Als ich mit neunzehn gerade nach Los Angeles gezogen war, wohnte ich bei meiner tollen, warmherzigen, tierliebenden Tante. Sie nahm mich in ihrem großen Haus in den Hollywood Hills auf, das südlich des Ventura Boulevards und nur einen Steinwurf von den Universal Studios entfernt lag. Dort lebte ich ein seliges Jahr lang. Zwei Wochen, nachdem ich in Los Angeles aus dem Bus gestiegen war, um mein ödes Collegeleben in Oklahoma (woher Rue und meine ganze Familie stammen) hinter mir zu lassen, landete ich die Hauptrolle im Video der Stray Cats mit dem Titel Sexy and 17. Das führte zu einer Glamourkarriere als professionelle Jazztänzerin. In den ersten Jahren in Hollywood hatte ich das Privileg, Backup-Tänzerin bei Rock-Videos von Smokey Robinson, Cher, Sheena Easton, den Four Tops, Mary Wells, Ray Charles und El DeBarge zu sein. Ich trat in Breakdance-Filmen, wie zum Beispiel Breakinʼ 2: Electric Bugaloo und Girls Just Want to Have Fun sowie in Fernsehshows wie The Motown Revue Starring Smokey Robinson, Fame und Dirty Dancing auf. Ich wurde sogar von einem Auftritt von Donna Summer zum nächsten im Helikopter geflogen. Eine der beiden Backup-Tänzerinnen von Donna zu sein gehörte zu den Highlights meiner Tanzkarriere. Dafür ging ich auf eine Reihe berauschender Konzerttourneen mit ihr.
Doch selbst als ich zu „Bad Girls“ tanzte, war mir noch nicht klar, wie weit die Persönlichkeit des „schlimmen Mädchens“ mich bringen würde. In diesem ersten Sommer in L. A. hatte ich auch damit begonnen, Schauspielunterricht zu nehmen, ohne zu ahnen, dass diese mickerigen paar Stunden mir eine Karriere als Königin des Horrors - und dazu noch einer ziemlich skandalösen - einbringen würden. In meiner Trilogie der Kult-Horrorfilme erschuf ich eine Figur namens Angela, des ersten weiblichen Monsters Hollywoods, einer buchstäblichen Tigerzicke-aus-der-Hölle. Viele meiner Fans haben sie als Tattoos auf ihrem Körper verewigt. Doch noch lange bevor Teufelszungen mit Ananasgeschmack, Fangzähne und Kirschblut meinen jungen Mund ausfüllten, machte ich meinen großen Plappermund auf eine Weise auf, die weitaus mehr Geschichte schrieb als meine kurze Karriere als Horrorfilmstar.
Ich werde Ihnen zwei Geheimnisse über meine Tante Rue verraten, die noch keiner je zu hören bekommen hat. Bei beiden spielen Tiger eine Rolle. Und hier ist das Tigerseelengeheimnis Nummer eins:
Eines Abends kam Rue, kurz nachdem sie ihre schweinisch gute Rolle als eines der Golden Girls bekommen hatte, bedrückt vom Filmset nach Hause. In den ersten Probewochen versuchten die Regisseure, aus Betty White und Rue zwei doofe Blondinen zu machen. Bettys Rolle als blondes Dummchen war in Jahren meisterhafter blonder Doofheit in beliebten Comedy-Serien längst perfektioniert worden. Dafür war Betty berühmt. Jeder Versuch, in dieser Rolle mit ihr zu konkurrieren, war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die Golden Girls brauchten nicht zwei blonde Dummchen, und Rue wusste noch nicht, wie sie ihrer Filmrolle das gewisse Extra geben sollte. Ich hatte sie noch nie wegen einer Rolle weinen sehen.
Eines Nachts saßen wir in ihrer Küche und tranken eine Flasche Sekt. Damals war ich neunzehn. Zu diesem Zeitpunkt war Rue schon ein etablierter Fernsehstar, weil sie zehn Jahre lang überaus erfolgreich bei Maude mitgemacht hatte, wo sie tatsächlich einen etwas naiven, doch liebenswerten und unvergesslichen Filmcharakter gespielt hatte. Doch diese Figur würde auf Bettys Territorium nicht funktionieren. Ich hatte gerade meine Karriere als Video-Vamp gestartet. Sexy and 17 brachte mir viele Auftritte in landesweiten Talkshows ein und katapultierte mich aufs Titelblatt der Zeitschrift Life, die mich als eines der „Gesichter des Jahres 1983“ kürte. Ich befürchte jedoch, dass - wie bei den meisten weiblichen Rockvideostars - es nicht mein Gesicht war, was die größte Aufmerksamkeit bekam. Ich war mit meiner inneren Tigerin vertraut, die zu diesem Zeitpunkt schon mein stärkstes Verkaufsargument geworden war. Rues Rolle als Vivian in Maude hatte schon den leichten Hauch einer liebenswerten Schlampe. Ich erinnere mich an eine Episode, in der Bea Arthur an die Tür ihrer Nachbarin Vivian klopft und diese nur in Frischhaltefolie gewickelt vorfindet.
Schließlich hatte ich ihr Gejammer satt. „Gib mir mal das Skript!“, forderte ich sie auf. Dann sah ich mir ihren Text näher an und sagte: „Tante Rue, ich will, dass du diese Zeilen so liest, als hätte dein Slip Feuer gefangen!“
Sie gehorchte und las die völlig humorlosen Zeilen wie eine fauchende Tigerin. Plötzlich wurde alles, was kein bisschen lustig geklungen hatte, umwerfend komisch. Sie fing an, den Filmcharakter der Tigerin auf Beutejagd mit zischenden sexuellen Andeutungen im Dialekt der Südstaaten zu entwickeln. An einer Stelle im Drehbuch, an der es an der Haustür klingelt, zischte Rue nun: „Iss das der Postbote? Ich komm ja schon!“ Als ein dumpfer Schlag an der Hauswand zu hören war, sagte sie gedehnt: „Iss das der Zeitungsjunge? Lasst mich mal machen!“ Jede ihrer Textzeilen war jetzt mit einem frechen Augenzwinkern, einem Schmollmund oder einem Grinsen gepfeffert. Von den Sektperlen berauscht, saßen wir auf dem Küchenboden, platzten laut heraus und kicherten bis spät in die Nacht. Und so wurde das geile, freche, alte Mädel Blanche geboren.
Rue brachte diese neue Filmfigur am nächsten Tag mit ans Filmset und verwandelte jede ihrer Textstellen in eine umwerfend komische sexuelle Anspielung. Das gesamte Filmteam wand sich vor Lachen. Als sie am Abend von der Arbeit nach Hause kam, erzählte sie mir, dass einer der Regisseure sich vor Lachen tatsächlich den Bauch gehalten hatte. Rue erhielt einen Emmy, nachdem sie die köstlich dekadente Figur der Blanche Devereaux entwickelt hatte, die noch heute von Transvestiten auf der ganzen Welt an Halloween nachgespielt wird.
Und wer hatte die Figur erfunden? Ich! Ich stecke mir schamlos die Feder für die Geburt der Blanche an, auch wenn ich meinen eigenen frechen Tigercharakter erst vier Jahre später realisierte, als ich anfing, in einer Serie aus Horrorfilmen zu spielen und eine Hauptrolle in der Serie Schatten der Leidenschaft landete, worin ich fünf Monate lang eine Filmfigur namens Vivian spielte. Ich bekam immer die Rolle des männermordenden Biests. Nennen Sie es einfach klassische Schauspielerei.
Doch damals wusste ich noch nicht, dass die Verwandlung meiner Tante in eine wilde Tigerin nicht nur für ihre Schauspielerkarriere förderlich sein würde, sondern ihr eines Tages sogar das Leben retten würde.
Nur wenige Jahre, bevor Rue starb, veröffentlichte sie ihre Memoiren My First Five Husbands ... and the Ones Who Got Away (Meine ersten fünf Ehemänner ... und die, die davonkamen). In ihren letzten zwanzig Jahren hatte ich die Männer kommen und gehen sehen. Einen von ihnen heiratete sie sogar zweimal. Zählt das als ein Ehemann oder zwei? Doch aus meiner Sicht gab es nur einen wahren Seelengefährten in ihrem Leben.
Er hieß Buster - und war ein Maine-Coon-Kater, der ihr Bett teilte und ihr nie von der Seite wich, ganz egal, was in ihrem Leben gerade schieflief. Buster war ihr Gefährte, ihr Tröster, ihre Liebe, ihre Kraft, ihre Beständigkeit, ihre Oase des Friedens und der Treue. Er war das einzige männliche Wesen in ihrem Leben, das sie bedingungslos liebte, sie nie verließ und sie bei der Scheidung auch nicht um die Hälfte ihres Einkommens brachte. Er schlief jede Nacht des Jahres, in dem ich bei Tante Rue wohnte, neben ihrem rechten Ohr auf dem Kopfkissen und leckte ihr die Tränen von den Wangen, wenn ein Mann nach dem anderen ihr das Herz brach. Buster schnurrte sie in den Schlaf und war der Beweis dafür, dass es einen Mann auf Erden gab, der all ihre Bedürfnisse erfüllte, ihre Gefühlsturbulenzen aushielt und sie anbetete, während er ihr in guten wie in schlechten Zeiten die Treue hielt.
Eines Tages erwähnte sie beiläufig, dass Buster jeden Abend auf ihrem Kopf masturbierte. Ich war geschockt! Wie um alles in der Welt sie das zulassen konnte, fragte ich sie.
Sie sagte: „Was sollʼs? Er lässt mich erst dann schlafen, wenn er mit meinem Ohr fertig ist!“
Rue hat Buster vielleicht nicht als ihren Seelengefährten betrachtet, aber anscheinend hat Buster Rue als seine Seelengefährtin angesehen. Offensichtlich hatte er einen besseren Geschmack, was Frauen betraf, als sie, was Männer betraf. So unterhaltsam My First Five Husbands auch war, bekam es keine besonders guten Kritiken. Vielleicht wäre ihre Chance, auf der Bestsellerliste der New York Times zu landen, größer gewesen, wenn sie ein Buch mit dem Titel Meine ersten fünf Kater geschrieben hätte.
Rue hat in ihrem Leben wohl nie eine Traumehe erreicht, doch sie war eindeutig gut darin, die treuesten und sexiesten Kater anzuziehen. Kann es sein, dass die Sicherheit und ewige Liebe, die wir unser Leben