Gute Taten erhöhen den Betrag auf dem Konto, schlechte Taten verringern ihn, und wenn man genügend Bonuspunkte gesammelt hat, kann man heilig werden oder sich komplett aus der Existenz ausklinken. Der Schwachpunkt in dieser gesellschaftlichen Philosophie ist die Unterscheidung zwischen guten und schlechten Taten. Gut und schlecht sind Bewertungskategorien, die vom individuellen Standpunkt abhängen und für sich keine eigene Existenz haben. Gute Taten müssen nicht unbedingt zu guten Ergebnissen führen, schlechte Taten und Sünden müssen nicht unbedingt für jeden schädlich sein. Tatsächlich ist Gutes oft die Wurzel von Schlechtem und umgekehrt: es kommt immer drauf an, für wen. Und allein, dass Deine Absichten gut sind, bedeutet nicht, dass Deine Taten Gutes bewirken. Die MuUp 1, 2, 7-11 verspottet solche Aktivitäten wie richtiges Sozialverhalten, gute Taten, Kultivierung von Wissen, Durchführung von Ritualen, Opferungen und die Erlangung von Verdiensten als nutzlos. Stattdessen erklärt sie das Leben des waldbewohnenden Bettelmönchs zum Weg der Befreiung.

      In der Philosophie der Upaniṣaden wurde die Idee des Karman erst entwickelt, und unsere Quellen stimmen nicht miteinander überein. Manche sahen das Karman als ein abstraktes Prinzip (das Gesetz der Kausalität, wenn man so will), während andere es primär zu einem moralischen Prinzip machten. Wir begegnen sogar der Ansicht, dass das Karman eines Vaters auf den Sohn vererbt wird (Kauṣītaki Brāhmaṇa Upaniṣad 2, 15), aber diese wurde nie wirklich populär. Von Bedeutung für die Epoche der Upaniṣaden ist die Idee, dass alles Karman, egal ob gut oder schlecht, zu einer Bindung an die Welt führt. Eine Befreiung von dieser Bindung war für diejenigen möglich, die es schafften, ihr menschliches Selbst (Ātman) mit dem All-Selbst, Brahman, zu verschmelzen. Diese Ansicht verwandelte die ganze religiöse Landschaft.

      Alle Wesen erzeugen zu allen Zeiten Karman, ob sie es wollen oder nicht, und dies schließt auch die Götter ein. Wenn die Götter in den Fesseln des Karmans gefangen sind, dann sind sie nicht mehr frei, ihre göttliche Macht auszuüben, wie sie es gewohnt sind. Dies setzte dem vedischen Glauben ein Ende, dass die Götter Übeltäter bestraften. Der allsehende Varuṇa, der keulenschwingende, donnernde Indra, die Gottheiten von Gesetz und Ordnung verloren einfach ihre Funktion. Wenn jemand Böses tat, dann wurde einfach das Karman der Tat die Strafe. Die Götter hatten nichts damit zu tun, es sei denn, es war ihr Karman, eine Bestrafung zu veranlassen, die das Karman des Übeltäters verursacht hatte. Göttliche Belohnungen waren ebenso nur möglich, wenn das Karman des Belohnten es erlaubte. Kurz gesagt, verloren die Götter mit der Etablierung der Prinzipien von Karman und Wiedergeburt viel von ihrer Bedeutung. Tatsächlich erklären manche Texte wie die BāUp 1, 4, 10:

      Wer immer das ‘Ich bin Brahman’ kennt, wird dieses Alles. Selbst die Götter können das nicht verhindern, denn er wird ihr Selbst. Wer immer also eine andere Gottheit (als sich selbst) verehrt, in dem Gedanken, dass er einer und (Brahman) ein anderes ist, kennt es nicht. Er ist für die Götter wie ein Tier.

      So wie sich die Menschen von Tieren ernähren, so ernähren sich die Götter von ignoranten Anhängern. Die noch immer durchgeführten rituellen Opferungen wurden von vielen heiligen Philosophen verspottet. Sie erklärten, dass Befreiung statt durch Ritualismus durch die direkte Erfahrung von Brahman zu finden ist. Dies ist das Wissen, das vom Bösen befreit, das alle Fesseln löst, dies ist der Weg, der aller Ethik überlegen ist. Die Autoren der frühen Upaniṣaden hatten gelegentlich ein wenig für Ethik übrig, aber sie betonten wiederholt, dass Befreiung etwas ist, was jenseits sämtlicher ethischer Werte liegt. Es geht nicht darum, Gutes oder Böses zu tun, der Trick besteht darin, das ganze Spiel zu verlassen – und alles andere auch. Nun sieht die Idee des Karman etwas pessimistisch aus. Das war nicht von Anfang an so. Die Īśa Upaniṣad erklärt, obwohl Fesselung die Norm ist, dass Befreiung für all diejenigen möglich ist, die ihre Bindung an die Welt abbrechen. Wir befinden uns hier am Beginn einer neuen Bewegung: Aus jener Zeit gibt es Belege für wachsende Gemeinschaften von waldbewohnenden Asketen, nackten Aussteigern und wandernden Bettelmönchen aller Art, Leuten, die den Werten der Gesellschaft Lebewohl gesagt haben. Hinzu kamen Menschen, die ihre weltlichen Verpflichtungen erfüllt hatten, und zum Lebensende Befreiung suchten. Während manche Texte das Leben der waldbewohnende Asketen preisen (Chāndogya Upaniṣad 5, 10), plädieren andere für ein spirituelles Leben innerhalb der Gesellschaft. Zur selben Zeit stellt die späte Maitrī Upaniṣad eine völlig pessimistische Ansicht des Karman vor. Hier finden wir die bittere und hoffnungslose Stimmung, die so typisch für den frühen Buddhismus wurde. Um damit anzufangen, ist der Körper faul riechend, substanzlos, voller Kot, Schleim, Urin und Krankheit, gebunden an Wünsche, Ärger, Verwirrung, Begehrlichkeit, ein ‘Karren ohne Intelligenz’. Die Götter selbst können als Ausdrucksformen des Brahman verehrt werden, aber ihre Wohltaten sind vergänglich und sollten verworfen werden. Vereinigung ist nur erreichbar, wenn alles zerstört ist. Die beste Methode, um Frieden zu finden, sind Askese und Entbehrungen; indem er alles Gute und Böse abschüttelt, wird der Weise selbstlos, leer und abwesend. Wesentlich spätere Zusätze zu dieser Upaniṣad beschreiben einige nützliche neue Konzepte wie jene Energiebahn, die der Wirbelsäule entspricht (Suṣumnā) und deren Bahn dem Weg der höchsten Krieger zur Sonne gleich kommt, Meditation über Klang, die Meditation über das daumengroße Ich in der Höhle des Herzens, die Vermeidung von Gedanken plus einige schräge rituelle Elemente. Manches davon ist eine Grundlage zum meditativen Yoga, wie es um das dritte Jahrhundert u.Z. entwickelt wurde, aber alles in allem ist es ganz gewiss keine frohe Botschaft. Diese Einstellung wurde zu einem der vorherrschenden Elemente im indischen Denken. Wenn moderne Menschen von Reinkarnation hören, betrachten sie das meist als eine gute Nachricht. Angeblich glaubt mittlerweile mehr als die Hälfte der Bevölkerung Deutschlands an Reinkarnation, ohne sich viele Gedanken darüber zu machen. Für die Menschen im alten Indien war Wiedergeburt etwas, das dringend vermieden werden sollte.

       Neue Glaubensrichtungen: Buddhismus und Jaina

      Die Upaniṣaden erwiesen sich als ein Durchbruch in der indischen Philosophie. Während sie die älteren Veden nicht zu entwerten versuchten, hatten sie eine befreiende Wirkung auf viele Denker. Das Konzept von Brahman verringerte die Bedeutung der personifizierten Götter und ermöglichte die Entwicklung einer abstrakten und ausgefeilten Spiritualität, die viel von den früheren Riten und Opferungen ersetzen konnte. Diese Veränderung geschah subtil, nicht durch