Von einigen der anderen thailändischen Tierschutzeinrichtungen hörte ich schon Gerüchte, dass die Mönche die Handgelenke der Tiger aufgeschlitzt hatten, damit sie nicht mehr die Krallen ausfahren konnten, dass sie heimlich mit Stromstößen für Viehherden zusammengetrieben wurden und dass ihnen der Urin der Mönche ins Gesicht gespritzt wurde, um sie unterwürfig zu machen. Ich konnte das alles nicht glauben, da ich immer noch meine rosarote Brille aufhatte. Es waren sogar Videoaufnahmen von einem Mönch, der einen Tiger mit dem Stock verprügelte, aufgetaucht. Und wieder glaubte ich nur das, was ich glauben wollte, zum Teil aus reinem Egoismus. Auch ich wollte mit den Tigern schmusen und ihnen nahe sein. Aber vor allem konnte ich einfach nicht glauben, dass buddhistische Mönche zu so grausamen Taten fähig sein könnten. Es schien allem, wofür ihre Religion steht, zu widersprechen. Ich war der romantischen Vorstellung auf den Leim gegangen und hielt immer noch stur daran fest. Doch als ich die Hilferufe der Tiger nicht länger überhören konnte, fing ich an, mit ihnen zu sprechen. Da wurde mir die hässliche Wahrheit bewusst. Ich begann, an den „Grundsätzen der liebevollen Güte“ zu zweifeln, als das Knurren der Tiger in ein lautes Brüllen überging.
Als meine rosarote Brille sich allmählich verdunkelte, suchte ich Rat bei dem Mann, in den ich verschossen war und den ich als starke Schulter mitgebracht hatte. Er versicherte mir, dass ich überreagierte und mir alles nur einbildete: Den Tigern ging es gut, sie wurden bestens versorgt, und die Mönche waren Heilige. So ist das mit dem Betrügen - Lügen sind ansteckend.
Letztendlich war es eine Leopardin in einem riesengroßen Betonkäfig, die mir die Realität schmerzhaft vor Augen führte. Das wütende Raubtier war als Touristenattraktion auf der Vorderseite des Tempels untergebracht und lief unruhig hin und her. Die ehrenamtlichen Helfer erzählten mir, dass die Leopardin den Abt angegriffen hatte und nun bestraft wurde, weil er „sie nicht mag“. Weil er sie nicht mochte? Was war aus der „liebevollen Güte“ geworden?
In einem der erstaunlichsten Augenblicke meines Lebens konnte ich die Leopardin dazu überreden, sich zu ducken und in einen noch kleineren Käfig in der Ecke ihres Geheges zu kriechen, damit wir die Tür zwischen dem inneren und dem äußeren Käfig zumachen und den äußeren Käfig mit ein paar Ästen gemütlicher gestalten könnten. Die Helfer sagten mir, es sei unmöglich, sie auch nur für einen Moment in den kleinen Käfig zu bekommen, doch die Wildkatze bewies ihnen das Gegenteil. Sie hatte den kleinen Käfig noch nie zuvor betreten. Wie die Helfer mir sagten, sei das der Grund, warum sie nichts hatte, womit sie sich die Zeit vertreiben könnte. Um fair zu sein: Ich glaube nicht, dass die meisten Helfer ahnten, welchem Betrug sie aufgesessen waren. Die fröhlichen, gutherzigen jungen Leute zerrten riesige Baumäste in den Käfig der Leopardin, auch wenn sie sagten: „Der Abt wird wütend sein, wenn er uns dabei erwischt.“ Ich sang der Leopardin vor, betete mit ihr, tröstete sie und stellte mir vor, wie sie in den winzigen Käfig ging, so dass wir lange genug die Tür schließen könnten, um die Äste in den Käfig zu ziehen. Sie betrat den inneren Käfig nicht nur einmal, sondern gleich sechs Mal, während die Jungens sich nervös an der Tür zu schaffen machten. Schließlich konnte ich sie ein letztes Mal hineinlocken, so dass die Helfer die Tür zuschlagen konnten. Auf ein Zeichen hin ließen wir sie wieder in den größeren Käfig hinein. Er war auf allen Seiten offen, so dass die Touristen sie rund um die Uhr begaffen konnten. Sie hatte keinerlei Privatsphäre und konnte sich nirgendwo verstecken. Doch wenigstens hatte sie jetzt ein paar Baumäste zum Klettern. Ich war sehr traurig, als ich diese prächtige Leopardin gefangen in ihrem nackten Einzelkäfig und in einer Pfütze aus ihrem Urin zurücklassen musste.
Mit sinkendem Herzen, doch ermutigt von meiner erfolgreichen Aktion mit der Leopardin, ging ich mit dem Personal zu einem Gehege, in dem eine Tigerin mit einer Augenentzündung hauste. Sie sagten mir, dass sie Augentropfen für das Tier hätten, sich jedoch nicht trauten, den Käfig zu betreten und ihm die Tropfen zu verabreichen. Als ich nach dem Tierarzt fragte, antworteten sie nur vage und sagten, er würde nur ein oder zwei Mal in der Woche vorbeikommen. Offensichtlich stand die kranke Tigerin ganz unten auf seiner Liste. Trotzdem war meine als Tierärztin hochqualifizierte Schülerin vom Kloster abgelehnt worden. Als ich die Helfer fragte, ob ich in ihren Käfig gehen dürfte, um ihr die Augentropfen selbst zu verabreichen, sagten sie natürlich nein. Das Tier wurde allein mit seinen Schmerzen im Käfig seinem Schicksal überlassen. Es war dabei, sein Augenlicht zu verlieren. Und ich hatte endlich meine rosarote Brille abgesetzt. Mit zehntausend Dollar weniger auf dem Bankkonto kehrte ich nach Los Angeles zurück. Ich hatte meine Ersparnisse bei dem Versuch, den Tigern zu helfen, aufgebraucht. Damals glaubte ich immer noch, dass das Projekt Tigerinsel die Wildkatzen aus ihren schrecklichen dunklen Betongefängnissen herausholen und in ein großzügiges Tierschutzgehege bringen würde, in dem sie gesünder und glücklicher leben könnten.
Mit meinem Traummann, der mir meine Intuition ausgeredet hatte, kam ich übrigens auch nie zusammen. Heute weiß ich natürlich, dass das ein Segen war. Doch damals bei meiner Rückkehr nach L. A. war mein Ego verletzt, mein Sparkonto geplündert und ich fühlte mich zurückgewiesen und mutlos.
Und dann kam alles zusammen - und zerstörte all meine Träume über die Tigerinsel. Ich erhielt eine E-Mail von CITES, der Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora (Tagung über den internationalen Handel mit gefährdeten Wildtier- und Pflanzenarten). Sie forderten mich auf, sämtliche Spendenaufrufe für den Tigertempel von meiner Webseite zu entfernen. Wie CITES mich informierte, waren gegen den Tempel Ermittlungen wegen illegalem Handel mit Tigern, Schmuggel und Tierquälerei eingeleitet worden. Ich hatte meine Spendenkampagne schon gestartet. Nun hatte ich Fotos und Filme im Wert von mehreren zehntausend Dollar, die ich nicht nutzen konnte, weil sie dann nur kriminellen Machenschaften zugunsten kämen, bei denen Tiger wegen ihrer Körperteile auf dem Schwarzmarkt verkauft wurden. Es war aus mit dem Paradies für Tiger. Stattdessen steckte ich bis zum Hals in einem Sumpf voller Alligatoren.
CITES schrieb mir, wenn ich den Tigern wirklich helfen wolle, dann solle ich die Organisation und nicht die Mönche unterstützen. Daher veröffentliche ich diese Informationen, auch wenn sie mir äußerst peinlich sind. Ich habe die Tiere, die ich am meisten liebe, im Stich gelassen. Jetzt möchte ich das auf irgendeine Weise wiedergutmachen.
Im Januar 2016 befanden sich immer noch über 150 Tiger unter fragwürdigen Umständen im Tempel. Der erste Versuch, den Tempel schließen zu lassen und die Tiger der thailändischen Regierung zu übergeben, schlug fehl. Zur selben Zeit, als ich den Auftrag bekam, dieses Buch zu schreiben, und ich in Gedanken die Tiger im Tempel in der Hoffnung, dieses Buch würde die Öffentlichkeit auf ihre Notlage aufmerksam machen, wieder ermutigte, griff einer der Tiger den Abt an. Vielleicht haben die Tiger mich ja gehört ...
Am 30. Mai 2016 wurde der Tigertempel von der thailändischen Tierschutzbehörde durchsucht. Die Behörde warf den Mönchen den illegalen Handel mit Tigern vor und entdeckte prompt vierzig tote Tigerbabys in der Gefriertruhe. Ein Artikel in der USA Today vom 3. Juni 2016 mit dem Titel „Thailands Tigertempelsage ist noch nicht vorbei“ schilderte die Entwicklung folgendermaßen:
Am 30. Mai begaben sich 30 thailändische Beamte und Mitarbeiter der thailändischen Wildlife Friends Foundation sowie andere ehrenamtliche Tierschützer zum Tempel, um seine erwachsenen Tiger, deren Zahl auf 137 geschätzt wurde, aus dem Tempel zu holen. „Internationale und lokale Tierschützer klagen diesen Tigertempel schon seit Jahren wegen Tierquälerei, illegalem Handel und illegalem Verkauf an“, berichtet Adam Ramsey, ein Reporter aus Bangkok. „Die Frage lautet daher vielmehr: Warum hat es so lange gedauert? Früher äscherte der zuständige Tierarzt die toten Tigerbabys