„Wir hatten eine Abmachung!“, maunzte Taps enttäuscht. „Sie wollte für uns die Schilder lesen.“
„Dafür, dass du die Ratte hier hinaufbringst? Was hat sie davon? Natürlich will sie in der Zeit verschwinden.“ Dennoch hob Faruun interessiert den Kopf.
„Mutprobe. Du weißt schon. Damit sie mir mehr von ihrem Auftrag erzählt. Aber jetzt ist sie weg.“
Der Vogel stieß mit dem Schnabel die Ratte hinab.
„Hey!“
„Sieh zu, dass du runterkommst. Ich such diese komische Hauskatze.“
„Aber …“
„Los jetzt!“ Faruun schwang sich in den Wind. „Du wirst mir dafür noch dankbar sein!“
Fauchend sah Taps dem Halsbandsittich hinterher. Wozu hatte er diese blöde Ratte hinaufgeschleppt?
Sauer war er deshalb vor allem auf Susalu. Einfach verschwinden und ihn vorführen! Das würde diese Hauskatze ihm büßen! Ein Baldrianfläschchen wollte sie? Mehr nicht? Das sollte gefährlich sein? Er würde es ihr schon zeigen. Doch zunächst musste er sie finden. Also wieder den Weg hinabklettern, den er gekommen war.
Als er allerdings am Fuß der Stahlkonstruktion angelangt war, wusste er nicht, wohin er sich wenden sollte. Er hatte weder mitbekommen, woher sie kam, noch wohin sie ging. Auch sah er Faruun nirgendwo durch die Luft flattern. Abwarten war jedenfalls nicht seine Stärke. Dann lieber Pläne schmieden.
Sein Plan mit der Ratte war nach hinten losgegangen. Wer weiß, wahrscheinlich hatte sie ihre Worte über die Ratte nur verloren, um ihn einzulullen.
Grimmig starrte Taps vor sich hin. Zeit, umzudenken. Er würde das Baldrianfläschchen besorgen und dann hatte sie dafür den Preis zu bezahlen, den er verlangte. Nicht nur ein paar dämliche Schilder lesen. Außerdem vertraute er ihr dafür vermutlich eh nicht genug. Sie konnte ihm sonst etwas erzählen.
Ihr den Rücken zukehren und mit Faruun nach Afrika verschwinden wollte er jedenfalls nicht. Das käme einer Kapitulation gleich! Aus dem gleichen Stolz war es ihm auch wichtig, bei den Straßenkatzen im Rang aufzusteigen. Den Schwanz einkneifen würde er niemals! Allerdings brauchte er eine Idee, was er statt des Vorlesens von ihr fordern könnte. Wenn nur sein Kopf nicht so rauschen würde. Sonst kam ihm doch auch ein Einfall nach dem nächsten. Warum heute nicht?
„Was hockst du da so blöd?“, krächzte Faruun über ihm.
Taps hatte keine Antwort parat, konnte nicht einmal sagen, was ihm bis vor wenigen Augenblicken durch den Kopf gegangen war. Alles war verschwommen. Wieso hatte dieses Miststück von Katze so einen Einfluss auf ihn? Anders konnte er es sich jedenfalls nicht erklären, dass seine Gedanken nicht bei der Sache waren. Ertappt sah er zu Faruun auf, der über ihm seine Runden drehte.
„Kommst du nun?“ Der Halsbandsittich klang ungeduldig.
„Du hast sie gefunden?“
„Natürlich. War leicht. Ich weiß doch, wo sich eine Hauskatze wie sie heimisch fühlt. Ganz sicher nicht in dieser Gegend. Ich bin ihr bis zu einem weiß getünchten Haus gefolgt. Du kannst es gar nicht verfehlen. Herrliche Gärten drumherum, sag ich dir. Ich verstehe nur nicht, was du mit ihr vorhast. Mir gefällt es da nicht wirklich. Zu wenige Verstecke.“
„Lass das meine Sorge sein.“ Taps rappelte sich auf.
„Ach, und ich falle nicht auf?“
„Da sind Gärten. Grün, Gras, Bäume, Blätter. Eine gute Tarnung für dich, meinst du nicht?“ Taps stolzierte über die Baustelle und bog in eine Seitenstraße ein. Faruun blieb dicht über ihm.
Kurz darauf betraten sie eine der edelsten Gegenden von Paris.
Der Duft von Keksen
Es war einfacher sich zurechtzufinden als Taps angenommen hatte. Es gab weniger Mülltonnen, baufällige Gebäude oder andere Verstecke, die er aus den dunkleren Gassen kannte und damit war alles übersichtlicher. Gestutzte Hecken, Bäume, die in Form geschnitten waren und Blumenbeete, die dazu einluden, ein Loch zu buddeln, um etwas darin zu vergraben, flankierten ihren Weg.
Taps fand durch die Grünzeugbesessenheit der Bewohner genug Möglichkeiten, um ungesehen von Garten zu Garten zu huschen. Na gut. Er war kein unsichtbarer Schatten, wie er es sich oft wünschte, aber zumindest schlug niemand Alarm. Also auftauchen, abtauchen und sich umsehen.
„Hier entlang“, ermahnte Faruun den Kater, als Taps einen Moment länger unter einem Busch hocken blieb, um die Umgebung zunächst mit den Augen zu erkunden.
„Psst“, zischte Taps dem Sittich zu. „Ich rieche etwas.“
„Warum muss ich deshalb leise sein?“ Faruun landete neben ihm im Gebüsch und schnüffelte. „Rieche nichts.“
„Doch.“ Aus der Richtung, die Faruun ihm gewiesen hatte, strömte Taps ein überaus verführerischer Duft entgegen. Vage erinnerte er sich daran, früher in seinem Leben Ähnliches gerochen zu haben. Aber dennoch konnte er den Geruch nicht zuordnen. Er wollte nachsehen, Gewissheit darüber erlangen, was die Quelle war. Allerdings kam er dann von seinem Ziel ab. Zwar konnte Susalu sicherlich noch warten, aber hatte Faruun dazu die Geduld? Jede Verzögerung verschlechterte die Laune des Vogels. Verständlich.
Taps war hin- und hergerissen. Faruun, Susalu und der Geruch seiner unbekannten Vergangenheit. Seine Neugierde siegte. Er musste wissen, was das war. Vorsichtig pirschte er sich in die Richtung, aus der der Geruch kam.
„Was hast du vor? Unser Ziel liegt woanders!“ Faruun trappelte hinter ihm her. „Ich will nicht noch länger warten. Es wird immer kälter!“
Taps blieb stehen und drehte sich zu Faruun um. „Noch sind die Blätter grün. Wir bringen dich nach Afrika, aber das ist meine Chance, mehr über mein früheres Leben herauszufinden. Ich habe dir doch erzählt, dass ich nicht weiß, woher ich komme. Irgendwann bin ich auf der Straße aufgewacht. Aber es gibt ein Davor und der Geruch erinnert mich daran!“
„Aber …“
„Bitte! Danach gehen wir zu Salu und dann in den Hafen.“
„Glaubst du wirklich, hier könntest du herkommen?“
Taps sah sich um. „Im Moment halte ich alles für möglich.“
„Also schön. Geh.“ Der Halsbandsittich flog in einen der nahen Bäume.
Ein wenig erleichtert, auch wenn ihn immer noch das schlechte Gewissen plagte, folgte Taps dem Geruch. Er war süßlich und angenehm. Erinnerungen überwältigten ihn. Menschliche Finger, die nach etwas griffen, das den Duft ausstrahlte.
Schnell verscheuchte Taps das Bild. Er musste bei der Sache bleiben. Wenn er entdeckt würde, wäre alles vorbei. Dann würde er verscheucht oder womöglich sogar …
Also schob er sich möglichst unauffällig durch das Gras, mit dem Bauch dicht über dem Boden. Flink huschte er voran, drückte sich schließlich an die Hauswand. Ein Fenster über ihm stand offen. Von dort kam der verführerische Duft.
Zwei Schritte wich er zurück, um ausreichend Anlauf zu nehmen. Faruuns Blicke konnte er dabei förmlich in seinem Nacken spüren. Der Vogel würde schimpfen über seinen Leichtsinn. Doch Taps brauchte Gewissheit. Aus dem Inneren des Hauses hörte er keine Geräusche und auch in der Nähe sah er nichts Verdächtiges. Er wagte es. Mit einem großen Satz sprang er auf die Fensterbank. Dabei stieß er gegen etwas Metallenes, Warmes. Davon ging der Geruch aus. Doch noch ehe er es sich genauer ansehen konnte, rutschte die glatte Fläche hinab und sauste im Inneren des Hauses auf den Boden. Laut scheppernd. Krachend.
Lauter helle Kekse verteilten sich über die Fliesen der Küche. Sie waren die Quelle des Geruchs. Da war er sich sicher.
Unsicher