Innerlich wirbelte alles in Taps durcheinander. Er wollte seine Stellung sichern, seinem Freund helfen, aber dann war da noch sie. Bei ihr auf der Kiste sitzen kam dem Paradies gleich. Möglichst galant verneigte er sich vor ihr: „Wir sind übrigens Faruun und Taps. Faruun ist ein alter Freund von mir, der sich nun auf große Fahrt nach Afrika begeben möchte.“
„Hey! Ich dachte, das wäre unser Geheimnis!“
„Mein lieber Freund, ich bin mir sicher, dass …“ Was eigentlich? Taps war sprachlos und wusste seinen eigenen Satz nicht zu beenden. Das kannte er überhaupt nicht von sich! Er wollte, dass die Katzendame ihn mochte, aber doch nicht auf Kosten von Faruun! „Bitte entschuldige. Wir sollten tatsächlich aufbrechen.“ Wobei er nicht sagen konnte, an wen der beiden seine Entschuldigung gerichtet war.
Bevor Taps sich abwenden konnte, ergriff die Katze das Wort: „Afrika. Das ist tatsächlich ein schöner Traum. Aber die Freiheit habe ich nicht. Ich habe Verpflichtungen.“
„Verpflichtungen?“ Faruun drehte sich zu ihr um und streckte ein Bein von sich, um auf dem anderen zu balancieren. Dazu breitete er seine Flügel aus, wodurch die Federn im Wind wehten.
„Nun, Madame kann meine morgendliche Toilette nicht ohne mich erledigen. Bürsten, Kämmen, ihr wisst schon. All die Sachen, die für ein glänzendes Fell nötig sind.“
Taps kam nicht umhin, sie anzustarren. Ja, er hatte davon gehört, was Hauskatzen taten, um ihren Menschen zu gefallen. Insgeheim wünschte er sich ebenfalls ein Zuhause, aber gleichzeitig widerte es ihn an. Eingesperrt, darauf angewiesen, dass die Menschen ihm die Tür und Dosen öffneten. Zudem wusste er nicht, was er von den Beschreibungen der Katzendame halten sollte. Es ging weit über seine Vorstellungen hinaus, wie Hauskatzen lebten. Ihm hätte es gereicht, wenn jemand dafür sorgte, dass das Futter geliefert wurde und er dafür nur ab und an eine Maus jagen musste. Aber so etwas? Bürsten? Kämmen? Sein herrliches schwarzes Fell berührte nur seine Zunge, sonst nichts! Aber gut. Das sollte er der Dame nicht auf die Nase binden. Feingefühl war nötig.
Als er allerdings ansetzen wollte zu sprechen, fragte Faruun: „Ihr seid eine Dame von Stand, was macht Ihr da auf einer schmutzigen Baustelle? Für den Sonnenaufgang gibt es doch sicherlich bessere Plätze.“
„Oh, natürlich. Den könnte ich aus dem Erker von Madame beobachten. Vor allem wäre es dort wärmer.“ Sie rückte ein Stück näher an Taps heran, sodass sich ihre Körper beinahe berührten. Aber nur beinahe. „Alle reden von dieser Baustelle. Das Jahrhundertereignis. Mächtig, imposant und vor allem für Generationen erbaut.“ Ihre Augen glänzten voller Bewunderung. „Keine Frage. Das muss ich mit eigenen Augen sehen!“
„Verstehe. Und was wird dieses Chaos?“ Faruun kratzte mit einer Kralle einen langen Strich in die Holzkiste. „Wie ich das sehe, sind das bislang nur einige Stahlträger, die irgendwie in den Himmel wachsen. Jeden Tag ein bisschen höher.“
„Habt ihr noch nie etwas vom Eiffelturm gehört? Jeder in Paris spricht davon! Selbst ihr Straßenleute müsstet …“
„Halt! Wie hast du uns gerade genannt?“ Aufgebracht ließ Faruun davon ab, ein Abbild des Turms in die Kiste zu ritzen. „Jetzt sag doch auch mal was“, wandte er sich an Taps und kniff die Augen zusammen.
Aber Taps fühlte sich nicht in der Lage auf seinen Freund zu reagieren. Der betörende Duft der Katzendame umgab ihn und ließ ihn gedanklich in die Höhe schweben. Beinahe bis zur Seilwinde, an die er die Ratte hängen wollte. Doch dann knallte er auf die Kiste zurück und fand sich in der Realität wieder. Er kannte die Katze nicht. Wusste nicht einmal ihren Namen. Man überlebte auf der Straße nicht, indem man sich mit Hauskatzen anfreundete. Wobei … ihm kam eine Idee. „Sag, hast du einen Namen? Wenn wir uns länger unterhalten wollen, wäre es mit einem Namen einfacher. Wir beide, Faruun und ich, sind schon so lange ein Teil von Paris, dass wir dir sicher noch einige andere außergewöhnliche Orte zeigen können.“
„Wirklich?“ Ihre Augen glitzerten in den ersten Sonnenstrahlen des Tages. „Wenn das so ist … Mein Name ist Susalu. Aber meine Freunde nennen mich Salu.“
„Ein hinreißender Name“, begann Taps.
Doch sofort unterbrach ihn Faruun: „Wir zeigen dir gerne den Hafen. Dorthin wollten wir nämlich schon vor einer halben Ewigkeit aufbrechen!“ Er schob Taps die Ratte entgegen. „Das Ding vergiss mal. Wir gehen nun in den Hafen und suchen ein Schiff, das nach Afrika fährt. Sie kennt Paris und weiß sogar, was die Menschen hier bauen!“
„Warum gehst du nicht allein?“ Susalu streckte beide Pfoten aus und zwinkerte Taps zu. „Taps und ich schaffen es sicher, die Ratte ohne deine Hilfe auf den Eiffelturm hinaufzubringen. Du musst nicht auf uns warten.“
Faruun öffnete und schloss den Schnabel. „Wie bitte? Schickst du mich gerade fort?“
„Du willst doch unbedingt zu diesem Schiff. Ich halte dich nicht auf. Aber wozu brauchst du ihn? Er will mir die Stadt zeigen und vielleicht traue ich mich mit ihm an der Seite tatsächlich, den Sonnenaufgang von da oben zu beobachten.“ Sie richtete sich auf und streckte sich ausgiebig. „Dafür sollten wir jetzt aufbrechen. Sonst verpassen wir das Schönste.“
Taps blinzelte, hob verträumt die Mundwinkel. Sein Knickohr zuckte leicht. Eine Hauskatze hatte Interesse an ihm? An ihm? Er hatte es nicht einmal geschafft, sich gegen die Schwächsten der Straßenkatzen zu behaupten. Wieso wollte sie nun mit ihm ihre Zeit verbringen? Lag es womöglich an seinem gut gepflegten Fell? Oder war es die Ratte? Er fuhr die Krallen aus, zog das tote Tier zu sich. Dann hob er den Kopf und sah Faruun an. „Du könntest allein in den Hafen aufbrechen. Hör dich schon mal um.“ Er würde solange die Zeit nutzen, um Susalus Gunst zu gewinnen. Als Hauskatze konnte sie womöglich sogar lesen!
„Aber …“ Der Halsbandsittich spreizte die Flügel, plusterte sich auf und bohrte die Krallen tief in das Holz der Kiste. „Was ist, wenn ich ein Schiff entdecke? Wie soll ich dich finden? Wenn ich mitfahre, werden wir uns vermutlich nie wiedersehen. Du willst doch auch nach Afrika, oder? Du weißt schon, wir beide gegen den Rest der Welt! Bislang waren wir ein wundervolles Team …“ Traurig ließ er den Kopf hängen.
Hin- und hergerissen zog Taps die Krallen wieder ein. Er konnte Faruun nicht vor Salu in seinen Plan, von ihr lesen zu lernen, einweihen. Aber wenn er ihn nun gehen ließ, sah er seinen Freund womöglich nie wieder. Unschlüssig sträubte Taps die Nackenhaare. Doch ein Blick in Salus Augen festigte seinen Entschluss. „Bitte entschuldige. Du musst heute ohne mich in den Hafen.“
„Wie bitte?“ Faruun krächzte empört. „Wir wollen doch …“ Er berührte mit seinen Flügelspitzen das Holz. Nur einen Moment darauf drehte er sich um und flog davon. Kein weiteres Wort, keinen Blick zurück.
Mit schwerem Herzen sah Taps ihm hinterher. Als der grüne Punkt in der Morgendämmerung verschwand, wandte er sich wieder Susalu zu. „Möchtest du nun hinaufklettern?“
„Nein. Wir bleiben hier“, entschied sie und machte es sich auf der Kiste gemütlich.
Taps war ihre Einstellung recht. Er sagte nichts weiter, sondern beobachtete lediglich, wie der Himmel vor ihm heller wurde, während er seine Pläne überdachte.
Verhandlungen
Als die ersten Sonnenstrahlen Taps blendeten, warf er einen verstohlenen Blick zu Susalu. Wie könnte er seinen Plan in die Tat umsetzen? Er musste an ihr Wissen herankommen. Er sollte ihr vermutlich etwas im Tausch anbieten, nur was? Was könnte eine Dame wie sie gebrauchen? Bei Faruun war es leicht. Futter und Schutz. Aber das bekam Susalu beides von ihrer Madame.
Noch während er sich darüber den Kopf zerbrach, streckte die Katzendame sich und stand auf. „Danke für deine Gesellschaft. Es ist Zeit für mich zu gehen.“